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Gewandhaus
/ Alte Handelsbörse Leipzig, 20. / 21. März 2024,
DG
Wieder
nutzen mehrere junge Frauen die Möglichkeit der öffentlichen
Aufmerksamkeit, die in diesem Fall der Bundespräsident Frank
Walter Steinmeier und der Bundeskanzler Olaf Scholz bieten, um gegen
den israelischen Angriffskrieg gegen die Palästinenser im
Gazastreifen zu protestieren. Erst ist es eine junge Frau, die aus
den Reihen der auf ihren Stühlen sitzenden Zuhörer aufsteht
und in die Rede des Bundespräsidenten fällt. Lautstark
weist sie auf den drohenden Genozid im Gazastreifen hin, auf
Bombardierungen von Krankenhäusern, auf verhungernde Babys, auf
zerbombte Wohnviertel, auf bisher ca. 30.000 Todesopfer. Als ihre
Zwischenrede nicht enden will, kommen Ordnungskräfte und bringen
sie hinaus. Zwar widerstrebend fügt sie sich, denn Widerstand
ist zwecklos. Kaum ist wieder Ruhe eingekehrt im Saal, steht eine
andere auf. Ein unwilliges Lamentieren zischelt im Saal, aber die
Leute bleiben sitzen. Lautstark bringt diese Demonstrantin
Anschuldigungen gegen den Staat und ihren obersten Vertreter vor, es
sei Völkermord den Deutschland in Unterstützung Israels
begehe. Die Deutschen hätten aus dem Holocaust der Nazis nichts
gelernt. Kaum ist auch sie von den Ordnungskräften aus dem Saal
geschafft, steht die nächste auf. Steinmeier fragt, ob noch
jemand im Saal wäre. Als niemand aufsteht, beginnt er wieder mit
seiner Buchmesse Rede zum Thema: 35 Jahre Friedliche Revolution, 75
Jahre Grundgesetz – Wie steht es um unsere Demokratie? - Die
Antwort ist: Mit unserer Demokratie steht es so, dass wieder eine
junge Frau aufsteht und lautstark über die Unterstützung
Israels beim Bomben und Vernichten der Palästinenser schimpfen
kann. In der vordersten Reihe ganz rechts erhebt sich ein
distinguiert erscheinender Herr und schimpft erbost zurück, man
müsse auch das Attentat der Hamas, die Vergewaltigungen und das
Abschlachten unschuldiger Kinder, Frauen und Männer, die
Geiselnahme von hunderten Menschen erwähnen. Nach dem auch diese
Demonstrantin aus dem Saal geschafft wurde, erheben sich noch drei
weitere pro-palästinensische Demonstrantinnen.
Insgesamt
bleiben die Menschen im Saal ruhig, entweder aus Angst, öffentlich
Stellung zu beziehen und damit ins Lampenlicht der Aufmerksamkeit und
der Fernsehkameras zu geraten oder weil sie es schlicht für
unangebracht halten, eine solch hoch offizielle Veranstaltung durch
Aufruhr und Protest zu sprengen.
Wenn das Ich zum einen
empfindet, gleichfalls aufstehen zu müssen, um sich gegen die
barbarischen Bombardierungen und die Unterstützung der
orthodox-konservativen Politik des israelischen Ministerpräsidenten
Netanjahu zu wenden, dann wird dieser Impuls der Menschlichkeit
gehemmt durch die Feigheit, sich gegen die anscheinende Übermacht
der herrschenden Verhältnisse zu stemmen. Oder wieso schließen
sich nicht noch andere im Saal dem Protest dieser jungen Frauen an?
Was geschähe, wenn das Feuer des Widerstands gegen Rache und
Vergeltung, gegen Vernichtung und Zerstörung übergriffe auf
die ganz normalen, einfachen Leute im Publikum? Wenn sich immer mehr
und mehr dem Protest gegen die offizielle Politik anschlössen,
bliebe den politisch Verantwortlichen in Deutschland
parteiübergreifend nichts anderes übrig als ihre Stimme
klar und deutlich gegen die religiös fanatische Regierung
Israels zu erheben. Für die Deutschen geht es darum, sich von
der Nazi-Vergangenheit und der Schuld ihrer Vorfahren am Holocaust zu
emanzipieren. Es gilt zu erkennen, dass das, was im Westjordanland
vor sich geht, die Annexion von Land, die systematische Vertreibung
von Palästinensern durch die israelische Siedlungspolitik Hand
in Hand geht mit dem an Völkermord grenzenden Krieg im
Gazastreifen. Es gilt zu erkennen, dass ein Aufstehen und
Protestieren, ein Sprengen von Veranstaltungen, wie die des
Bundespräsidenten oder tags zuvor die des Bundeskanzlers Olaf
Scholz im Gewandhaus, ein Gebot des Gewissens und der Menschlichkeit
sind.
Angesichts dieser wenigen, mutigen Frauen, die es wagten
ihre Stimme zu erheben, konnte der Bundespräsident ruhig
bleiben. Zwar zeigt er sich offenkundig nicht der Meinung der
Protestlerinnen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland an einem
Völkermord beteiligt, doch andererseits nimmt er, die
Ordnungskräfte und das Publikum es geduldig hin, dass die jungen
Demonstrantinnen im Rahmen demokratischer Protestformen für die
Palästinenser eintreten. Dennoch bringen die Störungen und
Zwischenreden seinen beißenden Spott, seinen unbeugsamen
Unwillen zu Tage, sich derart die Veranstaltung vermiesen lassen zu
müssen. Er will sich seine Redezeit nicht durch andere Politiken
umgestalten lassen, weil er sich schon von Amts wegen nicht die
Initiative nehmen lassen darf.
Mithin kommt es zu keinem
Gespräch mit den Demonstrantinnen, ein Austausch von Argumenten
auch zwischen den Menschen im Publikum gibt es nicht. Die
Veranstaltung soll nicht umfunktioniert werden, daran hält
sowohl Steinmeier als auch die träge Masse des Publikums fest,
denn ein Hinterfragen der politischen Verantwortungsträger soll
offensichtlich von den Protestlerinnen nicht erzwungen werden können,
weil, das wäre ein Nachgeben, das dann Schule machen würde
und nur zu weiteren solchen Sprengungsversuchen von Veranstaltungen
führen würde. Das entsprechende Motto lautet: Wir sind doch
nicht mehr im Jahre 1968 als die Studentenrevolte solche Mittel
anwandte.
Ohne Frage gibt es aber diese engagierten
Opponentinnen einer Regierungspolitik, die den Schulterschluss mit
einer religiös-rechtsextremen Regierung sucht. Diese
außerparlamentarische Opposition der Menschlichkeit weiter weg
zu schweigen und nicht mit ihnen ins Gespräch zu gehen, zeugt
von einer Angst der deutschen Regierungsvertreter, ihre Maßnahmen
und Verlautbarungen öffentlich hinterfragen zu lassen. Die
Behauptung, solche Debatten gehörten ins Parlament und nicht in
Feierstunden und Veranstaltungen, macht die aufgeworfenen Fragen zu
parteipolitischen Positionen. Die Protestlerinnen als auch die von
den Vorgängen betroffenen Bürger, so behauptet das Ich,
wollen aber genau diese parteipolitische Vereinnahmung und Zuordnung
nicht. Es geht ihnen um Menschenrechte, um das Leben, um nicht zu
sagen das Überleben eines ganzen Volkes und den Frieden.
Parteipolitik ist ihnen schnurz.
Angesichts des islamistischen
Attentats auf eine Moskauer Konzerthalle äußerte der
CDU-Politiker Roderich Kiesewetter erneut die Hypothese einer
False-Flag-Operation von Russland. Bezüglich der Sprengung
der Nord-Stream-Pipeline hatte der Oberst a. D. der Bundeswehr
auch über eine False-Flag-Operation Russlands spekuliert.
Offenbar kennt man sich bei der Bundeswehr mit solchen vorgetäuschten
Attentaten aus. Seltsamer Weise wurde eine soche False-Flag-Operation
Netanjahus religiös-rechtsextremer Regierung nicht unterstellt
als die Hamas unschuldige Zivilisten massakrierte. Obwohl der Mossad,
der israelische Geheimdienst, ansonsten bestens informiert ist, gab
es keine Hinweise auf einen bevor stehenden Hamas Angriff. Ohne Frage
spielt dieses fürchterliche Hamas-Massaker der
religiös-rechtsextremen Regierung Netanjahus in die Hände.
Ob das reicht, wie im Fall Putin, der Warnungen der Moskauer
US-Botschaft in den Wind schlug, den Vorwurf einer indirekten
Beteiligung am Hamas-Angriff zu erheben, mag dahin gestellt bleiben.
In beiden Fällen eskaliert jedoch der Konflikt und die
emotionalisierte Bevölkerung ist zu noch härteren Maßnahmen
als auch Opfern bereit.
Zu
fragen bleibt: Was geschieht mit diesen Menschen, die das Gewissen
treibt auf zu stehen, ihre Stimme zu erheben und Veranstaltungen zu
stören, umzufunktionieren und für ihre Meinungen, ihre
Ansichten, ihren Glauben zu instrumentalisieren? Werden sie angeklagt
wegen Hausfriedensbruch, wegen Ruhestörung, ja, wegen
Volksverhetzung? Oder hat eine demokratisch tolerante Gesellschaft
eben genau solche, sich im friedlichen Rahmen abspielenden
Protestformen zu ertragen, zu erdulden, wenn nicht gar zu nutzen, um
in ein öffentliches, die widersprüchlichen Meinungen,
Ansichten und Betroffenheiten austauschendes Gespräch zu kommen?
Mithin ist die Frage, wie kann es einer demokratischen Gesellschaft
gelingen die so widersprüchlichen Gegensätze mit
Verständnis für einander zu befrieden?
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