Pausen im Gespräch



von

Dirk Glomptner

im Januar 2012





Nachts, in einem Behindertenheim zu arbeiten, kann einige Verwicklungen mit sich bringen, insbesondere wenn die Geschäftsleitung gegen den Willen der Mitarbeiter Entscheidungen fällt. Was passiert dann? Wie verhalten sich die Kolleginnen? Sind sie in der Lage, sich zu organisieren und mit Hilfe der Gewerkschaft ihre Interessen zu wahren? Die nachfolgende Geschichte zeigt auf, wie es ablief und wie es sich andernorts nicht wiederholen sollte.



Inhaltsverzeichnis

Pausen im Gespräch

Der Gewerkschafter

Pausengespräch: Schlachtplan

Wir haben ihn!

Der Wochenend Schnack und die Zeitzulage

Teamessen zur Weihnacht

Der Gewerkschaftssekretär und dieTeamsitzung

Personen






Pausen im Gespräch





Halb eins in der Nacht. Zu viert saßen sie im Pausenraum der Nachtwachen, schlürften Tee zu Butterbroten und tauten langsam auf zu einem Gespräch. Es ging natürlich um die Aufarbeitung der Teamsitzung am Abend zuvor, insbesondere um den Punkt, dass, so fast im Nebenher, vom zuständigen Wohnheimleiter Hermann Bayer angekündigt wurde, die Pausenregelung würde sich ab 1. Januar verändern. Bisher sei es nur eine gewohnheitsrechtliche Gepflogenheit gewesen, dass die halbstündige Pause der Nachtwachen als Arbeitszeit vergütet worden wäre. Dadurch, dass nun vier Mitarbeiter pro Nacht am Platz wären, könne die ungestörte Pause durch Vertretung eines anderen Kollegen gewährleistet werden und damit entfalle der Grund, die Pause zu vergüten.

Der Protest der Nachtwachen wegen der unmöglichen Dienstpläne und der strukturellen Überstunden aufgrund des Personalmangels, einfach weil Bayer für keine Neueinstellungen im Behinderten Zentrum Mittelland gesorgt hatte, führte Anfang Jahr zur Einschaltung der Gewerkschaft und dann zu Verbesserungen, auch zu finanziellen Verbesserungen, die in mehr Urlaubs- und Krankengeld aufgrund eines Bundesgerichtsurteils lagen, das nun auch bei der BZM umgesetzt werden musste. Offensichtlich hatte man darauf hin der Geschäftsleitung überlegt, dass diese Mehrausgaben woanders herein zu holen wären. Es galt also die Vergütung der Pausen zu kippen. Das stellte eine erhebliche Gehaltsminderung dar, denn eine halbe Stunde pro Nacht weniger summierte sich monatlich bei 16 Nächten auf 8 Stunden auf, also zu einer ganzen Nacht Mehrarbeit oder aber zu weniger Geld.

Als der Bayer dieses Anliegen der Geschäftsführung vorbrachte und zwar in dem Ton, es sei entschieden und würde umgesetzt, regte sich kein Widerstand. Die Mitarbeiter waren überrascht und wussten während der Teamsitzung nichts zu erwidern oder Gegenargumente und Widerspruch zu äußern, jeder war einfach überrumpelt von dieser Dreistigkeit, nachdem man nun dachte, es brächen endlich friedlichere Zeiten heran.

Später in der Nach, am Pausentisch, der erste Schock war überwunden, wunderte sich Uli, dass man so einfach eine jahrelange Regelung über Bord werfen könne. „Ist das denn nicht auch eine arbeitsvertragliche Sache? Müssen wir da nicht offiziell Bescheid bekommen? Und können wir dagegen nicht Widerspruch einlegen, schließlich ist das eine Vertragsveränderung.“

Sandy meinte: „Nun ja, im Tagesdienst kann man ins BZM Café gehen, da kann ich mich also wirklich vom Arbeitsort entfernen, aber in der Nacht, soll ich da im Wald spazieren gehen?“

Auf jeden Fall ist nachzuprüfen, wie es rechtlich mit solch einer Veränderung aussieht, sprich ob die das so einfach machen können“, stellte Barbara fest, ohne jedoch konkreter zu werden, wer welche Schritte unternehmen sollte.










Der Gewerkschafter




Eine Woche später. Uli hatte wegen einer anderen Sache – ein vorhergehender Arbeitgeber hatte die Pensionskassenbeiträge nicht einbezahlt - mit dem Gewerkschaftssekretär Ludwig Scheibler ein Gespräch. Inzwischen hatte Ludwig längst Wind von der Sache mit den Arbeitspausen bekommen. Er rückte aber nicht heraus, mit wem er telefoniert hatte, so dass sich Uli fragte, ob es eine gewisse Geheimhaltung gab. Vielleicht war die auch nötig, weniger wegen der Zuverlässigkeit gegenüber ihm selbst, auch wenn er ein Plappermaul war, als vielmehr zum Schutz vor Anschwärzereien, die in solchen Konflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern durchaus immer wieder vorkamen.

Da sich Ludwigs Infos mit den Erzählungen Ulis deckten, konnte sich der Gewerkschafter ein ziemlich gutes Bild von den Vorgängen im Behinderten Zentrum Mittelland machen. Anscheinend hatte der ehrgeizige Wohnheimleiter Bayer kurz vor der Teamsitzung mit mehr oder weniger Wissen der Gruppenleiterin Ursel die ersten beiden Tagesordnungspunkt: Arbeitsmotivation und Arbeitswünsche sowie Arbeitspausen Regelung in die Tagesordnung der Teamsitzung eingefügt. Nachdem die Teilung des Gesamtteams in zwei Arbeitsgruppen in den letzten Monaten sogar mit einem Teambildungsseminar durchgeführt worden war, konnten nun mehr die sich daraus ergebenden Synergieeffekte abgeschöpft werden. Als erstes war dies, die bisher bezahlten Arbeitspausen auszuklammern und dadurch die effektive Arbeitszeit markant zu erhöhen. „Oder meinst du“, fragte Scheibler den ratlosen Uli, „der Bayer hat sich das mir nichts dir nichts aus dem Finger gesogen? Nein, nein, das war von langer Hand geplant und gut durchdacht, euch das auf der Teamsitzung einen Monat vor Weihnachten – Pietätsabstand, nicht wahr – als Rechnung für eure Untaten im Frühjahr zu präsentieren. Das muss ich diesem Schlitzohr lassen, ein wahres Meisterstück.“ Dann führte Scheibler aus, dass es arbeitsrechtlich eine korrekte Angelegenheit wäre. Es gebe Pausen, aber Pausen müssten nicht bezahlt werden. Zwar sei es effektiv eine Arbeitszeitverlängerung und somit eine wesentliche Veränderung des Arbeitsvertrags, doch die ließe sich durch einen Aufhebungs- und anschließenden Neuvertrag rechtlich bewerkstelligen. Es gebe zwar eine Dreimonatsfrist zu beachten, aber ob eine solche Maßnahme im Januar oder erst im März in Kraft träte sei nicht weiter von Bedeutung, denn was sollte verhindern, dass sie in Kraft träte? Sein Tonfall klang dabei resigniert, wie der eines jungen Mannes, den sein Vater über die Bücher geschickt hatte, noch eine Lücke zu finden, ohne jedoch mit Erfolg strahlendem Glanz in den Augen und erhobenen Hauptes zu diesem zurückkehren zu können, sondern ganz im Gegenteil, Ludwig schien seine Zuflucht darin zu nehmen, dass die Welt und in diesem Fall die Rechtslage so wäre wie sie war und dass es nicht an ihm läge nun mit gesenktem Haupt Trübsal zu blasen. „Wenn überhaupt“, schloss er, „so ist die Frage, ob es Kampfbereitschaft im Team gibt, ein solchen Angriff der Geschäftsleitung abzuwehren oder zumindest abzuschwächen.“ An dieser Stelle winkte Uli müde ab. „Eher nicht“, meinte er. „Die Leute haben genug von den Auseinandersetzungen im Frühjahr. Was heißt die Leute? Diejenigen, die vom alten Team noch da und nicht gegangen sind. Außerdem, Kampfbereitschaft? Was meint das denn? Streik? Es geht doch um zwei Vertragsparteien, die einander gegenüber stehen und etwas aushandeln und vereinbaren. So, wie es jetzt steht, war es auf der letzten Teamsitzung eher ein Überfall mit der Neuerung: Kein Geld für die gesetzlich vorgeschriebene Pause und dem sei widerspruchslos zuzustimmen.“

Na gut“, meinte Ludwig, „dann steht eine Erwiderung auf eurer nächsten Teamsitzung am 13. Dezember an.“

Ja, und wie soll die aussehen?“, fragte Uli. Scheibler zuckte hilflos die Achseln. „Woher soll ich das wissen, was euch einfallen könnte?“ Kurze Denkpause: „Also, ich begleite euch natürlich, wenn ihr in einen Arbeitskampf eintreten wollt.“

Ach du mit deinem Arbeitskampf“, verwarf Uli Scheiblers Gewerkschaftsdenke. „Es geht um eine Vertragsveränderung und die bedarf der Zustimmung und ich kann mir nicht vorstellen, dass da auch nur einer zustimmt. Nein, wird man ja wohl sagen dürfen.“

Ja, und was ist dann der nächste Schritt?“, fragte Ludwig. „Wenn alle Nein sagen, dann werden sie euch alle entlassen, das steht schon mal fest. Vor allem aber werden sie die Rädelsführer raus kicken, ist doch klar, so läuft das nun mal im Business, auf neumodern heißt das Mobbing. Ich glaub', da habt ihr im BZM auch ein QualitätsManagement Dokument xy.z, wenn ich mich nicht täusche. Wie das wohl entstanden ist? Solche Papiere haben ja immer ihre Geschichte.“

Uli wurde bleich: „Oh man, du machst mir Angst mit deinem Kampfbegriff.“

Weiss nicht, es geht schließlich um Arbeitsplätze, um Die da oben wollen etwas und ihr wollt es nicht. Also, haltet mich auf dem Laufenden. Ich habe mein nächstes Gespräch mit euch im Januar bezüglich der Personal- und Dienstplanung. Es sah ja so aus, als ob das nun auf einem guten Geleise sei. Mach's gut. Ich habe gleich noch eine Sitzung und das bei einer halben Stelle.“










Pausengespräch: Schlachtplan




Es zeigte sich, die Pausen der Nachtwachen waren tatsächlich ein Unruheherd sondergleichen für den betrieblichen Frieden der Geschäftsleitung. Zum einen mochte das seinen Grund in den nächtlichen Fantasiekräften haben, die mehr dem Traumzustand zugewandt waren als vergleichbare Gesprächssituationen am Tage. Zum anderen gärte der Vorstoß der Geschäftsleitung in Person des Wohnheimleiters Bayer im Gemüt der durch ihr Schweigen beschämten Teammitglieder, denn es wurde immer deutlicher, was diese Veränderung eigentlich bedeutete, bedeuten konnte. Genau genommen bestand darüber nämlich Unklarheit: Hieß das, die Soll-Arbeitszeit blieb dieselbe, was wiederum hieß öfter in der BZM bleiben zu müssen? Oder würden sie weniger verdienen? Solche Fragen geisterten durch die Köpfe in der Viererrunden der nächtlichen Pause, die gelegentlich vom Alarmklingeln der Handys unterbrochen wurden.




Das sind deine Leute“, meinte Sigrid zu Ann. „Wahrscheinlich Franz, der etwas zu trinken haben möchte.“ Schnippisch erwiderte Ann: „Sorry, ich habe jetzt Pause. Vertrittst du mich bitte, Hans?“ - „Wieso ich? Ich habe auch Pause. Das sollen die vom anderen Team machen.“ - Nee, nee, nee. Wir haben jetzt auch Pause. Regelt das unter euch“, erwiderte Karin. „Seht ihr, das geht gar nicht. Bayer und auch unsere liebe Frau Gruppenleiterin haben uns versprochen, wenn das Team geteilt würde, dann sollte das nicht das nächtliche Zusammenkommen, den Austausch einmal in der Nacht, berühren.“ - „Na ja, schwaches Argument, das mag zwar auch irgendwo stehen, aber rechtlich ist das einfach korrekt, was sie da mit uns abziehen wollen. Wir können nichts machen“, meinte Hans. „Wir können nichts machen! Wir können nichts machen! Wir haben uns aufzuopfern! Wir haben zu schlucken, was die Herren und Damen da oben von uns verlangen! Na super! Entschuldigung, ich finde das zum Kotzen! Da haben sie den Wahlspruch in der BZM: Bei uns spielt der Mensch die tragende Rolle. Ja, Tag und Nacht. Nur wir, wir sind keine Menschen, wir sind Mitarbeiter und denen kann man das Tragen für Null abverlangen, ja?!“ Karin staunte, dass sich Ann so aufregen und so aus der Haut fahren konnte. So hatte sie Ann noch nie erlebt: Leidenschaftlich, fast eifernd, was, so überlegte Karin für sich selber, doch schnell ins Hässliche, Unangenehme ausarten konnte. Das mochte sie nicht, bei andern, wie für sich selbst, denn das war doch so bedrängend, so angriffig. „Hör mal“, meinte sie, „lass uns das doch noch einmal ganz ruhig und sachlich anschauen: Wo steht das eigentlich, wie es momentan geregelt ist?“ - „Irgendwo im Spinnennetz der QM Doks“, fiel ihr Sigrid ins Wort. „Das ist ein Labyrinth zu Knossos, in dem ein schreckliches Monster haust, das alle auffrisst, die sich da hinein verirren.“ -“Ja, ja, komm uns nur mit dem griechischen Mythos, der sogleich das aktuelle Finanzdesaster hinter dreien zieht und mir nur vor Augen führt, was im Falle einer Kündigung los ist“, meinte Hans. „Und doch, manche wagen sich auch in die Höhle des Löwen ...“ - „Ja, Verrückte!“ - „ …. wenn er nachts auf Jagd ist und kommen mit den herrlichsten Schätzen zurück.“ - „Hans, du bist ja ein Träumer“, meinte Karin. „Und typisch Mann, ein Möchtegern Held.“ - „Ha, ha, ich sage nichts weiter.“ - „Wie? Du willst schweigen darüber, was wir hier in unserer Garküche aushecken?“ - „Wieso, was gibt es denn da noch auszuhecken?“ - „Weiss nicht“, meinte Sigrid, „uns fällt noch etwas ein.“ - „Ja, aber was denn? Gegen das Recht ist kein Kraut gewachsen und die Konsequenz davon ist: Tschüss! Du kannst gehen, wenn du nicht tust, was wir die da oben sagen, was die von dir wollen. So sieht es doch aus.“ - „Ach ja, so sieht es aus?“ fragte Karin herausgefordert zurück. „Glaube ich nicht. Sie können uns nicht allen auf einmal kündigen, nur weil wir nicht einverstanden sind mit dem, was sie wollen.“ - „Aber hinter einander“, warf Hans behände ein. „Ja, ja, gut, ihr beiden“, schlichtete Karin. „Der Punkt ist nur, eine muss das auch sagen, dass es ihr nicht gefällt und dass sie nicht zustimmt. Eine Heldin von euch muss vortreten und sagen, dass ihr das beim letzten Mal zu schnell ging, dass sie gar nichts zu sagen wußte und dass sie nicht einverstanden ist.“ beharrte Hans auf seinem Resignativismus. „Wieso vortreten? Wir sind doch nicht beim Militär auf Freiwilligen- und Heldensuche“, hielt Sigrid dagegen. Ann hatte sich die ganze Zeit über nachdenklich zurück gelehnt, dann schnellte sie plötzlich vor in die kleine Lücke, die das Gespräch gerade bot und stieß hervor: „Also, ich stelle mir vor, auf der nächsten Teamsitzung ist Bayer fällig. Das weiß er natürlich und wird sich mal wieder entsprechend präpariert haben, aber ihr wisst ja, wie rot er beim letzten Mal geworden ist und so jetzt auch wieder. Habt ihr gesehen, als er sich mit Uli in der Teamsitzung in der Pause nach seiner Ankündigung unterhielt. Er ließ Uli überhaupt nicht zu Wort kommen. Der verschanzt sich hinter seiner Brille und hinter seinem Wortschwall, sprich er hat Schiss? Wovor, frage ich euch? Wovor hat der Mann Schiss, wenn doch alles so rechtlich klar ist? Ich sag es euch: Davor, dass wir ihn fertig machen. Davor, dass wir ihm die Hose runter ziehen mit seinem Manager Getue, mit seiner elendigen, hinterhältigen, miesen Stellen Prozent Finanzplan Karriere und Geschäftsleiter Denke.“ - „OK, Ann, krieg' dich wieder ein“, versuchte sie Karin wieder zurück auf den Teppich zu holen. „Du mußt dir vorstellen, er ist ein guter Ehemann und Vater von zwei Kindern und er erfüllt nur seine Pflicht, seinen Job und der ist nun mal zu schauen, dass die BZM finanziell gut dasteht.“ - „Ach so? SS Eichmann war auch ein guter Familienvater, Gatte und Klavierspieler. Das hat mithin nichts zu sagen. Außerdem, was heißt, dass die BZM gut dasteht? Soweit ich weiß, steht die in der Öffentlichkeit überhaupt nicht so gut da und, weißt du, dass sie dicke Gewinne machen und das auf unsere Kosten. Ich finde das unmöglich!“ - „Ja, das wissen wir doch“, warf Sigrid ein, „die BZM macht Gewinne und wir rackern dafür und haben nichts davon, nur die da oben.“ - Ann, gequält: „Mit unseren Arbeitspausen wollen sie die zusätzliche Gruppenleiter Stelle neben Ursel finanzieren. Noch mehr Wasserkopf, noch mehr QM Doks, noch mehr Kader Runden auf denen sie solche Schweinereien aushecken. Ich habe echt keinen Bock mehr!“ - „Also, noch einmal“, fing Sigrid den fast verloren gegangenen Faden über das, was zu tun wäre, wieder auf: „Die nächste Teamsitzung, ein Date wie ein Date, entscheidet darüber, ob wir uns das bieten lassen und still und stumm schlucken, was uns Bayer & Co. verabreichen wollen. Am besten ist, eine steht auf und fragt die andern, ob sie einer solchen Veränderung der Arbeitsbedingungen zustimmen.“ - „Das kannst du so nicht fragen“, meinte Hans. „Das Recht ist auf deren Seite.“ - „Ach, hör doch auf mit deinem Recht!“ fuhr ihm Ann dazwischen. „Jeder von uns hat einen Vertrag und der kann nur mit Zustimmung verändert werden. Und das ist doch nur das Vorspiel für unseren Bayer, denn dann kommt eine Aussprache, die er bestimmt nicht mag.“ - „Genau“, ergänzte Sigrid, „wenn wir schon nichts ändern können, dann möchte ich wenigstens sagen, dass ich finde, dass sie uns an der Nase herum führen und das mir das nicht gefällt. So, ich muss jetzt zurück auf mein Wohnheim. Gute Nacht, Freunde.“










Wir haben ihn!




Andere Menschen, andere Gespräche. Zum Glück unterschied sich das Nachtwachenteam in solche, die 100 oder die 80 Prozent arbeiteten und dementsprechend häufiger vor Ort waren und andere, die nur 25 oder 35 Prozent arbeiteten. Nebenher, diese zehn Prozent Unterschied waren wichtig, denn sie bedeuteten für denjenigen, der von 25% auf 35 % wechselte, die Möglichkeit, den Status der Festanstellung zu erhalten, was neben anderen Vorteilen auch den hatte, in die Pensionskasse aufgenommen zu werden. Maren meinte dazu abfällig, dass die BZM als Arbeitgeber natürlich kein Interesse daran habe, denn sie müsse dann auch den Arbeitgeber Anteil in die Pensionskasse einzahlen.




Innerlich war das Team also unterschieden in solche, für die die Bezahlung der Arbeitspausen kaum ins Gewicht fiel und in solche, für die sie eine ganze Nacht an Mehrarbeit bedeuten würde. „In genau dem Verhältnis steht auch die Motivation und der Druck sich gegen solche Veränderungen der Arbeitsbedingungen zu wehren“, stellte Jens mit leicht sarkastischen Tonfall fest. Er gehörte zu den Hundertprozentigen und ihm gefiel die Aussicht, noch länger arbeiten zu müssen oder aber weniger Kohle aufs Konto zu bekommen, gar nicht. „Aber“, sagte er, „glaub ja nicht, dass ich hier den Rädelsführer mime. Die haben mich eh schon auf dem Kicker, wegen unserer Aktionen im Frühjahr und ich kann mir echt keine Kündigung leisten. Erschwerend kommt in meinem Fall hinzu: Ich bin kein Schweizer. Ich habe nur eine B-Bewilligung. Die schmeißen mich dann raus aus dem Land.“ – „ Das ist doch Blödsinn“, hielt ihm die ansonsten kleinlaute Naomi entgegen. „ Es gibt doch die Bilateralen und außerdem, du würdest immer eine Arbeit irgendwo anders finden. Solche Fachkräfte mit so viel Erfahrung wie du, die gibt es doch sonst kaum. Nee, nee, du hast von uns wohl die besten Karten.“




Sie saßen erst zu zweit im Pausenraum, denn es gab immer irgend welche Zwischenfälle, die verhinderten, dass sie pünktlich um halb ein Uhr zusammen in die Pause kommen konnten. Es war Maren, die als dritte herein kam und sofort zum bollernden Wasserkocher ging, um sich einen Tee zu machen. „Oh, ich sag euch“, meinte sie, „kam ich doch auf die Wohngruppe 3 und was höre ich da aus Dorothees Zimmer? Ich wollte es ja echt nicht glauben: War doch der Urs zu ihr ins Zimmer gegangen und lag in ihrem Bett. Wisst ihr, was ich gemacht habe? Ich bin auf Zehnspitzen zurück geschlichen. Sollen sie doch. Ich will es ihnen nicht verbieten.“ – „Echt? Der Urs war bei ihr? Ich dachte, sie wäre mit dem Lathan zusammen?“, fragte Jens. „Ist sie ja auch“, grinste Maren, „verstehst du? Auch! Gleichzeitig, mal den und mal den. Keine Ahnung, ob sie es nicht so genau nimmt oder nehmen kann.“ Naomi: „Ich habe in der Kardex gelesen, dass es ein Gespräch der Eltern und der Wohnheimleitung gegeben hatte. Endlich wollte die BZM mal die Frage der Verhütung bei Doro angehen. Es ist ja so ein katholisches Haus, da werden solche Fragen nicht behandelt. Und? Wisst ihr, was dabei herauskam? Der Vater will nicht, dass seine Tochter verhütet. Stellt euch das vor. Das heißt Klartext, er lässt zu, dass Doro ein Kind bekommen kann und wer soll dann auf dieses wahrscheinlich auch behinderte Kind acht geben und es groß ziehen?“ – „Na wer wohl? Wenn nicht der Papa, dann wohl wir.“ – Jens: „Ja, das ist echt eine Zwickmühle. Wir sind so aufgeklärt, dass wir meinen, auch Behinderte sollten die Freuden des Sex erleben dürfen, aber wenn das dann konkret abgeht, ist es echt verflixt. Hast du es denn schon aufgeschrieben? Am besten ist, du schreibst, du hättest Urs nur aus Doros Zimmer kommen sehen, dann bist du aus dem Schneider. Nachher musst du noch die Unterhaltszahlungen leisten.“ – Maren: „Stimmt, am besten, ich schreibe es so.“




Die Tür ging auf und Ann kam rein. Mit glänzenden Augen rief sie flüsternd, denn die Bewohner der angrenzenden Wohngruppen sollten nicht gestört werden: „Wir haben ihn. Wir haben ihn! Er ist geliefert.“ Ann hatte in der vorhergehenden Nacht Dienst mit Sandy, Barbara und Sigrid gehabt und dabei waren sie im Spinnetz des Labyrinths von Knossos, in den QM Doks fündig geworden. „Leute, es verhält sich so“, meinte sie genüsslich als sie sich aufs Sofa schwang. „Wir haben einen Arbeitsvertrag und zu dem Arbeitsvertrag gehören die allgemeinen Arbeitsbedingungen der BZM. Meine, mir mit dem Arbeitsvertrag ausgehändigten Arbeitsbedingungen, datieren vom letzten Jahr. Darin steht, dass die Pausen bezahlt werden und zwar ganz allgemein in der ganzen BZM. Wenn sie das bei uns zu ändern anfangen wollen, dann werden sie das nach und nach auch bei den anderen Mitarbeitern im Tagesdienst tun wollen. OK, das wäre dann die Frage, ob die im Tagesdienst sich das bieten lassen. Das ist aber noch nicht alles. Sandy hat sich die Stempelkarten und Zeitausweise der Tagesdienstler angeguckt. Tatsächlich wird dem Frühdienst und dem Spätdienst, die 8 Stunden da sind, keine halbe Stunde Pause abgezogen. Sie wird bezahlt. Der Clou ist nun, dass bei dem langen Mitteldienst von 8 bis 19 Uhr nur 10 Stunden aufgeschrieben werden und separat eine Stunde Pause abgezogen wird. Laut Schweizerischem Arbeitsgesetz, Artikel §15, muss bei über 9 Stunden eine Stunde Pause gegeben werden und nun wird diese nicht bezahlt. Laut Arbeitsbedingungen ist das nicht zulässig und darum hatte der Bayer Schiss. Die wissen ganz genau, wenn nur einer auf die Idee kommt, die Bezahlung dieser Pause zu fordern, dann kann die ganze Belegschaft nachziehen. Das geht in die Hundert Tausende, denn so was verjährt doch nicht.“ – Jens, Naomi und Maren waren die Münder herunter gefallen. „Woau! Ihr seid super!“ grinste Jens. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Naomi. „Wie wollen wir vorgehen? Ich meine, wenn das raus kommt, dann ist der Bayer doch geliefert. Der hat doch schon im Frühjahr die Personalplanung mit uns vergeigt. Und nun auch noch das. Also, ich möchte nicht daran Schuld sein, dass der seinen Job verliert, schließlich hat er Frau und Kinder.“ – „Ach, darum geht es doch gar nicht. Außerdem, wir müssen ja auch immer Angst haben, wenn wir den Mund aufmachen, dass wir fliegen, dass sie uns raus kicken. Sollen die doch auch mal merken, wie das ist?“, legte Ann los. „Nee“, unterbrach sie Maren, „ich bin mehr mit Naomis Ansicht, dass man Gnade vor Recht ergehen lassen sollte. Und wer sagt eigentlich, dass der Bayer uns wirklich ans Leder wollte und uns nicht vielmehr einen Wink mit dem Zaunpfahl geben wollte, dass wir uns mal um diese Pausengelder kümmern?“ – „Was heißt uns?“, fragte Jens nach. „Es ist Sache der Tagesdienste sich um die Bezahlung ihrer Pausenzeit zu kümmern. Ich verstehe auch nicht, dass da niemand von denen nachhakt. Vielleicht ist das einfach nur ein Druckfehler in den Arbeitsbedingungen.“ – „Nee, doch“; widersprach Maren, „ sie zahlen doch dem Früh- und Spätdienst die halbe Stunde Pause. Sie zahlen aber nicht, wenn du, weil du so lange arbeitest im Mitteldienst – weißt du wie hart das ist? Der ganze Tag ist futsch und du selber auch – wenn du da die ganze Stunde Pause hast.“ – „Mensch, nee, das kann doch nicht sein, das ist ja für die BZM eine Katastrophe. Was da an Nachforderungen zusammen kommt“, stellte Naomi erschrocken fest. „Wir wissen noch immer nicht, was wir machen. Also, ich habe überlegt“, warf Ann ein, „es gibt neben der VPOD Einzelgewerkschaft ja auch noch den schweizerischen Gewerkschaftsbund auf kantonaler Ebene. Die beraten auch und sie sind mehr politisch orientiert als rechtlich. Ich kann mir vorstellen, der Kurt Meier dort, der ist bei den Grünen sogar Nationalrat, der weiß mehr, was wir tun und wie wir vorgehen können.“ – Ah, sie an. Du machst für die Grünen Polit Werbung. Ich würde lieber beim VPOD bleiben, der ist mehr SP orientiert. Aber meinetwegen.“ – „Also dann, ich frage an.“ Ihre Pause war um und jeder trollte sich in sein Wohnheim.







Der Wochenend Schnack und die Zeitzulage





Es war Samstag, der große Einkaufstag, an dem es nach allen möglichen Erledigungen und einem Bummel über den Markt, immer die Gelegenheit gab, Freunde zu treffen. Sabina hatte sich mit mit ihrem Lover Malte im Cantona verabredet und kam natürlich sofort auf die letzten Ereignisse im BZM zu sprechen. Sie stöhnte. „Weißt du, ich werfe es mir vor. Ich hätte in der letzten Teamsitzung, als der Bayer mit der Arbeitspause kam, den Mund aufkriegen müssen. Habe ich aber nicht. Zum einen war ich einfach platt von dieser Dreistigkeit, von diesem unverschämten, rücksichtslosen Affront, dass sie jetzt ohne Grund die Pausen nicht mehr bezahlen wollen, dabei haben sie im letzten Jahr sogar Gewinn gemacht. Mir fiel einfach kein Gegenargument ein und zum anderen, …“ – Malte: „Schatz, das weiss ich doch schon alles, du drehst dich wie eine Traumatisierte im Kreis.“ In diesem Moment kam Caroline vom Tagdienst mit ihrem Freund Marco ins Café. Sie begrüßten sich und die beiden setzten sich zu ihnen. Sabina war es, als säße sie auf heißen Kohlen mit ihrer BZM Geschichte. Ohne weiter auf die Umstände zu achten, dass Marco und Malte sich nicht kannten und sie im Wochenende waren, legte sie los und fiel wieder mit ihrer Entrüstung nun über Caroline her. Brühwarm erzählte sie ihr die ganze Geschichte, wobei ihr Hintergedanke darin bestand, von Caroline zu erfahren, wie es eigentlich in den Tagesdiensten mit den Pausen stand. Während dessen schlürfte Caroline ihren Pfefferminztee und wurde ungeduldig, dass sie so gar nicht zu Worte kam. Marco und Malte schauten sich groß an, da sie sich aber nicht kannten, kamen sie selber nicht ins Gespräch, was Sabina aus den Augenwinkeln auch wahrnahm, aber nicht ändern konnte. Sie war mitten drin und konnte unmöglich aufhören, ohne mit ihrer Geschichte auf den Punkt gekommen zu sein. „Mist!“, dachte sie, während Caroline den letzten Schluck aus ihrer Teetasse leerte, ein paar Worte murmelte, dass sie auf ihrer Wohngruppe kaum irgend welche Sachen von den anderen Wohngruppen mitbekäme und dass über die Arbeitsverhältnisse einfach nicht gesprochen wurde, auch nicht darüber, dass laufend Kolleginnen kündigten, was wegen der Einarbeitung der Neuen eine enorme Belastung darstellte. „Sag“, meinte Caroline, „ihr bekommt doch Zeitzuschläge und zwar 10 Minuten anstatt wie gesetzlich vorgeschrieben 6 Minuten. An die wollen sie noch nicht ran?“ Sabina: „Nein, bislang noch nicht, da haben sie ja noch etwas in petto. Aber, da sagst du was: Mit diesen Zeitzuschlägen arbeiten wir effekiv über neun Stunden …“ und wie aus einem Munde sprachen Sabina und Caroline den Satz zu Ende: „ … und ab neun Stunde gibt es eine Stunde Pause.“ Die beiden grinsten sich an wie Honigkuchenpferde und gaben sich fünf, in dem Caroline Sabina die offene Handfläche hinhielt in die diese hineinklatschte.“Hey, super! Da bin ich ja gespannt, was da bei euch raus kommt. Halt mich auf dem Laufenden.“ Damit schaute Caroline rüber zu ihrem Marco und wußte, er wollte nur weg, wollte mit ihr nach Haus, um mit ihr allein zu sein. „Sorry“, meinte sie zu Sabina „wir wollten nur kurz etwas trinken. Laß uns ein andermal darüber weiter reden. Wir gehen jetzt nach Haus“, wobei sie Marcos Augen suchte und ihn aufmunternd anlächelte. Sabina schnallte sofort, dass sie sich mehr hätte zusammen reißen müssen. Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie hätte Marco und ihren Malte irgendwie ins Gespräch bringen müssen.Später meinte sie wieder zu ihrem Malte. „Ich fühle mich ganz blöd, so gedemütigt und klein gemacht, weil ich Angst hatte und immer noch habe, weil ich den Mund nicht aufkriegte, weil, dann hätten sie mich auf dem Kicker und würden mir kündigen. Weißt du, ich will einfach keinen Ärger haben und einen ruhigen Job. Und gerade jetzt, wo wir für drei Monate auf Reisen gehen. Ich will mir doch nicht das Arbeitszeugnis wegen einer solchen Sache versauen. Und wenn wir zurück sind, dann stellen die mich bestimmt nicht wieder an, wenn ich jetzt auf Revoluzzerin mache. Kurz, wenn ich jetzt als Rädelsführerin auffalle, dann kann ich mir einen Job bei der BZM abschminken. …. Und, Malte, höre! Andererseits, wenn ich nichts sage, dann komme ich mir auch ganz dumm vor und miserabel, dass ich mir so etwas gefallen lassen muss. Glaub mir, ich möchte dann in solch einem Laden nicht mehr arbeiten, in so einer Klitsche, in der man so runter gemacht wird und noch nicht einmal den Mund aufmachen kann.“ Sie schaute Malte verzweifelt an. Ihre traurigen Augen, in denen sich Tränen sammelten, sprachen mehr als ihre Worte von der Seelennot, in der sie sich befand. Malte zog sie in seine Arme, herzte sie und küsste ihr die Tränen von den Augen. „Woau! Liebes, komm!“ sagte er. „Ich kann es gar nicht leiden, dich so zu sehen. Schau, ich bin doch auch noch da. Du mußt dir keinen Kopf machen, wenn es hart auf hart kommt mit der BZM.“ - Sabina: „Das sagst du so. Ich bin eine selbständige Frau. Wer weiß, ob wir von unserer Reise zusammen zurückkommen und dann stehe ich hinter her alleine da.“ - Malte: „Verstehe. Ich, als Mann, an deiner Stelle, verlasse mich auch lieber mehr auf mich und meine Fähigkeiten, auf meine Möglichkeiten, als dass ich auf andere angewiesen bin. Aber du bist kein Mann, sondern eine Frau und ganz ehrlich, dich ein wenig mehr von mir abhängig zu wissen, das machte mich sicherer, das machte mich stärker, warte, das machte mich …?“ Sabina: „Männlicher?“ - Malte: „Ja, auch und selbstbewusster, dir gegenüber in unserer Beziehung. Das fühlt sich gut an. Ich kann nichts dafür. Das ist einfach so.“ - Sabina: „Macht haben über andere fühlt sich gut an … ?! Warte, habe ich das auch? Fühle ich das auch so? Ich sage dir nur, du trägst damit auch Verantwortung und damit habe ich dich dann. Du wirst deines Lebens nicht mehr froh, wenn du mich unter solchen Bedingungen hängen lässt, jedenfalls, wenn du der bist, den ich mir in meinem Herzen vorstelle, also, wenn du wirklich der Mann bist, den ich liebe.“ - Malte: „Ja, und wenn wir uns nicht mehr lieben? Schau doch nur diese erstarrten Beziehungen und Ehen an, mit Kindern, Haus, Schulden und den Eltern, sprich den Großeltern, diese gutbürgerlichen Familien mit ihrem Weihnachtsglück Theater, dass sie jedes Jahr aufführen. Da geht doch nichts mehr und die haben sich alle mal geliebt.“ – Sabina: „Darum ist mir meine Unabhängigkeit als Frau ja auch so wichtig und deswegen liebe ich meinen Job. … Nur, aus demselben Grund ist es mir bei der Arbeit auch so wichtig, dass die Verhältnisse stimmen und nicht dieselben Machtspielchen wie zu Hause laufen und genau solche Abhängigkeitsverhältnisse herrschen. Das ist doch widerlich.“ – Malte: „Geschäft, von anderen etwas günstiger oder mehr zu wollen, dass ist doch überall so. Der Punkt bei euch im Team ist jedoch, dass die meisten irgendwie mit ihrer ganzen Existenz da dran hängen und nicht so mal eben zu einem anderen Autohändler gehen können, wenn der erste in der Gegend im Preis nicht nachgibt.“ – Sabina: „Typisch, deine ökonomische Denke, die ist auch voll patriarchial. Bei uns auf der Arbeit geht es doch um was ganz anderes. Gestern Nacht zum Beispiel, da habe ich eine ältere Kollegin eingearbeitet. So eine richtige Mutti, weißt du und die meint es gut und der liegt etwas an den Behinderten und die macht das gerne, aber glaub mal, als es um die Arbeitspausen ging, da hiess es nur, die da oben haben das beschlossen und dann wird das schon richtig sein und ausserdem der Streit, der Tonfall, mit dem der Herr Geschäftsführer damals angegangen worden sei, der wäre ganz hässlich und gemein gewesen und das könne und das wolle sie nicht mitmachen. Lieber verzichte sie und gebe nach. Es sei doch kein schlechter Job und so schwer wäre es doch gar nicht während der Nacht. So redete sie und ich merkte, wie sie sich einen in die Tasche log, nur um keine Auseinandersetzung zu haben. Und so war es auch mit einer anderen Kollegin. Wir müssten doch so wenig tun in der Nacht und bekämen noch Geld dafür. Die beiden machten mich ganz mutlos, ganz hilflos. Die kuschen lieber, anstatt dass sie sich auf ihre Hinterbeine stellen. Und für die soll ich die glühenden Kohlen aus dem Feuer holen? Ich spinne doch nicht. Ich gehe lieber.“ – Malte: „Da, wo du hingehst, waren sie aber auch schon. Früher hieß es Aussteigen, bis die Aussteiger merkten, dass sie im gleichen Atemzug woanders einsteigen und dass der US Dollar längst vor ihnen da war. Solchen Illusionen gehe ich nicht mehr auf den Leim.“





Teamessen zur Weihnacht


Doch, Uli beunruhigte dieses mitleidige Lächeln, dass er von Bayer rüber wachsen fühlte. Wieso? Weshalb? Woher nahm Bayer dieses bemitleidende Lächeln? Aus den Augenwinkeln hatte es Uli gesehen, dem Schatten einer Wolke gleich, die der Seewind übers Land treibt, noch ehe es aus Bayers Gesichtszügen verschwunden war. Wusste er alles? Hatte dem Bayer jemand gesteckt, was wirklich ablief? Da saßen sie alle putzmunter und fröhlich zusammen im Seerestaurant - die BZM ließ etwas springen für die Belegschaft zur Weihnacht, das summierte sich – und das ganze Team tat so, als wäre nichts, als wäre alles in bester Ordnung und die Sache mit den Arbeitspausen schon vergessen und vorbei. Anscheinend trug nur er sich mit der Schmach, mit der Demütigung, mit seinem verletzten Stolz klein beigeben zu müssen gegenüber Bayer und der BZM. Es wurde einfach nicht darüber geredet, selbst in der Nacht, in den Pausen, wurde nicht darüber geredet. Das Thema wurde einfach totgeschwiegen. Uli kam das bekannt vor. Das war das typische Vergessen Wollen, das war das Weg Gucken Wollen, das war das Verleugnen und das war schon immer so, wenn die Ohnmacht der Mutlosen vor der Gewalt, vor der Furcht vor Konsequenzen sprachlos machte. Die Wahrheit war, Uli schämte sich seiner selbst. Er suchte nach Gründen, dass doch alles gut sei, dass es eine gute Arbeit sei und dass die BZM mit dem Weihnachtsessen doch zeigte, dass sie es mit ihren Mitarbeitern gut meinte. Er schaute rüber zu Ann, Barbara, Maren und Karin, sie waren die Gewerkschafterinnen, sie waren mit ihm die Drähtezieherinnen des heimlichen Aufstands. Im Grunde arbeiteten sie jetzt im Untergrund. Es war doch klar, dass, wenn Scheibler den Brief an die Geschäftsleitung abschickte, die Bombe hoch ging. Unklar war allerdings, was dann abging. Bayer saß ihm schräg gegenüber, eigentlich ein lieber Mann, dachte Uli: Freundlich, ja, sogar der gewisse Charme eines noch immer irgendwie jugendlich wirkenden Mannes, der auf Frauen einen attraktiven Eindruck machen konnte, weil er auch seine weichen, zarten Seiten zuließ. Ja, Bayer verstand es, mit seiner sympathischen Ader dafür zu werben, dass jetzt alles so wie besprochen weiter ginge. Die letzten Nächte kam frisch heraus, dass in dem wieder einmal viel zu spät vorgelegten Januar Dienstplan die neue Pausenregelung schon umgesetzt war. Und keiner sagte etwas. Schließlich saßen sie zum Weihnachtsessen zusammen. Es wäre ein Fauxpas sondergleichen, würde jemand dieses Thema während des Weihnachtsessens ansprechen. Genau deshalb war es eine solch doppelbödige Situation, einem Maskenball vergleichbar. Deshalb bildete er sich Bayers mitleidiges Lächeln nur ein, schloss Uli. Dieses zwiespältige Geschehen provozierte förmlich seinen paranoiden Verfolgungswahn, weil: für ihn lauerte hinter jeder Ecke die Gefahr und der Feind, da er unerkannt im Dunklen an der Bombe mitbastelte, die Bayer hochgehen lassen sollte. Zum Beispiel, als er sich mit seiner Tischnachbarin Laura, einer 25 prozentigen und Neuseeländerin, unterhielt. Eigentlich mache sie glatte vierzig Prozent, aber Bayer gab ihr keinen Vertrag mit 30 Prozent, der ihr erlaubt hätte, in die Festanstellung zu wechseln. Vertraulich erklärte Uli Laura, sie solle sich das mal aufschreiben, wie viele Prozent sie Monat für Monat tatsächlich arbeitete, wie sehr sie also gebraucht wurde, so dass sie belegen könne, dass sie effektiv mehr als 30 Prozent gebraucht würde. Laura schwieg. Ihr war anzusehen, dass ihr die Vorstellung weiche Knie bereitete. Die Vorstellung, sie solle mit einer Forderung an Bayer herantreten und nicht mit einer Bitte, die gnädigst gewährt würde, irgendwann, vielleicht einmal, schien ihr mehr als abwegig. Ausländerin, die sie war, durfte sie froh sein, überhaupt einen Job in der Schweiz gefunden zu haben. Während Uli auf sie einredete und sah, was er da anrichtete, spürte er, dass Bayer wie von einem Magneten angezogen zu ihnen herüber schaute, was die beiden da so eindringlich miteinander zu reden hätten. Vielleicht waren ihm ein paar Worte und Satzfetzen zwischen anderen zugeflogen, vielleicht setzte er sich deshalb bald zu ihnen an den Tisch, vielleicht lächelte er wegen Laura und seinen Bemühungen so mitleidig, denn Bayer hatte Laura fest im Griff. Er war sich sicher: Die? Nimmernie. Später erwähnte Laura, Bayer wäre zur Taufe ihres Kindes gekommen. Für Uli lief ein Film ab: Der gute Chef, der sich um seine arme Mitarbeiterin kümmerte, der sogar zur Taufe des Kindes kam, ganz Patron, ganz familiale Verhältnisse im Betrieb. Wie sollte Laura da auch nur wagen eine Forderung zu stellen? Unmöglich. Es waren genau die Strukturen mittels derer eiserne Ketten der Abhängigkeit geschmiedet wurden, aus denen sich zu befreien bedeutete, ganz persönlich untreu und falsch zu sein. Bayer baute sich ein soziales Netz solcher Abhängigkeitsverhältnisse in deren Mitte er als Spinne hockend darauf vertrauen konnte, dass ihm alles zuarbeitete. Während solcher Gedanken prostete er Bayer zu, scherzte und lachte mit ihm und wunderte sich, dass er zu solch Falschheiten in der Lage war.






Der Gewerkschaftssekretär und dieTeamsitzung
Das abschließende Gespräch mit dem Gewerkschaftssekretär war mehr als ernüchternd. Die schweizerischen Arbeitsverhältnisse zeigten sich aus Marens deutscher Perspektive als eine Katastrophe. Wenn das deutsche Arbeitsrecht, das neben Kündigungsschutzrechten vor allem die Stellung der Betriebsräte im Unternehmen garantierte, im europäischen, im transatlantischen und im globalen Zusammenhang gesehen wurde, dann erwies es sich schnell als eine Ausnahme. Momentan ließ sich aufgrund der guten Wirtschaftslage in Deutschland zwar mal wieder behaupten, aufgrund eben genau dieser Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte sei die deutsche Wirtschaft so leistungsfähig, doch ein solches Argument hatte sich sofort den Vorwurf des Funktionalismus vorwerfen zu lassen, denn es sollte der allgemeinen Tendenz in der EU entgegenwirken, eben diese Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte dem allgemeinen Standard in der EU anzupassen.

Übertrug sie anhand ihrer Erfahrungen im schweizerischen Behinderten Zentrum Mittelland, was insgeheim in den Brüsseler EU Kommissionen für Justiz, Industrie und Osterweiterung Hin- und hergeschoben wurde, dann würden in Deutschland als bald die Betriebsräte abgeschafft und durch sogenannte Personalkommissionnen ersetzt werden. Ebenso stand an, die Kündigungsschutzrechte zu reduzieren, insbesondere also Kündigungen ohne Angabe von Gründen möglichst kurzfristig aussprechen zu können. De facto bedeutete dies, dass die Geschäftsleitung, in persona des Heimleiters Bayer, die Frauen im BZM, sollten sie weiter Widerstand gegen die Streichung ihrer bezahlten Pause leisten, kurzer Hand entlassen würde. Das war eine Rechtslage, die in etwa syrischen Verhältnissen unter Diktator Assad entsprach: Wer sich auflehnt, der darf erschossen werden. Die Frage war nun, wie ließ sich unter solchen Bedingungen trotz dessen etwas für die Nachtwachen erreichen? Hilfreich wäre sicherlich ein Roman aus der Zeit des ausgehenden Kaiserreichs, in dem die Tricks, Intrigen, die geheimen Machenschaften und schließlich die Gerichtsprozesse und offenen Arbeitskämpfe beschrieben wurden. Von den Alten konnte sicherlich einiges gelernt werden, hatten sich die Verhältnisse doch wieder den vorherigen Zuständen angeglichen.

Maren war wie viele deutsche Gastarbeiter in der Schweiz in ihrem Nachtwachenfrei zu ihrem Freund Malte nach Dresden gefahren. Sie hatte die so bedeutsame Teamsitzung, in der Bayer runter gemacht werden sollte und vor allem in der erreicht werden sollte, dass die neue Pausenreglung zurück genommen würde, nicht mitgemacht. Sie hörte lediglich in einzelnen Erzählungen von dem Ablauf. Es waren karge Erzählungen, ernüchtert, resigniert und ohne jeden weiteren Elan etwas zu zu unternehmen. Bayer war erst gar nicht in Vorahnung, was ihm blühte, zur Sitzung erschienen. Einzig die Gruppenleiterin Ursel konnte als Ansprechparter für die Unterehmensleitung herhalten, doch die hatte sich in Weiser Voraussicht geschickt aus dem ganzen Vorgang heraus gehalten. Ohne direkten Ansprechpartner konnte die Veranstaltung also nur eine Frust produzieren und der entlud sich bei Ann, Barbara und Hans in schrillen, boshaften Tönen, dabei über die Stränge schlagend mit Vorwürfen und Eröffnung von Nebenschauplätzen wie dem, dass sie weder Arbeitskittel gestellt bekämen noch eine Waschzulage für ihre Arbeitskleidung erhielten. An erschien nach der Teamsitzung wegen Krankheit nicht zum Dienst, was einen herben Schlag in die Weihnachtsdienstplanung bedeutete und Hans hatte die Sitzung gar vorzeitig unter Protest und Ausrufen, das sei ja alles eine Farce wütend verlassen. Der Rest schwieg und ergab sich in sein Schicksal. Von Barbara war dann später zu hören, sie würde im Frühjahr für drei Monate auf eine Burn Out Kur in die psycho-somatische Kurklinik Freudenthal gehen. Maren selber, aber das war vorher schon klar gewesen, verabschiedete sich auf sechs Monate Weltreise mit ihrem Malte, wobei sie sich offen halten wollte, in das BZM zurück zu kommen, insgeheim aber hoffte, dass Malte sich in Züri eine Stelle finden würde, so dass er von Dresden nach Züri umzog und sie beide dort eine Wohnung nähmen.

Ihr Besuch beim Gewerkschaftssekretär Scheibler war eigentlich nur dem Austritt wegen ihrer Reise geschuldet. Ein Umstand, der ihm offensichtlich gegen den Strich ging, denn er bestand auf seiner Dreimonats Kündigungsfrist mit dem Hinweis darauf, die Gewerkschaften seien für die meisten eh nur eine Arbeitsrechtsschutzversicherung. Außerdem, so führte er aus, seien ihre Überlegungen im Nachtwachenteam Blödsinn gewesen. Zum einen bekämen sie doch 4 Minuten pro Stunde Zeitzulage mehr als gesetzlich vorgeschrieben, zum anderen verhielte es sich gesetzlich so, dass zwar Pausen gewährt werden müßten, doch nicht, dass diese entlohnt würden. Darüber hinaus seien in ihren Arbeitsbedingungen nur Kaffeepausen gemeint, denn ansonsten hätte schon längst jemand entsprechende Forderungen aufgestellt. Eine gerichtliche Auseinandersetzung auf der Grundlage der Arbeitsbedingungen würde er deshalb auf keinen Fall führen, das sei sinnlos. Vielmehr sollten sie zusehen, dass sie sich mit den Leuten vom Kantonsspital zusammen täten, um so gemeinsam Druck auf die übergeordnete Gesundheitsbehörde des Kantons zu machen. Das sei im übrigen auch die politische Direktive, die er ihnen aus dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund mitgeben könne. Scheibler hatte also davon gehört, dass sie sich an den SGB gewandt hatten, was er ihnen offensichtlich übel nahm.

Scheibler hielt also voll dagegen, machte mutlos und drang auf Arbeitskampf, wobei er sehr wohl wusste, dass die Mehrzahl der Nachtwachen solche Auseinandersetzungen scheuten. Das Resultat bestand für ihn dementsprechend in weniger Arbeit. OK, sagte sich Maren, und auch ich mache mich von diesem Acker, diesem weiten Feld, dass so fruchtbar scheint und doch so schwierig zu bestellen ist.



Personen:

Nachtwachen jeweils in vierer Pausengruppen:


Ann G100%,

Sigrid,

Karin G100%,

Hans – Uli G80%,


Sandy,

Barbara G80%,

Michelle

Maren G80,


Jens,

Naomi,

Ann – Laura 25%,

Uli G80%,


Karin G100%


Ursel, Gruppenleiterin

Hermann Bayer, Wohnheimleiter

Bewohner: Franz, Dorothee, Urs, Lathan

Ludwig Scheibler, Gewerkschafter,

Caroline vom Tagesdienst,


Freunde: Malte und Marco



 





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