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Zirkus mit der Schule

Kaisersaschern, vor den Sommerferien 2016, DG

Es war kurz vor den großen Sommerferien an der 112. Grundschule in strukturschwacher Randlage von Kaisersaschern. Nicht nur die Kinder, sondern auch die Lehrerinnen, die Hörtlerinnen, der Schulsozialarbeiter und die Schul-Bibo-Mitarbeiter waren vom langen, stressigen Schuljahr erschöpft. Man hatte sich in aufreibenden und die Dienstzeit verlängernden Lehrer-Konferenzen und Teamsitzungen der Erzieher vor allem gegen die Übergriffigkeit der im herkömmlichen Verständnis von Schule Externen, also gegen den Schulsozialarbeiter, die beiden Schulbibliotheks-Mitarbeiter als auch gegen die aufmüpfig



Kinder-Zirkus


werdende Elternschaft, insbesondere den Schulelternrat, zur Wehr setzen müssen. Sehr willkommen war daher das lang ersehnte Zirkusprojekt als erlösender Höhepunkt vor dem Ende.

Wenn die Anstrengung des vergangenen Halbjahres darin bestanden hatte, die pädagogisch und im rechten, erzieherischen Verhalten gegenüber Kindern ungebildeten Personenkreise aus den hochprofessionellen, auf Effizienz und Leistung getrimmten Arbeits- und Austausch-Konferenzen der angestammten Traditionsgruppen von Schule und Kindertagesstätte, also von den Lehrerinnen und Erzieherinnen, fernzuhalten, dann sollten insbesondere die Eltern, die sich zumeist ja selber wie Kinder benahmen, davon abgehalten werden, Klassenausflüge ins Theater oder in den Wald, zu begleiten. Solche Aktivitäten der Eltern schafften mehr Verwirrung, als dass sie unterstützend den schulischen Alltag ihrer Kinder beförderten. Auch dem Schulsozialarbeiter, als einem neuen Akteur, in der von alters her von den LehrerInnen dominierten Schule, galt es Grenzen zu setzen. Er brachte in die ansonsten funktionell wie personell strengstens getrennten Erzieher- und Lehrer-Konferenzen nur unnötige Ideen und Aspekte derjeweilig anderen Gruppe. Die Bibliotheksmitarbeiter hingegen rekrutierten sich aus ungebildeten Langzeitarbeitslosen, denen man mit einem Arbeitsamts-Programm einen Job verpaßt hatte, weshalb sie als arbeitsscheue und renitente Mitarbeiter galten und von daher, wie die Eltern, als eine die erzieherischen Abläufe störende Zusatzbelastung zu meiden waren.

Eine ganze Woche gastierte nun ein kleiner, auf Schulen spezialisierter Zirkus auf dem Schulsportplatz. Es war ein Projekt, das schon zum 3. Mal lief. Alle vier Jahre kam derart eine Grundschul-Klassenstufe zumindest einmal in den Genuss der so herausragenden Zirkus-Arbeit im runden, bunten Zirkuszelt in der Mitte der Manege. Für die Schule und die Eltern stellte der Kinder-Zirkus natürlich einen erheblichen, finanziellen Aufwand dar. Zahlen wurden mir freilich nicht genannt, doch hatte jedes Kind einen Aufwandsbeitrag zu entrichten als auch die Schule, die einen fixen, über die 4 Jahre zusammen gesparten Pauschbetrag zu zahlen hatte. Weitere Einnahmen des Zirkus akkumulierten sich aus dem Eintrittskarten Verkauf an die ihre Kinder in der Manege sehen wollenden Eltern und Großeltern sowie aus dem Separat-Verkauf von Video-Mitschnitten und Bildern mit der Riesenschlange um den Hals. Das Geschäft mit den Kindern war einfach eine Goldgrube.

Das Zirkus-Projekt lief folgendermaßen ab: Alle Schulkinder, ca. 280, wurden in eine A und eine B Gruppe aufgeteilt und diese wieder in verschiedene Untergruppen von Akrobatik, Zauberei, Clown, Fakirie, Taubendressur und Jongleurie. Effektiv trainiert wurden diese Gruppen 2 mal vielleicht 2 Stunden, nämlich an zwei Tagen. Offensichtlich war mehr nicht drin, wenn Montags eine Einführungs-Vorstellung von den Zirkusleuten gegeben wurde und am Donnerstag und Freitag und noch einmal am Samstag die Abschluss-Vorstellungen der Kinder.

Ich schaute mir die Abschlussvorstellung der A-Gruppe an. Was mir auffiel, war der barsche, kommadierende Ton: Up! - Down! - Weiter!, so als handele es sich bei den Kindern um wilde, zu bändigende Tiere. Es scheint ein bestimmter Zirkuston zu sein. Er zeugte, fand ich, vom autoritären Geist eines Verständnisses, dass alles im Angesicht eines imaginierten TV-Millionen-Publikums perfekt zu klappen habe. Eingerahmt wurde dieser Eindruck von solch einer nebensächlichen Geste wie dem Aufreißen des roten Vorhangs, so als sollten nun die wilden Tiger in die Manege stürmen. Anstattdessen kamen „nur“ farbig im Schwarzlicht floriszierende und ebensolche Bändchen im Rhythmus einer Tanzchoreographie wirbelnde Kinder in die Manege.

Ebenso fiel insbesondere meiner Partnerin auf, dass den Kindern wenig Gelegenheit gegeben wurde, selber etwas zu machen. Vielmehr wurden sie unter dem Imago, sie hätten einen großen Auftritt, den alle, alle Eltern und Lehrer und Mitschüler sehen und der gleich einem Fernsehauftritt in einer Show wäre, zu parierendem Gehorsam genötigt. Für mich lag über der ganzen Veranstaltung ein dichter Qualm von Zwang, mechanischem Gehorsam und dem, was ansonsten aus meiner Lebensalltäglichkeit weitgehend verschwunden ist, nämlich das, was man unter Entfremdung zu verstehen hat, also die Ablösung bzw. Zurückstellung eigener Impulse, Interessen und Antriebe, die durch die Befolgung und Aufpropfung fremder Vorstellungen und Handlungsanweisungen ersetzt wurden. Der mechanische Perfektionismus gipfelte sozusagen darin, dass die durch die Vorstellung leitenden Erzählfiguren, zwei Clowns, Kati und eine Zirkusdame, nicht selber übers Mikro die Zirkus-Geschichte erzählten, sondern gestikulierend sich nur bemühten so zu tun. Tatsächlich zu hören war eine Play-back Stimme, zu der sich dann klein Kati, etwas verloren und traurig, zu verhalten hatte. Kurzum: Angesichts lauter Vorgaben und Vorplanungen blieb für das freie Spiel, die selbständige Entwicklung und die spontanen Spielideen der Kinder kein Platz. Ein Wunder, dass trotz all dessen, die Lebendigkeit und Freude der Kinder immer wieder durchbrach, wie ein Lichtstrahl des Lebens durch die dunkle Wolkendecke einer vorgefertigten Welt, die allerdings versprach, auch sie demnächst zu verschlingen.

Besonders enttäuschend empfand ich im Nachgang den Kommentar einer Erzieherin. Sie, die sich ansonsten recht redselig äußerte und nicht mit ihrem Unmut über gewisse Dinge sparte, war hell auf begeistert von der Disziplin der Kinder, die nun endlich einmal aufs Wort hörten und taten, was man ihnen sagte. Offensichtlich bewunderte sie, was ihr selber so sehr in ihrem beruflichen Alltag fehlte und was sie sich so sehnlichst für diesen erwünschte, nämlich dass die Kinder auf sie hören. Auch sie also allein gelassen, ja, zurück gelassen als eine Versagerin, die am neuen Leben dieser Kinder scheiterte. Es wäre gut, sie und ihre KollegInnen erhielten mehr kompetente Unterstützung darin, mit den Kindern so umgehen zu können, dass sie spielen und sich entwickeln können, was ganz bestimmt nicht heißt, dass sie tun und lassen können, was sie wollen.



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Kaisersaschern ist eine Mittelstadt in der Mitte Europas. Durch die Deutsche Teilung in eine strukturelle Randlage gedrängt und vergessen, erweist sich diese an Geschichte und Kultur reiche Universitätsstadt als wahre Fundgrube wegweisender Entwicklungen, weshalb wir immer wieder direkt aus den Ringvierteln, wie die Kieze dort heißen, berichten






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