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In MemoriamLeipzig,
15.
Oktober
2010,
DG
Micha Welten stand in der BioKiste, mit Sabrina machte er das erste Mal Auspackdienst. Es war ein kleiner Laden. Holzregale Marke Eigenbau verrieten, es wurde wenig Geld verdient, eigentlich gar kein Geld wurde verdient, es handelte sich um eine Kooperative, ein Zusammenschluss von Leuten, die preiswert hochwertige BioLebensmittel einkauften und dazu diesen Non-Profit Laden als Verein gegründet hatten. Sabrina und Heike waren irgendwie auf den Dreh gekommen und traten in die Kooperative ein und seitdem war auch Micha dabei. Damit der Laden lief, hatten die Mitglieder Dienste zu machen: Putzen, Finanzen, Verkauf, Auspacken, Vorstand. Micha, Heike und Sabrina hatten als Neue keine Ahnung, wollten eigentlich auch gar nicht soviel Ahnung von dem ganzen Krams haben, sie wollten einzig günstig einkaufen und damit Basta! Das ging natürlich nicht. Das war ihnen klar. Außerdem lernten sie Leute kennen, auch nicht schlecht, fand Micha. In der neuen Stadt erschloss sich ihm durchs Mitmachen ein gewisser Bekanntenkreis. Aber was waren das für Leute? Junge Mütter, meist Studenten oder inzwischen diplomierte Akademiker. Diplomiert? Nach dem Bologna Prozess zur Vereinheitlichung des Europäischen Universitätswesens war das eine so unzutreffende Bezeichnung, wie von Groschen und Pfennigen zu reden. Allerdings, wie ließ es sich denn sagen? Bacheleriert? Masteriert? Das hörte sich ja wie masturbiert an. Ihm gefiel die Idee mit der FoodCoop. Das war ein Schritt näher an die Quellen, näher an den Ursprung und bedeutete nicht nur Ersparnis, bessere Lebensmittel, sondern auch Kontakt und darüber hinaus war das Ganze auch noch lebensweltlich politisch, ein praktischer Umsetzungsschritt in einen anderen Lebensmodus, der dem verehrten Sloterdijk den Finger zeigte angesichts seiner Äußerungen zur Mehrwertbildung und der strukturellen Arbeitslosigkeit im globalen Komfort-Entlastungs-System1.
Die Mühen des Lernens, wie der Laden lief und dann des zuverlässigen Machens, war auf einmal drei Stunden im Vierteljahr reduziert, dank reger Mitgliedschaft. Klar, dass es nicht reibungslos abging. Unerwartete Dienstplan Ausfälle, die Vertretungen schoben eh immer dieselben, die Macher, die Verantwortlichen. Nicht anders lief es in Lebensgemeinschaften. Das kooperative, auf Freiwilligkeit und Eigenmotivation basierende Tun verteilte sich nur theoretisch auf viele Schultern. Von der Idee bis zur Umsetzung war es wie immer ein weiter Weg. Stella, die sie anleiten sollte, war später gekommen, weil sich ihre Babysitterin verspätet hatte. Dafür war Caroline mit ihrem kleinen Ansgar zufällig vorbei geschneit. Zwischen
dem gemeinsamen Arbeiten, Quatschen und Kinder Hüten schaute Micha
in sein Email Fach. Die üblichen Pressemeldungen, eine mail vom
Institut für Solidarische Moderne, er öffnete sie und las, dann
rief er aus: Was?! Scheer ist tot? Es klang erschrocken. Er hatte
Hermann Scheer das letzte Mal auf der Bundesversammlung
zur Wahl des neuen Bundespräsidenten gesehen und am Wochenende
vorher auf der ersten
Mitgliederversammlung des Instituts Solidarische Moderne. Er
bewunderte ihn für seine präzise Analyse der ökonomischen
Verhältnisse der auf Massenproduktion basierenden
Atom-Energiewirtschaft. Es war markant und eingängig, wie er es im
Film „Die 4. Revolution“
brachte. Caroline, ihren kleinen Jungen auf dem Arm wiegend, meinte
trocken, sie habe es vorhin auch im Radio gehört. Ein wichtiger Mann
für uns, der nun fehle. „Wir arbeiten an Solar Anlagen und er hat
sie durchgesetzt, hier, in Deutschland, ach, Welt weit.“ Mehr sagte
sie nicht, das Kassenprogramm mit dem 7 % Mehrwertsteuer Aufschlag
für Bio Lebensmittel wollte Sabrina erklärt sein. Auf Lebenspraktisch
war derart der Brückenschlag zwischen BioProdukten und Scheers
Solarenergie hergestellt. Es war eher eine theoretische Frage, welche
energetische Relevanz eine FoodCoop im Verhältnis zu einem Windkraftrad
oder einer Energieanlage hatte, unzweifelbar jedoch ergänzten sie sich
und bildeten einen Lebens- und Arbeitszusammenhang, der zu mehr und
mehr Synergieeffekten aufgrund zunehmender Verflechtungen führte. Zuhause angekommen surfte Micha die Meldungen zu Scheer raus. Würde er ein Staatsbegräbnis bekommen? Wann? Wo? Früher hatten solche Leute ein öffentliches Begräbnis bekommen bei dem Tausende am Wegrand standen und eine Blume auf die Straße warfen, über die dann der stille Zug in Schwarz zum Friedhof schritt.
Die Zeit : Nachruf - Hermann Scheer, praktischer Visionär und Urdemokrat
Mathias Greffrath Rede auf der Gedenkfeier für Hermann Scheer am 1. November.
Liebe Irm Pontenagel, liebe Nina Scheer, liebe Freunde von Hermann, Ich möchte ein paar Worte zu Hermanns Bild in der Öffentlichkeit sagen, vor allem der veröffentlichten Öffentlichkeit, und auch über sein Wirken in ihr. Als ich einige der vielen dicken Ordner nur mit den deutschen Zeitungsausschnitten durchsah, die in Hermann Scheers Büro stehen, drängte sich mir als erstes der Satz auf: Hermann Scheer war eine Lokalgröße. Aber wo nicht überall war er das? In Lüdenscheid, in Chemnitz, in Bozen, Pforzheim, Wien, Emsdetten, Rosenheim, Braunschweig, Traunstein, in Zürich und Heilbronn, Rottweil und Frankfurt, Winsen an der Luhe und Basel am Rhein. Und so weiter, und so weiter. Und wenn man diese Artikel der sogenannten Provinzpresse liest, dann fällt eines auf: diese Artikel zitieren seine Zahlen, sie referieren seine Argumente und sie signalisieren Zustimmung zu einigen einfachen, aber unbequemen Gedanken: Das Kommen der solaren Weltgesellschaft ist geophysikalisch unausweichlich. Es wird den Untergang der fossilen Wirtschaftszweige nach sich ziehen – und dieser Übergang muss durch Millionen von Einzelnen, Tausende von Kommunen, Hunderte von Unternehmen, durchgesetzt werden. Und: Es geht um weit mehr als eine neue Energiequelle, denn eine demokratische Solargesellschaft muß auch andere Formen des Verkehrs, des Konsums, der Mobilität, des Wohnens - und ein anderes Wachstum erzeugen und erzwingen. Sonnenenergie, so hat er es in einem Interview l993 gesagt, ist „die Energie des Volkes“. Solche Gedanken, so ergibt eine erste Durchsicht des Archivs, waren offenbar in Lüdenscheid und Traunstein, Zürich und Heilbronn leichter aufzunehmen als in Berlin. Das galt für Rottweil und Rosenheim, das galt umso mehr in Havanna, in Kairo, in Kapstadt oder Dubai, und überall, wo Hermann Scheer auftrat in der Welt. Der Gedanke, dass es um eine globale Produktivkraftrevolution geht, die die Weltwirtschaft gerechter, nachhaltiger machen und die Not des Südens wenden kann, wurde, dank Hermann Scheer, an hunderten von Orten dieser Welt populär. Er breitete sich durch virale Ansteckung aus.
Nur in den Konzernetagen, den Parteivorständen hat er es bis heute schwer. Und in den Chefredaktionen. Sicher: auch die „grossen“ Medien haben Hermann Scheer gelegentlich gemocht, vor allem allerdings als Pointenlieferanten gegen die eigene Partei: Etwa, wenn er, als eine Genossin einmal eine kleine Rolle in einem „Tatort“ spielte, anmerkte: Wer sie kenne, könne sofort wissen, dass s i e nie und nimmer die Mörderin sein kann, weil - so Scheer: das Opfer von vorn erstochen worden sei. Oder wenn er Zug, den Firmensitz von Gasprom, einen Mafiaort nannte, oder die Energiewirtschaft eine Cosa Nostra – dann stand Herbert Wehner immer mit im Raum. Hermann Scheer war so frei, solche Scharfzündigkeiten nicht anonym oder unter Drei abzuliefern. Als Abgeordneter war er so frei, abzuweichen: nicht nur bei Personalien, sondern beim IWF-Vertrag, beim Atomkompromiss, bei der Kohlesubvention. Das fand dann erheblich weniger Resonanz bei einer Presse, für die Geschlossenheit ein Gütekriterium ist. Und wenn er auf die Frage, warum aus der SPD so wenig Opposition gegen den Basta-Industrialismus komme, entgegnete: Man kann nicht die Redaktionsstuben besetzten, damit die Kritiker zu Wort kommen, dann machte er sich auch dort nicht nur Freunde.
Medien mögen ja eigentlichQuerdenker, große Gedanken und Helden, am besten Tageshelden, aber in den drei überregionalen Tageszeitungen, deren letzte zehn Jahrgänge ich mir noch einmal angesehen habe, wird die Komplexität dessen, wofür Hermann Scheer kämpfte, anders als in den regionalen, den „dezentralen“ Medien kaum je zum „großen Thema“. Auf’s Ganze gesehen jedenfalls; die Partisanen sind abzählbar, zum Beispiel, ein Blatt sei genannt, Monde Diplomatique, die ihm immer Raum gab. Das Umfassende dieses Ansatzes, der Zusammenhang von Energie und Gesellschaftsstruktur – war das zu kühn, zu kompliziert – oder einfach nur zu radikal? Es fällt mir schwer, nicht zu glauben, dass skandalöse Spiegeltitel wie „Der Windmühlenwahn“ , von 2004, oder der „Teure Traum von der sauberen Energie“ aus diesem Jahr, beide zeitgenau im Vorfeld von Beratungen über EEG erschienen, im letzten Fall gestützt durch Zahlen der RWE und sonst gar nichts, nicht interessengelenkt waren. Wenn sie es nicht waren, dann durch betriebswirtschaftliche Borniertheit, die theologische Ausbildung von Wirtschaftschefs, ästhetischen Elitismus oder einfach: durch Nichtbefassung mit Argumenten. Feigheit und Faulheit, wie Kant sagte. Faktengestützte Widerlegungen von Scheers zentralen Thesen habe ich in der „Qualitätspresse“ jedenfalls nicht gefunden.
Wer nicht argumentieren will – oder kann, dem reicht es, persönliche Diffamierungen anonym und ungeprüft zu übernehmen, oder einfach abzuwinken: Eklatant wurde das im Vorfeld der Hessenwahl von 2008. Zum Projekt einer beschleunigten Energiewende fiel dem Spiegel nur der „in Berlin schon längst abgeschriebene ... Dampfplauderer“ ein, den Chefredakteuren von ZEIT, WELT, FR - ja, da geht der Chef schon mal selber ran - reichten die Worte „altlinks“, „Geisterfahrer“,„Öko-Fundamentalist“, oder einfach: „Unsinn“, ein angestellter Mitarbeiter der WELT durfte das dann mit „Windkraft-Stalinist“ toppen. Aber nirgends in diesen Blättern eine neugierige, nicht einmal eine kritische Befassung mit dem kühnen Vorhaben, Hessen in 15 Jahren ohne Atom und Kohle energetisch zu versorgen, mit der spektakulären, etwas schrägen Eurosolar-Idee, entlang der Autobahnen und Bahntrassen Windräder zu installieren. Nichts davon. Und, fast gar über IRENA. Da entsteht eine Weltorganisation, die eine Alternative zur erfolglosen Weltklimapolitik verspricht – die Nichtbefassung damit ist angesichts des Scheiterns der grossen Konferenzen eine journalistische Sünde der großen Art – nicht einmal das von Parteitaktik dominierte Gerangel um die Besetzung der Institution war ein paar Worte wert. Ist das noch erstaunlich? Ich denke, ebenso wenig wie die unisono und faktenungetrübt geschriebenen Artikel von , Spiegel und Welt am Tag vor Scheers Tod, wiederum eine Woche vor der Verabschiedung des schwarzgelben Energiekonzepts: die Förderung der Alternativen Energien sei eine „brutale Umverteilung“ von unten nach oben, die „Armen zahl(t)en für die Solardächer der Reichen“. Die Fixierung auf die Alphatiertänze, die Resignation des Parlaments vor langfristigen strategischen Entscheidungen, der opportunistische Zynismus der Medien, die Zählebigkeit der 20.Jahrhundert-Denke – all das hat Hermann Scheer in seinem Buch über die „Politiker“ selbst am besten analysiert. Gejammert hat er darüber nicht. Parteien sind so gut wie die Bürger, Punkt. Und dieses Buch bleibt gültig, als Lehr- und Motivierungsbuch zum politischen Handeln in den Strukturen, wie sie nun einmal sind - männlich im Ton, wie Max Webers berühmter Aufsatz.
Der Politik hat Hermann Scheer dreissig Jahre seines Lebens gegeben. Durchhalten kann man das nur, wenn man – auch gegen alle Evidenz und allen medialen Zynismus - an einem ehrwürdigen und alten und europäischem Begriff von Politik festhält: Hermann Scheers Feld war die Öffentlichkeit als der Raum des kontroversen und argumentgestützten Raisonnierens. In diesem Raum hat er seine Nichtbeachtung in den nationalen Medien durchbrochen. (Und das gilt auch für die parteiinterne Öffentlichkeit – sehen Sie sich bitte noch einmal seine Rede auf dem Dresdner Parteitag von 2009 auf youtube an: „Genossen, die Öffentlichkeit, das sind nicht die Medien, sondern das sind die Menschen.“) Hermann Scheers Wirkung auf Versammlungen, bei Vorträgen, auf Kongressen in aller Welt beruhte darauf, dass er in seinen Zuhörern die Überzeugung stärkte, die epochale Wende sei nicht mit Elitenhandeln, nicht mir Vertrauen auf Experten, nicht mit Regierungen allein zu bewältigen. Seine kräftige Rhetorik schuf ein Gefühl für die Dringlichkeit und die Größe der Aufgabe und stärkte zugleich das Gefühl: sie ist zu bewältigen. Das einfache, das schwer zu machende. Aber: We can.
Hermann Scheers Wirkung war direkt und dezentral. Er strahlte etwas aus, das selten geworden ist oder in toten Großsubstantiven auf Parteitagen erstarrt: einen unironischen Ernst, eine leidenschaftliche Hingabe an ein großes Projekt, eine von Argumenten gestützte Verführung, mitzuwirken an einer, ja pardon, Menschheitsaufgabe. Er konnte eine große, geradezu kulinarische Lust und Freude ob der Größe dieser Aufgabe erzeugen. Epochale Aufgaben erfordern große Lösungen – Scheer nahm man solche und noch größere Sätze ab, weil er die Ausführungsbestimmungen, die konkreten Schritte, die konkreten Gegner, die Machbarkeit und die Hindernisse gleich folgen liess. Durch seine Bücher wirkte er auf zehntausende von Einzelnen, durch seine Reden – auf hunderttausende. Und man hörte ihm auch 103 Minuten zu (die längste gemessen Rede), weil er immer konkret, brillant und, warum nicht: unterhaltsam war. Eine lokale Größe – und das: global. Aber das Mißverhältnis dieser direkten Wirkung zur „veröffentlichten“ Meinung und zum parlamentarischen Geschehen kündet nicht nur vom langen Kampf gegen die Mächte des Verschweigens; es spiegelt auch die Bewegungsform dieses Kampfes um die Sonne: wo immer es Fortschritte gab, kamen sie durch einzelne, durch Bürgergruppen, passionierte Kommunalpolitiker, und Unternehmer zustande. Das EEG war eine Asterix-Tat, so steht es in einem Nachruf. Seine Sicherung und sein Ausbau werden nicht ohne wachsenden Druck einer wachen Öffentlichkeit gelingen. Denn unter einem Scheinkonsens über die Notwendigkeit der Erneuerbaren hat der eigentliche Konflikt erst begonnen, so schreibt Hermann Scheer in seinem letzten Buch, „Der energethische Imperativ“.
Die grosse Presse pflegt in diesen Tagen gerade zu regressiv ihre antiquierte Liebe zu Megaprojekten wie Desertec, Seatec oder CCS, Großunternehmungen, die für das Jahr 2050 allenfalls soviel Elektrizität versprechen, wie der Ausbau von Wind und Sonne in den letzten 10 Jahren gebracht hat. Der Streit geht also weiter, und wenn er schnell, rechtzeitig in eine solare Zukunft führen soll, dann darf er nicht nur, wie so oft in der Vergangenheit, zwischen tauben Parlamenten, stimmloser Wissenschaft und Straße geführt werden, sondern dann braucht er starke politische, parlamentarische Stimmen. Ich bin mir sicher, sehr sicher, Hermann Scheer war der letzte, der allerletzte, der nicht zutiefst davon überzeugt gewesen wäre, dass das ohne ihn schwieriger werden wird.
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