Pausen
im Gespräch
von
Dirk
Glomptner
im
Januar 2012
Nachts,
in
einem Behindertenheim zu arbeiten, kann einige Verwicklungen
mit
sich bringen, insbesondere wenn die Geschäftsleitung gegen
den
Willen der Mitarbeiter Entscheidungen fällt. Was passiert
dann? Wie
verhalten sich die Kolleginnen? Sind sie in der Lage, sich
zu
organisieren und mit Hilfe der Gewerkschaft ihre Interessen
zu
wahren? Die nachfolgende Geschichte zeigt auf, wie es ablief
und wie
es sich andernorts nicht wiederholen sollte.
Pausen im Gespräch
Der Gewerkschafter
Pausengespräch: Schlachtplan
Wir haben ihn!
Der Wochenend Schnack und die Zeitzulage
Teamessen zur Weihnacht
Der Gewerkschaftssekretär und dieTeamsitzung
Personen
Pausen
im
Gespräch
Halb
eins in der Nacht. Zu viert saßen sie im Pausenraum
der Nachtwachen,
schlürften Tee zu Butterbroten und tauten langsam auf
zu einem
Gespräch. Es ging natürlich um die Aufarbeitung der
Teamsitzung am
Abend zuvor, insbesondere um den Punkt, dass, so fast
im Nebenher,
vom zuständigen Wohnheimleiter Hermann Bayer
angekündigt wurde, die
Pausenregelung würde sich ab 1. Januar verändern.
Bisher sei es nur
eine gewohnheitsrechtliche Gepflogenheit gewesen, dass
die
halbstündige Pause der Nachtwachen als Arbeitszeit
vergütet worden
wäre. Dadurch, dass nun vier Mitarbeiter pro Nacht am
Platz wären,
könne die ungestörte Pause durch Vertretung eines
anderen Kollegen
gewährleistet werden und damit entfalle der Grund, die
Pause zu
vergüten.
Der
Protest der Nachtwachen wegen der unmöglichen
Dienstpläne und der
strukturellen Überstunden aufgrund des
Personalmangels, einfach weil
Bayer für keine Neueinstellungen im Behinderten
Zentrum Mittelland
gesorgt hatte, führte Anfang Jahr zur Einschaltung der
Gewerkschaft
und dann zu Verbesserungen, auch zu finanziellen
Verbesserungen, die
in mehr Urlaubs- und Krankengeld aufgrund eines
Bundesgerichtsurteils
lagen, das nun auch bei der BZM umgesetzt werden
musste.
Offensichtlich hatte man darauf hin der
Geschäftsleitung überlegt,
dass diese Mehrausgaben woanders herein zu holen
wären. Es galt also
die Vergütung der Pausen zu kippen. Das stellte eine
erhebliche
Gehaltsminderung dar, denn eine halbe Stunde pro Nacht
weniger
summierte sich monatlich bei 16 Nächten auf 8 Stunden
auf, also zu
einer ganzen Nacht Mehrarbeit oder aber zu weniger
Geld.
Als
der Bayer dieses Anliegen der Geschäftsführung
vorbrachte und zwar
in dem Ton, es sei entschieden und würde umgesetzt,
regte sich kein
Widerstand. Die Mitarbeiter waren überrascht und
wussten während
der Teamsitzung nichts zu erwidern oder Gegenargumente
und
Widerspruch zu äußern, jeder war einfach überrumpelt
von dieser
Dreistigkeit, nachdem man nun dachte, es brächen
endlich
friedlichere Zeiten heran.
Später
in der Nach, am Pausentisch, der erste Schock war
überwunden,
wunderte sich Uli, dass man so einfach eine jahrelange
Regelung über
Bord werfen könne. „Ist das denn nicht auch eine
arbeitsvertragliche Sache? Müssen wir da nicht
offiziell Bescheid
bekommen? Und können wir dagegen nicht Widerspruch
einlegen,
schließlich ist das eine Vertragsveränderung.“
Sandy
meinte: „Nun ja, im Tagesdienst kann man ins BZM Café
gehen, da
kann ich mich also wirklich vom Arbeitsort entfernen,
aber in der
Nacht, soll ich da im Wald spazieren gehen?“
„Auf
jeden Fall ist nachzuprüfen, wie es rechtlich mit
solch einer
Veränderung aussieht, sprich ob die das so einfach
machen können“,
stellte Barbara fest, ohne jedoch konkreter zu werden,
wer welche
Schritte unternehmen sollte.
Der
Gewerkschafter
Eine
Woche später. Uli hatte wegen einer anderen Sache –
ein
vorhergehender Arbeitgeber hatte die
Pensionskassenbeiträge nicht
einbezahlt - mit dem Gewerkschaftssekretär Ludwig
Scheibler ein
Gespräch. Inzwischen hatte Ludwig längst Wind von der
Sache mit den
Arbeitspausen bekommen. Er rückte aber nicht heraus,
mit wem er
telefoniert hatte, so dass sich Uli fragte, ob es eine
gewisse
Geheimhaltung gab. Vielleicht war die auch nötig,
weniger wegen der
Zuverlässigkeit gegenüber ihm selbst, auch wenn er ein
Plappermaul
war, als vielmehr zum Schutz vor Anschwärzereien, die
in solchen
Konflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
durchaus immer
wieder vorkamen.
Da
sich Ludwigs Infos mit den Erzählungen Ulis deckten,
konnte sich der
Gewerkschafter ein ziemlich gutes Bild von den
Vorgängen im
Behinderten Zentrum Mittelland machen. Anscheinend
hatte der
ehrgeizige Wohnheimleiter Bayer kurz vor der
Teamsitzung mit mehr
oder weniger Wissen der Gruppenleiterin Ursel die
ersten beiden
Tagesordnungspunkt: Arbeitsmotivation und
Arbeitswünsche sowie
Arbeitspausen Regelung in die Tagesordnung der
Teamsitzung eingefügt.
Nachdem die Teilung des Gesamtteams in zwei
Arbeitsgruppen in den
letzten Monaten sogar mit einem Teambildungsseminar
durchgeführt
worden war, konnten nun mehr die sich daraus
ergebenden
Synergieeffekte abgeschöpft werden. Als erstes war
dies, die bisher
bezahlten Arbeitspausen auszuklammern und dadurch die
effektive
Arbeitszeit markant zu erhöhen. „Oder meinst du“,
fragte
Scheibler den ratlosen Uli, „der Bayer hat sich das
mir nichts dir
nichts aus dem Finger gesogen? Nein, nein, das war von
langer Hand
geplant und gut durchdacht, euch das auf der
Teamsitzung einen Monat
vor Weihnachten – Pietätsabstand, nicht wahr – als
Rechnung für
eure Untaten im Frühjahr zu präsentieren. Das muss ich
diesem
Schlitzohr lassen, ein wahres Meisterstück.“ Dann
führte
Scheibler aus, dass es arbeitsrechtlich eine korrekte
Angelegenheit
wäre. Es gebe Pausen, aber Pausen müssten nicht
bezahlt werden.
Zwar sei es effektiv eine Arbeitszeitverlängerung und
somit eine
wesentliche Veränderung des Arbeitsvertrags, doch die
ließe sich
durch einen Aufhebungs- und anschließenden Neuvertrag
rechtlich
bewerkstelligen. Es gebe zwar eine Dreimonatsfrist zu
beachten, aber
ob eine solche Maßnahme im Januar oder erst im März in
Kraft träte
sei nicht weiter von Bedeutung, denn was sollte
verhindern, dass sie
in Kraft träte? Sein Tonfall klang dabei resigniert,
wie der eines
jungen Mannes, den sein Vater über die Bücher
geschickt hatte, noch
eine Lücke zu finden, ohne jedoch mit Erfolg
strahlendem Glanz in
den Augen und erhobenen Hauptes zu diesem zurückkehren
zu können,
sondern ganz im Gegenteil, Ludwig schien seine
Zuflucht darin zu
nehmen, dass die Welt und in diesem Fall die
Rechtslage so wäre wie
sie war und dass es nicht an ihm läge nun mit
gesenktem Haupt
Trübsal zu blasen. „Wenn überhaupt“, schloss er, „so
ist die
Frage, ob es Kampfbereitschaft im Team gibt, ein
solchen Angriff der
Geschäftsleitung abzuwehren oder zumindest
abzuschwächen.“ An
dieser Stelle winkte Uli müde ab. „Eher nicht“, meinte
er. „Die
Leute haben genug von den Auseinandersetzungen im
Frühjahr. Was
heißt die Leute? Diejenigen, die vom alten Team noch
da und nicht
gegangen sind. Außerdem, Kampfbereitschaft? Was meint
das denn?
Streik? Es geht doch um zwei Vertragsparteien, die
einander gegenüber
stehen und etwas aushandeln und vereinbaren. So, wie
es jetzt steht,
war es auf der letzten Teamsitzung eher ein Überfall
mit der
Neuerung: Kein Geld für die gesetzlich vorgeschriebene
Pause und dem
sei widerspruchslos zuzustimmen.“
„Na
gut“, meinte Ludwig, „dann steht eine Erwiderung auf
eurer
nächsten Teamsitzung am 13. Dezember an.“
„Ja,
und wie soll die aussehen?“, fragte Uli. Scheibler
zuckte hilflos
die Achseln. „Woher soll ich das wissen, was euch
einfallen
könnte?“ Kurze Denkpause: „Also, ich begleite euch
natürlich,
wenn ihr in einen Arbeitskampf eintreten wollt.“
„Ach
du mit deinem Arbeitskampf“, verwarf Uli Scheiblers
Gewerkschaftsdenke. „Es geht um eine
Vertragsveränderung und die
bedarf der Zustimmung und ich kann mir nicht
vorstellen, dass da auch
nur einer zustimmt. Nein, wird man ja wohl sagen
dürfen.“
„Ja,
und was ist dann der nächste Schritt?“, fragte Ludwig.
„Wenn
alle Nein sagen, dann werden sie euch alle entlassen,
das steht schon
mal fest. Vor allem aber werden sie die Rädelsführer
raus kicken,
ist doch klar, so läuft das nun mal im Business, auf
neumodern heißt
das Mobbing. Ich glaub', da habt ihr im BZM auch ein
QualitätsManagement Dokument xy.z, wenn ich mich nicht
täusche. Wie
das wohl entstanden ist? Solche Papiere haben ja immer
ihre
Geschichte.“
Uli
wurde bleich: „Oh man, du machst mir Angst mit deinem
Kampfbegriff.“
„Weiss
nicht, es geht schließlich um Arbeitsplätze, um Die da
oben wollen
etwas und ihr wollt es nicht. Also, haltet mich auf
dem Laufenden.
Ich habe mein nächstes Gespräch mit euch im Januar
bezüglich der
Personal- und Dienstplanung. Es sah ja so aus, als ob
das nun auf
einem guten Geleise sei. Mach's gut. Ich habe gleich
noch eine
Sitzung und das bei einer halben Stelle.“
Pausengespräch:
Schlachtplan
Es
zeigte sich, die Pausen der Nachtwachen waren
tatsächlich ein
Unruheherd sondergleichen für den betrieblichen
Frieden der
Geschäftsleitung. Zum einen mochte das seinen Grund in
den
nächtlichen Fantasiekräften haben, die mehr dem
Traumzustand
zugewandt waren als vergleichbare Gesprächssituationen
am Tage. Zum
anderen gärte der Vorstoß der Geschäftsleitung in
Person des
Wohnheimleiters Bayer im Gemüt der durch ihr Schweigen
beschämten
Teammitglieder, denn es wurde immer deutlicher, was
diese Veränderung
eigentlich bedeutete, bedeuten konnte. Genau genommen
bestand darüber
nämlich Unklarheit: Hieß das, die Soll-Arbeitszeit
blieb dieselbe,
was wiederum hieß öfter in der BZM bleiben zu müssen?
Oder würden
sie weniger verdienen? Solche Fragen geisterten durch
die Köpfe in
der Viererrunden der nächtlichen Pause, die
gelegentlich vom
Alarmklingeln der Handys unterbrochen wurden.
„Das
sind deine Leute“, meinte Sigrid zu Ann.
„Wahrscheinlich Franz,
der etwas zu trinken haben möchte.“ Schnippisch
erwiderte Ann:
„Sorry, ich habe jetzt Pause. Vertrittst du mich
bitte, Hans?“ -
„Wieso ich? Ich habe auch Pause. Das sollen die vom
anderen Team
machen.“ - Nee, nee, nee. Wir haben jetzt auch Pause.
Regelt das
unter euch“, erwiderte Karin. „Seht ihr, das geht gar
nicht.
Bayer und auch unsere liebe Frau Gruppenleiterin haben
uns
versprochen, wenn das Team geteilt würde, dann sollte
das nicht das
nächtliche Zusammenkommen, den Austausch einmal in der
Nacht,
berühren.“ - „Na ja, schwaches Argument, das mag zwar
auch
irgendwo stehen, aber rechtlich ist das einfach
korrekt, was sie da
mit uns abziehen wollen. Wir können nichts machen“,
meinte Hans.
„Wir können nichts machen! Wir können nichts machen!
Wir haben
uns aufzuopfern! Wir haben zu schlucken, was die
Herren und Damen da
oben von uns verlangen! Na super! Entschuldigung, ich
finde das zum
Kotzen! Da haben sie den Wahlspruch in der BZM: Bei
uns spielt der
Mensch die tragende Rolle. Ja, Tag und Nacht. Nur wir,
wir sind keine
Menschen, wir sind Mitarbeiter und denen kann man das
Tragen für
Null abverlangen, ja?!“ Karin staunte, dass sich Ann
so aufregen
und so aus der Haut fahren konnte. So hatte sie Ann
noch nie erlebt:
Leidenschaftlich, fast eifernd, was, so überlegte
Karin für sich
selber, doch schnell ins Hässliche, Unangenehme
ausarten konnte. Das
mochte sie nicht, bei andern, wie für sich selbst,
denn das war doch
so bedrängend, so angriffig. „Hör mal“, meinte sie,
„lass uns
das doch noch einmal ganz ruhig und sachlich
anschauen: Wo steht das
eigentlich, wie es momentan geregelt ist?“ - „Irgendwo
im
Spinnennetz der QM Doks“, fiel ihr Sigrid ins Wort.
„Das ist ein
Labyrinth zu Knossos, in dem ein schreckliches Monster
haust, das
alle auffrisst, die sich da hinein verirren.“ -“Ja,
ja, komm uns
nur mit dem griechischen Mythos, der sogleich das
aktuelle
Finanzdesaster hinter dreien zieht und mir nur vor
Augen führt, was
im Falle einer Kündigung los ist“, meinte Hans. „Und
doch,
manche wagen sich auch in die Höhle des Löwen ...“ -
„Ja,
Verrückte!“ - „ …. wenn er nachts auf Jagd ist und
kommen mit
den herrlichsten Schätzen zurück.“ - „Hans, du bist ja
ein
Träumer“, meinte Karin. „Und typisch Mann, ein
Möchtegern
Held.“ - „Ha, ha, ich sage nichts weiter.“ - „Wie? Du
willst
schweigen darüber, was wir hier in unserer Garküche
aushecken?“ -
„Wieso, was gibt es denn da noch auszuhecken?“ -
„Weiss nicht“,
meinte Sigrid, „uns fällt noch etwas ein.“ - „Ja, aber
was
denn? Gegen das Recht ist kein Kraut gewachsen und die
Konsequenz
davon ist: Tschüss! Du kannst gehen, wenn du nicht
tust, was wir die
da oben sagen, was die von dir wollen. So sieht es
doch aus.“ -
„Ach ja, so sieht es aus?“ fragte Karin
herausgefordert zurück.
„Glaube ich nicht. Sie können uns nicht allen auf
einmal kündigen,
nur weil wir nicht einverstanden sind mit dem, was sie
wollen.“ -
„Aber hinter einander“, warf Hans behände ein. „Ja,
ja, gut,
ihr beiden“, schlichtete Karin. „Der Punkt ist nur,
eine muss das
auch sagen, dass es ihr nicht gefällt und dass sie
nicht zustimmt.
Eine Heldin von euch muss vortreten und sagen, dass
ihr das beim
letzten Mal zu schnell ging, dass sie gar nichts zu
sagen wußte und
dass sie nicht einverstanden ist.“ beharrte Hans auf
seinem
Resignativismus. „Wieso vortreten? Wir sind doch nicht
beim Militär
auf Freiwilligen- und Heldensuche“, hielt Sigrid
dagegen. Ann hatte
sich die ganze Zeit über nachdenklich zurück gelehnt,
dann
schnellte sie plötzlich vor in die kleine Lücke, die
das Gespräch
gerade bot und stieß hervor: „Also, ich stelle mir
vor, auf der
nächsten Teamsitzung ist Bayer fällig. Das weiß er
natürlich und
wird sich mal wieder entsprechend präpariert haben,
aber ihr wisst
ja, wie rot er beim letzten Mal geworden ist und so
jetzt auch
wieder. Habt ihr gesehen, als er sich mit Uli in der
Teamsitzung in
der Pause nach seiner Ankündigung unterhielt. Er ließ
Uli überhaupt
nicht zu Wort kommen. Der verschanzt sich hinter
seiner Brille und
hinter seinem Wortschwall, sprich er hat Schiss?
Wovor, frage ich
euch? Wovor hat der Mann Schiss, wenn doch alles so
rechtlich klar
ist? Ich sag es euch: Davor, dass wir ihn fertig
machen. Davor, dass
wir ihm die Hose runter ziehen mit seinem Manager
Getue, mit seiner
elendigen, hinterhältigen, miesen Stellen Prozent
Finanzplan
Karriere und Geschäftsleiter Denke.“ - „OK, Ann,
krieg' dich
wieder ein“, versuchte sie Karin wieder zurück auf den
Teppich zu
holen. „Du mußt dir vorstellen, er ist ein guter
Ehemann und Vater
von zwei Kindern und er erfüllt nur seine Pflicht,
seinen Job und
der ist nun mal zu schauen, dass die BZM finanziell
gut dasteht.“ -
„Ach so? SS Eichmann war auch ein guter Familienvater,
Gatte und
Klavierspieler. Das hat mithin nichts zu sagen.
Außerdem, was heißt,
dass die BZM gut dasteht? Soweit ich weiß, steht die
in der
Öffentlichkeit überhaupt nicht so gut da und, weißt
du, dass sie
dicke Gewinne machen und das auf unsere Kosten. Ich
finde das
unmöglich!“ - „Ja, das wissen wir doch“, warf Sigrid
ein, „die
BZM macht Gewinne und wir rackern dafür und haben
nichts davon, nur
die da oben.“ - Ann, gequält: „Mit unseren
Arbeitspausen wollen
sie die zusätzliche Gruppenleiter Stelle neben Ursel
finanzieren.
Noch mehr Wasserkopf, noch mehr QM Doks, noch mehr
Kader Runden auf
denen sie solche Schweinereien aushecken. Ich habe
echt keinen Bock
mehr!“ - „Also, noch einmal“, fing Sigrid den fast
verloren
gegangenen Faden über das, was zu tun wäre, wieder
auf: „Die
nächste Teamsitzung, ein Date wie ein Date,
entscheidet darüber, ob
wir uns das bieten lassen und still und stumm
schlucken, was uns
Bayer & Co. verabreichen wollen. Am besten ist,
eine steht auf
und fragt die andern, ob sie einer solchen Veränderung
der
Arbeitsbedingungen zustimmen.“ - „Das kannst du so
nicht fragen“,
meinte Hans. „Das Recht ist auf deren Seite.“ - „Ach,
hör doch
auf mit deinem Recht!“ fuhr ihm Ann dazwischen. „Jeder
von uns
hat einen Vertrag und der kann nur mit Zustimmung
verändert werden.
Und das ist doch nur das Vorspiel für unseren Bayer,
denn dann kommt
eine Aussprache, die er bestimmt nicht mag.“ -
„Genau“,
ergänzte Sigrid, „wenn wir schon nichts ändern können,
dann
möchte ich wenigstens sagen, dass ich finde, dass sie
uns an der
Nase herum führen und das mir das nicht gefällt. So,
ich muss jetzt
zurück auf mein Wohnheim. Gute Nacht, Freunde.“
Wir
haben ihn!
Andere
Menschen,
andere Gespräche. Zum Glück unterschied sich das
Nachtwachenteam in
solche, die 100 oder die 80 Prozent arbeiteten und
dementsprechend
häufiger vor Ort waren und andere, die nur 25 oder 35
Prozent
arbeiteten. Nebenher, diese zehn Prozent Unterschied waren
wichtig,
denn sie bedeuteten für denjenigen, der von 25% auf 35 %
wechselte,
die Möglichkeit, den Status der Festanstellung zu erhalten,
was
neben anderen Vorteilen auch den hatte, in die Pensionskasse
aufgenommen zu werden. Maren meinte dazu abfällig, dass die
BZM als
Arbeitgeber natürlich kein Interesse daran habe, denn sie
müsse
dann auch den Arbeitgeber Anteil in die Pensionskasse
einzahlen.
Innerlich
war das
Team also unterschieden in solche, für die die Bezahlung der
Arbeitspausen kaum ins Gewicht fiel und in solche, für die
sie eine
ganze Nacht an Mehrarbeit bedeuten würde. „In genau dem
Verhältnis
steht auch die Motivation und der Druck sich gegen solche
Veränderungen der Arbeitsbedingungen zu wehren“, stellte
Jens mit
leicht sarkastischen Tonfall fest. Er gehörte zu den
Hundertprozentigen und ihm gefiel die Aussicht, noch länger
arbeiten
zu müssen oder aber weniger Kohle aufs Konto zu bekommen,
gar nicht.
„Aber“, sagte er, „glaub ja nicht, dass ich hier den
Rädelsführer mime. Die haben mich eh schon auf dem Kicker,
wegen
unserer Aktionen im Frühjahr und ich kann mir echt keine
Kündigung
leisten. Erschwerend kommt in meinem Fall hinzu: Ich bin
kein
Schweizer. Ich habe nur eine B-Bewilligung. Die schmeißen
mich dann
raus aus dem Land.“ – „ Das ist doch Blödsinn“, hielt ihm
die ansonsten kleinlaute Naomi entgegen. „ Es gibt doch die
Bilateralen und außerdem, du würdest immer eine Arbeit
irgendwo
anders finden. Solche Fachkräfte mit so viel Erfahrung wie
du, die
gibt es doch sonst kaum. Nee, nee, du hast von uns wohl die
besten
Karten.“
Sie
saßen erst zu
zweit im Pausenraum, denn es gab immer irgend welche
Zwischenfälle,
die verhinderten, dass sie pünktlich um halb ein Uhr
zusammen in die
Pause kommen konnten. Es war Maren, die als dritte herein
kam und
sofort zum bollernden Wasserkocher ging, um sich einen Tee
zu machen.
„Oh, ich sag euch“, meinte sie, „kam ich doch auf die
Wohngruppe 3 und was höre ich da aus Dorothees Zimmer? Ich
wollte es
ja echt nicht glauben: War doch der Urs zu ihr ins Zimmer
gegangen
und lag in ihrem Bett. Wisst ihr, was ich gemacht habe? Ich
bin auf
Zehnspitzen zurück geschlichen. Sollen sie doch. Ich will es
ihnen
nicht verbieten.“ – „Echt? Der Urs war bei ihr? Ich dachte,
sie
wäre mit dem Lathan zusammen?“, fragte Jens. „Ist sie ja
auch“,
grinste Maren, „verstehst du? Auch! Gleichzeitig, mal den
und mal
den. Keine Ahnung, ob sie es nicht so genau nimmt oder
nehmen kann.“
Naomi: „Ich habe in der Kardex gelesen, dass es ein Gespräch
der
Eltern und der Wohnheimleitung gegeben hatte. Endlich wollte
die BZM
mal die Frage der Verhütung bei Doro angehen. Es ist ja so
ein
katholisches Haus, da werden solche Fragen nicht behandelt.
Und?
Wisst ihr, was dabei herauskam? Der Vater will nicht, dass
seine
Tochter verhütet. Stellt euch das vor. Das heißt Klartext,
er lässt
zu, dass Doro ein Kind bekommen kann und wer soll dann auf
dieses
wahrscheinlich auch behinderte Kind acht geben und es groß
ziehen?“
– „Na wer wohl? Wenn nicht der Papa, dann wohl wir.“ – Jens:
„Ja, das ist echt eine Zwickmühle. Wir sind so aufgeklärt,
dass
wir meinen, auch Behinderte sollten die Freuden des Sex
erleben
dürfen, aber wenn das dann konkret abgeht, ist es echt
verflixt.
Hast du es denn schon aufgeschrieben? Am besten ist, du
schreibst, du
hättest Urs nur aus Doros Zimmer kommen sehen, dann bist du
aus dem
Schneider. Nachher musst du noch die Unterhaltszahlungen
leisten.“
– Maren: „Stimmt, am besten, ich schreibe es so.“
Die
Tür ging auf und
Ann kam rein. Mit glänzenden Augen rief sie flüsternd, denn
die
Bewohner der angrenzenden Wohngruppen sollten nicht gestört
werden:
„Wir haben ihn. Wir haben ihn! Er ist geliefert.“ Ann hatte
in
der vorhergehenden Nacht Dienst mit Sandy, Barbara und
Sigrid gehabt
und dabei waren sie im Spinnetz des Labyrinths von Knossos,
in den QM
Doks fündig geworden. „Leute, es verhält sich so“, meinte
sie
genüsslich als sie sich aufs Sofa schwang. „Wir haben einen
Arbeitsvertrag und zu dem Arbeitsvertrag gehören die
allgemeinen
Arbeitsbedingungen der BZM. Meine, mir mit dem
Arbeitsvertrag
ausgehändigten Arbeitsbedingungen, datieren vom letzten
Jahr. Darin
steht, dass die Pausen bezahlt werden und zwar ganz
allgemein in der
ganzen BZM. Wenn sie das bei uns zu ändern anfangen wollen,
dann
werden sie das nach und nach auch bei den anderen
Mitarbeitern im
Tagesdienst tun wollen. OK, das wäre dann die Frage, ob die
im
Tagesdienst sich das bieten lassen. Das ist aber noch nicht
alles.
Sandy hat sich die Stempelkarten und Zeitausweise der
Tagesdienstler
angeguckt. Tatsächlich wird dem Frühdienst und dem
Spätdienst, die
8 Stunden da sind, keine halbe Stunde Pause abgezogen. Sie
wird
bezahlt. Der Clou ist nun, dass bei dem langen Mitteldienst
von 8 bis
19 Uhr nur 10 Stunden aufgeschrieben werden und separat eine
Stunde
Pause abgezogen wird. Laut Schweizerischem Arbeitsgesetz,
Artikel
§15, muss bei über 9 Stunden eine Stunde Pause gegeben
werden und
nun wird diese nicht bezahlt. Laut Arbeitsbedingungen ist
das nicht
zulässig und darum hatte der Bayer Schiss. Die wissen ganz
genau,
wenn nur einer auf die Idee kommt, die Bezahlung dieser
Pause zu
fordern, dann kann die ganze Belegschaft nachziehen. Das
geht in die
Hundert Tausende, denn so was verjährt doch nicht.“ – Jens,
Naomi und Maren waren die Münder herunter gefallen. „Woau!
Ihr
seid super!“ grinste Jens. „Und was machen wir jetzt?“,
fragte
Naomi. „Wie wollen wir vorgehen? Ich meine, wenn das raus
kommt,
dann ist der Bayer doch geliefert. Der hat doch schon im
Frühjahr
die Personalplanung mit uns vergeigt. Und nun auch noch das.
Also,
ich möchte nicht daran Schuld sein, dass der seinen Job
verliert,
schließlich hat er Frau und Kinder.“ – „Ach, darum geht es
doch gar nicht. Außerdem, wir müssen ja auch immer Angst
haben,
wenn wir den Mund aufmachen, dass wir fliegen, dass sie uns
raus
kicken. Sollen die doch auch mal merken, wie das ist?“,
legte Ann
los. „Nee“, unterbrach sie Maren, „ich bin mehr mit Naomis
Ansicht, dass man Gnade vor Recht ergehen lassen sollte. Und
wer sagt
eigentlich, dass der Bayer uns wirklich ans Leder wollte und
uns
nicht vielmehr einen Wink mit dem Zaunpfahl geben wollte,
dass wir
uns mal um diese Pausengelder kümmern?“ – „Was heißt uns?“,
fragte Jens nach. „Es ist Sache der Tagesdienste sich um die
Bezahlung ihrer Pausenzeit zu kümmern. Ich verstehe auch
nicht, dass
da niemand von denen nachhakt. Vielleicht ist das einfach
nur ein
Druckfehler in den Arbeitsbedingungen.“ – „Nee, doch“;
widersprach Maren, „ sie zahlen doch dem Früh- und
Spätdienst die
halbe Stunde Pause. Sie zahlen aber nicht, wenn du, weil du
so lange
arbeitest im Mitteldienst – weißt du wie hart das ist? Der
ganze
Tag ist futsch und du selber auch – wenn du da die ganze
Stunde
Pause hast.“ – „Mensch, nee, das kann doch nicht sein, das
ist
ja für die BZM eine Katastrophe. Was da an Nachforderungen
zusammen
kommt“, stellte Naomi erschrocken fest. „Wir wissen noch
immer
nicht, was wir machen. Also, ich habe überlegt“, warf Ann
ein, „es
gibt neben der VPOD Einzelgewerkschaft ja auch noch den
schweizerischen Gewerkschaftsbund auf kantonaler Ebene. Die
beraten
auch und sie sind mehr politisch orientiert als rechtlich.
Ich kann
mir vorstellen, der Kurt Meier dort, der ist bei den Grünen
sogar
Nationalrat, der weiß mehr, was wir tun und wie wir vorgehen
können.“ – Ah, sie an. Du machst für die Grünen Polit
Werbung.
Ich würde lieber beim VPOD bleiben, der ist mehr SP
orientiert. Aber
meinetwegen.“ – „Also dann, ich frage an.“ Ihre Pause war um
und jeder trollte sich in sein Wohnheim.
Der
Wochenend Schnack und die Zeitzulage
Es
war Samstag, der große Einkaufstag, an dem es nach
allen möglichen
Erledigungen und einem Bummel über den Markt, immer
die Gelegenheit
gab, Freunde zu treffen. Sabina hatte sich mit mit
ihrem Lover Malte
im Cantona verabredet und kam natürlich sofort auf die
letzten
Ereignisse im BZM zu sprechen. Sie stöhnte. „Weißt du,
ich werfe
es mir vor. Ich hätte in der letzten Teamsitzung, als
der Bayer mit
der Arbeitspause kam, den Mund aufkriegen müssen. Habe
ich aber
nicht. Zum einen war ich einfach platt von dieser
Dreistigkeit, von
diesem unverschämten, rücksichtslosen Affront, dass
sie jetzt ohne
Grund die Pausen nicht mehr bezahlen wollen, dabei
haben sie im
letzten Jahr sogar Gewinn gemacht. Mir fiel einfach
kein
Gegenargument ein und zum anderen, …“ – Malte:
„Schatz, das
weiss ich doch schon alles, du drehst dich wie eine
Traumatisierte im
Kreis.“ In diesem Moment kam Caroline vom Tagdienst
mit ihrem
Freund Marco ins Café. Sie begrüßten sich und die
beiden setzten
sich zu ihnen. Sabina war es, als säße sie auf heißen
Kohlen mit
ihrer BZM Geschichte. Ohne weiter auf die Umstände zu
achten, dass
Marco und Malte sich nicht kannten und sie im
Wochenende waren, legte
sie los und fiel wieder mit ihrer Entrüstung nun über
Caroline her.
Brühwarm erzählte sie ihr die ganze Geschichte, wobei
ihr
Hintergedanke darin bestand, von Caroline zu erfahren,
wie es
eigentlich in den Tagesdiensten mit den Pausen stand.
Während dessen
schlürfte Caroline ihren Pfefferminztee und wurde
ungeduldig, dass
sie so gar nicht zu Worte kam. Marco und Malte
schauten sich groß
an, da sie sich aber nicht kannten, kamen sie selber
nicht ins
Gespräch, was Sabina aus den Augenwinkeln auch
wahrnahm, aber nicht
ändern konnte. Sie war mitten drin und konnte
unmöglich aufhören,
ohne mit ihrer Geschichte auf den Punkt gekommen zu
sein. „Mist!“,
dachte sie, während Caroline den letzten Schluck aus
ihrer Teetasse
leerte, ein paar Worte murmelte, dass sie auf ihrer
Wohngruppe kaum
irgend welche Sachen von den anderen Wohngruppen
mitbekäme und dass
über die Arbeitsverhältnisse einfach nicht gesprochen
wurde, auch
nicht darüber, dass laufend Kolleginnen kündigten, was
wegen der
Einarbeitung der Neuen eine enorme Belastung
darstellte. „Sag“,
meinte Caroline, „ihr bekommt doch Zeitzuschläge und
zwar 10
Minuten anstatt wie gesetzlich vorgeschrieben 6
Minuten. An die
wollen sie noch nicht ran?“ Sabina: „Nein, bislang
noch nicht, da
haben sie ja noch etwas in petto. Aber, da sagst du
was: Mit diesen
Zeitzuschlägen arbeiten wir effekiv über neun Stunden
…“ und
wie aus einem Munde sprachen Sabina und Caroline den
Satz zu Ende: „
… und ab neun Stunde gibt es eine Stunde Pause.“ Die
beiden
grinsten sich an wie Honigkuchenpferde und gaben sich
fünf, in dem
Caroline Sabina die offene Handfläche hinhielt in die
diese
hineinklatschte.“Hey, super! Da bin ich ja gespannt,
was da bei
euch raus kommt. Halt mich auf dem Laufenden.“ Damit
schaute
Caroline rüber zu ihrem Marco und wußte, er wollte nur
weg, wollte
mit ihr nach Haus, um mit ihr allein zu sein. „Sorry“,
meinte sie
zu Sabina „wir wollten nur kurz etwas trinken. Laß uns
ein
andermal darüber weiter reden. Wir gehen jetzt nach
Haus“, wobei
sie Marcos Augen suchte und ihn aufmunternd
anlächelte. Sabina
schnallte sofort, dass sie sich mehr hätte zusammen
reißen müssen.
Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie hätte Marco und
ihren Malte
irgendwie ins Gespräch bringen müssen.Später meinte
sie wieder zu
ihrem Malte. „Ich fühle mich ganz blöd, so gedemütigt
und klein
gemacht, weil ich Angst hatte und immer noch habe,
weil ich den Mund
nicht aufkriegte, weil, dann hätten sie mich auf dem
Kicker und
würden mir kündigen. Weißt du, ich will einfach keinen
Ärger
haben und einen ruhigen Job. Und gerade jetzt, wo wir
für drei
Monate auf Reisen gehen. Ich will mir doch nicht das
Arbeitszeugnis
wegen einer solchen Sache versauen. Und wenn wir
zurück sind, dann
stellen die mich bestimmt nicht wieder an, wenn ich
jetzt auf
Revoluzzerin mache. Kurz, wenn ich jetzt als
Rädelsführerin
auffalle, dann kann ich mir einen Job bei der BZM
abschminken. ….
Und, Malte, höre! Andererseits, wenn ich nichts sage,
dann komme ich
mir auch ganz dumm vor und miserabel, dass ich mir so
etwas gefallen
lassen muss. Glaub mir, ich möchte dann in solch einem
Laden nicht
mehr arbeiten, in so einer Klitsche, in der man so
runter gemacht
wird und noch nicht einmal den Mund aufmachen kann.“
Sie schaute
Malte verzweifelt an. Ihre traurigen Augen, in denen
sich Tränen
sammelten, sprachen mehr als ihre Worte von der
Seelennot, in der sie
sich befand. Malte zog sie in seine Arme, herzte sie
und küsste ihr
die Tränen von den Augen. „Woau! Liebes, komm!“ sagte
er. „Ich
kann es gar nicht leiden, dich so zu sehen. Schau, ich
bin doch auch
noch da. Du mußt dir keinen Kopf machen, wenn es hart
auf hart kommt
mit der BZM.“ - Sabina: „Das sagst du so. Ich bin eine
selbständige Frau. Wer weiß, ob wir von unserer Reise
zusammen
zurückkommen und dann stehe ich hinter her alleine
da.“ - Malte:
„Verstehe. Ich, als Mann, an deiner Stelle, verlasse
mich auch
lieber mehr auf mich und meine Fähigkeiten, auf meine
Möglichkeiten,
als dass ich auf andere angewiesen bin. Aber du bist
kein Mann,
sondern eine Frau und ganz ehrlich, dich ein wenig
mehr von mir
abhängig zu wissen, das machte mich sicherer, das
machte mich
stärker, warte, das machte mich …?“ Sabina:
„Männlicher?“ -
Malte: „Ja, auch und selbstbewusster, dir gegenüber in
unserer
Beziehung. Das fühlt sich gut an. Ich kann nichts
dafür. Das ist
einfach so.“ - Sabina: „Macht haben über andere fühlt
sich gut
an … ?! Warte, habe ich das auch? Fühle ich das auch
so? Ich sage
dir nur, du trägst damit auch Verantwortung und damit
habe ich dich
dann. Du wirst deines Lebens nicht mehr froh, wenn du
mich unter
solchen Bedingungen hängen lässt, jedenfalls, wenn du
der bist, den
ich mir in meinem Herzen vorstelle, also, wenn du
wirklich der Mann
bist, den ich liebe.“ - Malte: „Ja, und wenn wir uns
nicht mehr
lieben? Schau doch nur diese erstarrten Beziehungen
und Ehen an, mit
Kindern, Haus, Schulden und den Eltern, sprich den
Großeltern, diese
gutbürgerlichen Familien mit ihrem Weihnachtsglück
Theater, dass
sie jedes Jahr aufführen. Da geht doch nichts mehr und
die haben
sich alle mal geliebt.“ – Sabina: „Darum ist mir meine
Unabhängigkeit als Frau ja auch so wichtig und
deswegen liebe ich
meinen Job. … Nur, aus demselben Grund ist es mir bei
der Arbeit
auch so wichtig, dass die Verhältnisse stimmen und
nicht dieselben
Machtspielchen wie zu Hause laufen und genau solche
Abhängigkeitsverhältnisse herrschen. Das ist doch
widerlich.“ –
Malte: „Geschäft, von anderen etwas günstiger oder
mehr zu
wollen, dass ist doch überall so. Der Punkt bei euch
im Team ist
jedoch, dass die meisten irgendwie mit ihrer ganzen
Existenz da dran
hängen und nicht so mal eben zu einem anderen
Autohändler gehen
können, wenn der erste in der Gegend im Preis nicht
nachgibt.“ –
Sabina: „Typisch, deine ökonomische Denke, die ist
auch voll
patriarchial. Bei uns auf der Arbeit geht es doch um
was ganz
anderes. Gestern Nacht zum Beispiel, da habe ich eine
ältere
Kollegin eingearbeitet. So eine richtige Mutti, weißt
du und die
meint es gut und der liegt etwas an den Behinderten
und die macht das
gerne, aber glaub mal, als es um die Arbeitspausen
ging, da hiess es
nur, die da oben haben das beschlossen und dann wird
das schon
richtig sein und ausserdem der Streit, der Tonfall,
mit dem der Herr
Geschäftsführer damals angegangen worden sei, der wäre
ganz
hässlich und gemein gewesen und das könne und das
wolle sie nicht
mitmachen. Lieber verzichte sie und gebe nach. Es sei
doch kein
schlechter Job und so schwer wäre es doch gar nicht
während der
Nacht. So redete sie und ich merkte, wie sie sich
einen in die Tasche
log, nur um keine Auseinandersetzung zu haben. Und so
war es auch mit
einer anderen Kollegin. Wir müssten doch so wenig tun
in der Nacht
und bekämen noch Geld dafür. Die beiden machten mich
ganz mutlos,
ganz hilflos. Die kuschen lieber, anstatt dass sie
sich auf ihre
Hinterbeine stellen. Und für die soll ich die
glühenden Kohlen aus
dem Feuer holen? Ich spinne doch nicht. Ich gehe
lieber.“ –
Malte: „Da, wo du hingehst, waren sie aber auch schon.
Früher hieß
es Aussteigen, bis die Aussteiger merkten, dass sie im
gleichen
Atemzug woanders einsteigen und dass der US Dollar
längst vor ihnen
da war. Solchen Illusionen gehe ich nicht mehr auf den
Leim.“
Teamessen
zur Weihnacht
Doch,
Uli beunruhigte dieses mitleidige Lächeln, dass er von
Bayer rüber
wachsen fühlte. Wieso? Weshalb? Woher nahm Bayer
dieses
bemitleidende Lächeln? Aus den Augenwinkeln hatte es
Uli gesehen,
dem Schatten einer Wolke gleich, die der Seewind übers
Land treibt,
noch ehe es aus Bayers Gesichtszügen verschwunden war.
Wusste er
alles? Hatte dem Bayer jemand gesteckt, was wirklich
ablief? Da saßen
sie alle putzmunter und fröhlich zusammen im
Seerestaurant - die BZM
ließ etwas springen für die Belegschaft zur Weihnacht,
das
summierte sich – und das ganze Team tat so, als wäre
nichts, als
wäre alles in bester Ordnung und die Sache mit den
Arbeitspausen
schon vergessen und vorbei. Anscheinend trug nur er
sich mit der
Schmach, mit der Demütigung, mit seinem verletzten
Stolz klein
beigeben zu müssen gegenüber Bayer und der BZM. Es
wurde einfach
nicht darüber geredet, selbst in der Nacht, in den
Pausen, wurde
nicht darüber geredet. Das Thema wurde einfach
totgeschwiegen. Uli
kam das bekannt vor. Das war das typische Vergessen
Wollen, das war
das Weg Gucken Wollen, das war das Verleugnen und das
war schon immer
so, wenn die Ohnmacht der Mutlosen vor der Gewalt, vor
der Furcht vor
Konsequenzen sprachlos machte. Die Wahrheit war, Uli
schämte sich
seiner selbst. Er suchte nach Gründen, dass doch alles
gut sei, dass
es eine gute Arbeit sei und dass die BZM mit dem
Weihnachtsessen doch
zeigte, dass sie es mit ihren Mitarbeitern gut meinte.
Er schaute
rüber zu Ann, Barbara, Maren und Karin, sie waren die
Gewerkschafterinnen, sie waren mit ihm die
Drähtezieherinnen des
heimlichen Aufstands. Im Grunde arbeiteten sie jetzt
im Untergrund.
Es war doch klar, dass, wenn Scheibler den Brief an
die
Geschäftsleitung abschickte, die Bombe hoch ging.
Unklar war
allerdings, was dann abging. Bayer saß ihm schräg
gegenüber,
eigentlich ein lieber Mann, dachte Uli: Freundlich,
ja, sogar der
gewisse Charme eines noch immer irgendwie jugendlich
wirkenden
Mannes, der auf Frauen einen attraktiven Eindruck
machen konnte, weil
er auch seine weichen, zarten Seiten zuließ. Ja, Bayer
verstand es,
mit seiner sympathischen Ader dafür zu werben, dass
jetzt alles so
wie besprochen weiter ginge. Die letzten Nächte kam
frisch heraus,
dass in dem wieder einmal viel zu spät vorgelegten
Januar Dienstplan
die neue Pausenregelung schon umgesetzt war. Und
keiner sagte etwas.
Schließlich saßen sie zum Weihnachtsessen zusammen. Es
wäre ein
Fauxpas sondergleichen, würde jemand dieses Thema
während des
Weihnachtsessens ansprechen. Genau deshalb war es eine
solch
doppelbödige Situation, einem Maskenball vergleichbar.
Deshalb
bildete er sich Bayers mitleidiges Lächeln nur ein,
schloss Uli.
Dieses zwiespältige Geschehen provozierte förmlich
seinen
paranoiden Verfolgungswahn, weil: für ihn lauerte
hinter jeder Ecke
die Gefahr und der Feind, da er unerkannt im Dunklen
an der Bombe
mitbastelte, die Bayer hochgehen lassen sollte. Zum
Beispiel, als er
sich mit seiner Tischnachbarin Laura, einer 25
prozentigen und
Neuseeländerin, unterhielt. Eigentlich mache sie
glatte vierzig
Prozent, aber Bayer gab ihr keinen Vertrag mit 30
Prozent, der ihr
erlaubt hätte, in die Festanstellung zu wechseln.
Vertraulich
erklärte Uli Laura, sie solle sich das mal
aufschreiben, wie viele
Prozent sie Monat für Monat tatsächlich arbeitete, wie
sehr sie
also gebraucht wurde, so dass sie belegen könne, dass
sie effektiv
mehr als 30 Prozent gebraucht würde. Laura schwieg.
Ihr war
anzusehen, dass ihr die Vorstellung weiche Knie
bereitete. Die
Vorstellung, sie solle mit einer Forderung an Bayer
herantreten und
nicht mit einer Bitte, die gnädigst gewährt würde,
irgendwann,
vielleicht einmal, schien ihr mehr als abwegig.
Ausländerin, die sie
war, durfte sie froh sein, überhaupt einen Job in der
Schweiz
gefunden zu haben. Während Uli auf sie einredete und
sah, was er da
anrichtete, spürte er, dass Bayer wie von einem
Magneten angezogen
zu ihnen herüber schaute, was die beiden da so
eindringlich
miteinander zu reden hätten. Vielleicht waren ihm ein
paar Worte und
Satzfetzen zwischen anderen zugeflogen, vielleicht
setzte er sich
deshalb bald zu ihnen an den Tisch, vielleicht
lächelte er wegen
Laura und seinen Bemühungen so mitleidig, denn Bayer
hatte Laura
fest im Griff. Er war sich sicher: Die? Nimmernie.
Später erwähnte
Laura, Bayer wäre zur Taufe ihres Kindes gekommen. Für
Uli lief ein
Film ab: Der gute Chef, der sich um seine arme
Mitarbeiterin
kümmerte, der sogar zur Taufe des Kindes kam, ganz
Patron, ganz
familiale Verhältnisse im Betrieb. Wie sollte Laura da
auch nur
wagen eine Forderung zu stellen? Unmöglich. Es waren
genau die
Strukturen mittels derer eiserne Ketten der
Abhängigkeit geschmiedet
wurden, aus denen sich zu befreien bedeutete, ganz
persönlich untreu
und falsch zu sein. Bayer baute sich ein soziales Netz
solcher
Abhängigkeitsverhältnisse in deren Mitte er als Spinne
hockend
darauf vertrauen konnte, dass ihm alles zuarbeitete.
Während solcher
Gedanken prostete er Bayer zu, scherzte und lachte mit
ihm und
wunderte sich, dass er zu solch Falschheiten in der
Lage war.
Der
Gewerkschaftssekretär und dieTeamsitzung
Das
abschließende Gespräch mit dem Gewerkschaftssekretär
war mehr als
ernüchternd. Die schweizerischen Arbeitsverhältnisse
zeigten sich
aus Marens deutscher Perspektive als eine Katastrophe.
Wenn das
deutsche Arbeitsrecht, das neben
Kündigungsschutzrechten vor allem
die Stellung der Betriebsräte im Unternehmen
garantierte, im
europäischen, im transatlantischen und im globalen
Zusammenhang
gesehen wurde, dann erwies es sich schnell als eine
Ausnahme.
Momentan ließ sich aufgrund der guten Wirtschaftslage
in Deutschland
zwar mal wieder behaupten, aufgrund eben genau dieser
Arbeitnehmer-
und Gewerkschaftsrechte sei die deutsche Wirtschaft so
leistungsfähig, doch ein solches Argument hatte sich
sofort den
Vorwurf des Funktionalismus vorwerfen zu lassen, denn
es sollte der
allgemeinen Tendenz in der EU entgegenwirken, eben
diese
Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte dem allgemeinen
Standard in der
EU anzupassen.
Übertrug
sie anhand ihrer Erfahrungen im schweizerischen
Behinderten Zentrum
Mittelland, was insgeheim in den Brüsseler EU
Kommissionen für
Justiz, Industrie und Osterweiterung Hin- und
hergeschoben wurde,
dann würden in Deutschland als bald die Betriebsräte
abgeschafft
und durch sogenannte Personalkommissionnen ersetzt
werden. Ebenso
stand an, die Kündigungsschutzrechte zu reduzieren,
insbesondere
also Kündigungen ohne Angabe von Gründen möglichst
kurzfristig
aussprechen zu können. De facto bedeutete dies, dass
die
Geschäftsleitung, in persona des Heimleiters Bayer,
die Frauen im
BZM, sollten sie weiter Widerstand gegen die
Streichung ihrer
bezahlten Pause leisten, kurzer Hand entlassen würde.
Das war eine
Rechtslage, die in etwa syrischen Verhältnissen unter
Diktator Assad
entsprach: Wer sich auflehnt, der darf erschossen
werden. Die Frage
war nun, wie ließ sich unter solchen Bedingungen trotz
dessen etwas
für die Nachtwachen erreichen? Hilfreich wäre
sicherlich ein Roman
aus der Zeit des ausgehenden Kaiserreichs, in dem die
Tricks,
Intrigen, die geheimen Machenschaften und schließlich
die
Gerichtsprozesse und offenen Arbeitskämpfe beschrieben
wurden. Von
den Alten konnte sicherlich einiges gelernt werden,
hatten sich die
Verhältnisse doch wieder den vorherigen Zuständen
angeglichen.
Maren
war wie viele deutsche Gastarbeiter in der Schweiz in
ihrem
Nachtwachenfrei zu ihrem Freund Malte nach Dresden
gefahren. Sie
hatte die so bedeutsame Teamsitzung, in der Bayer
runter gemacht
werden sollte und vor allem in der erreicht werden
sollte, dass die
neue Pausenreglung zurück genommen würde, nicht
mitgemacht. Sie
hörte lediglich in einzelnen Erzählungen von dem
Ablauf. Es waren
karge Erzählungen, ernüchtert, resigniert und ohne
jeden weiteren
Elan etwas zu zu unternehmen. Bayer war erst gar nicht
in Vorahnung,
was ihm blühte, zur Sitzung erschienen. Einzig die
Gruppenleiterin
Ursel konnte als Ansprechparter für die
Unterehmensleitung
herhalten, doch die hatte sich in Weiser Voraussicht
geschickt aus
dem ganzen Vorgang heraus gehalten. Ohne direkten
Ansprechpartner
konnte die Veranstaltung also nur eine Frust
produzieren und der
entlud sich bei Ann, Barbara und Hans in schrillen,
boshaften Tönen,
dabei über die Stränge schlagend mit Vorwürfen und
Eröffnung von
Nebenschauplätzen wie dem, dass sie weder
Arbeitskittel gestellt
bekämen noch eine Waschzulage für ihre Arbeitskleidung
erhielten.
An erschien nach der Teamsitzung wegen Krankheit nicht
zum Dienst,
was einen herben Schlag in die Weihnachtsdienstplanung
bedeutete und
Hans hatte die Sitzung gar vorzeitig unter Protest und
Ausrufen, das
sei ja alles eine Farce wütend verlassen. Der Rest
schwieg und ergab
sich in sein Schicksal. Von Barbara war dann später zu
hören, sie
würde im Frühjahr für drei Monate auf eine Burn Out
Kur in die
psycho-somatische Kurklinik Freudenthal gehen. Maren
selber, aber das
war vorher schon klar gewesen, verabschiedete sich auf
sechs Monate
Weltreise mit ihrem Malte, wobei sie sich offen halten
wollte, in das
BZM zurück zu kommen, insgeheim aber hoffte, dass
Malte sich in Züri
eine Stelle finden würde, so dass er von Dresden nach
Züri umzog
und sie beide dort eine Wohnung nähmen.
Ihr
Besuch beim Gewerkschaftssekretär Scheibler war
eigentlich nur dem
Austritt wegen ihrer Reise geschuldet. Ein Umstand,
der ihm
offensichtlich gegen den Strich ging, denn er bestand
auf seiner
Dreimonats Kündigungsfrist mit dem Hinweis darauf, die
Gewerkschaften seien für die meisten eh nur eine
Arbeitsrechtsschutzversicherung. Außerdem, so führte
er aus, seien
ihre Überlegungen im Nachtwachenteam Blödsinn gewesen.
Zum einen
bekämen sie doch 4 Minuten pro Stunde Zeitzulage mehr
als gesetzlich
vorgeschrieben, zum anderen verhielte es sich
gesetzlich so, dass
zwar Pausen gewährt werden müßten, doch nicht, dass
diese entlohnt
würden. Darüber hinaus seien in ihren
Arbeitsbedingungen nur
Kaffeepausen gemeint, denn ansonsten hätte schon
längst jemand
entsprechende Forderungen aufgestellt. Eine
gerichtliche
Auseinandersetzung auf der Grundlage der
Arbeitsbedingungen würde er
deshalb auf keinen Fall führen, das sei sinnlos.
Vielmehr sollten
sie zusehen, dass sie sich mit den Leuten vom
Kantonsspital zusammen
täten, um so gemeinsam Druck auf die übergeordnete
Gesundheitsbehörde des Kantons zu machen. Das sei im
übrigen auch
die politische Direktive, die er ihnen aus dem
Schweizerischen
Gewerkschaftsbund mitgeben könne. Scheibler hatte also
davon gehört,
dass sie sich an den SGB gewandt hatten, was er ihnen
offensichtlich
übel nahm.
Scheibler
hielt also voll dagegen, machte mutlos und drang auf
Arbeitskampf,
wobei er sehr wohl wusste, dass die Mehrzahl der
Nachtwachen solche
Auseinandersetzungen scheuten. Das Resultat bestand
für ihn
dementsprechend in weniger Arbeit. OK, sagte sich
Maren, und auch ich
mache mich von diesem Acker, diesem weiten Feld, dass
so fruchtbar
scheint und doch so schwierig zu bestellen ist.
Personen:
Nachtwachen
jeweils in vierer Pausengruppen:
Ann
G100%,
Sigrid,
Karin
G100%,
Hans
– Uli G80%,
Sandy,
Barbara
G80%,
Michelle
Maren
G80,
Jens,
Naomi,
Ann
– Laura 25%,
Uli
G80%,
Karin
G100%
Ursel,
Gruppenleiterin
Hermann
Bayer, Wohnheimleiter
Bewohner:
Franz, Dorothee, Urs, Lathan
Ludwig
Scheibler, Gewerkschafter,
Caroline
vom Tagesdienst,
Freunde:
Malte und Marco