Die sich abtrocknende Nackte


Ich sah sie. Als ich aufs Ufer zu schwamm, auf den Strand, der mit hellem, feinen Sand die Illusion von Süden und Meer zur Hochsommerszeit in den Norden Mitteleuropas bringt und zwar an einen kleinen bis zum Horizont reichenden See, umrundet von Birkenufern und Wiesen in den ich keine hundert Meter hinein geschwommen war, um so die Stadt und die Arbeit hinter mir zu lassen. Schon aus dieser Entfernung war sie mir als weibliche Gestalt, nackt auf höher steigendem Strand, meinen Blick wie mit Gravitationskäften einfangend, aufgefallen. Sie nahm sich das Handtuch von der Decke auf und trocknete sich ab, wie Frau sich eben abtrocknet. Es war ein ganz normaler Vorgang, selbstverständlich, in etwa so wie Frauen-Fußball inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden ist.
Offensichtlich war diese Schöne in einem Alter, das sich als Übergangsalter am besten leiblich, nämlich von schlank und rank hin zu mollig und rund beschreiben lässt. Ich weiß nicht, woher die nymphenhafte Grazie dieser Frau rührte, ja, sie schien einer Brunnenfigur ähnlich oder einer Gemälde-Szene, die sich bis hin zur Garten-Nymphe erstrecken konnte.

Garten-NympheDas Foto anbei zeigt freilich eine mit ihren Reizen koketierende, dem häuslichen Daheim gerade entwachsende Tochter aus Elysium. Ihre Schönheit geht fließend über in Kitsch, wohingegen die häusliche Szene, die Edgar Degas so oft malte, weil es sich so gut verkaufen ließ, eine Frau unbeobachtet nach dem Morgen-Bad Degas
          Nach dem Morgenbadsich abtrocknend, zwar auf den ersten Blick altbacken und ballettartig stilisiert wirkt, dafür aber die Zeitlosigkeit  des Geschehens einfängt. Sie entsteht schlicht durch die Ablenkung auf eine Tätigkeit, wie Tanz auf der Bühne oder besagtes Fußball spielen, weil sie sich nicht mehr so gänzlich passiv von den Männern ausschließlich wegen ihrer weiblichen Attraktionen zum Betrachtungsobjekt herabgewürdigt weiß, sondern sich in der Freiheit ihres eigenen Raums und Handlungszusammenhangs befindet.

Herrlich der Frau am Strand ungesehen zuschauen zu können, obwohl sie doch hin zum Wasser schaute und mich dort, zumindest meinen Kopf und das Gesicht sehen musste, also sah und erkennen konnte, wie ich mich labend an ihrer Model-Figur weidete. Wie, als wollte sie mir demonstrativ zu verstehen geben, dass sie mich keinesfalls wahrnahm, beugte sie ihren Kopf, um ihr
langes, mittel-blondes in einer dicken Strähne gebündeltes Haar mit ihrem Badetuch trocken zu reiben. Ich schwamm näher und näher, während ihre streichenden Hände mit dem Tuch die Beine, die Hüften, den Busen, den Leib, den Po, die Arme trocken rieben. Es versteht sich, dass sich zu den Bewegungen ihrer Hand die der Arme und des Körpers in geübten Yoga-Stretch-Dehnungen gesellten. Und ich schaute genüßlich. Der Rahmen meines Blickes war gesetzt als unverfängliche Strandszene mit einer exquisiten Schauspielerin, die Bilder freizusetzen verstand. Sie reichten von emanzipierter Sportlerin über Mutti mit Kind bis hin zur Yoga-Stunde und ließ es keinen Moment lang sexistisch pornografisch werden. Das es so etwas noch gab!

Wahrlich, mir war ein Blick durchs Schlüsselloch ins Badezimmer dieser fremden Schönen gelungen.