Donnerstagskreis

Erkennen und Gestalten - Nr. 57

Motto: Rerum cognoscere causas - der Dinge Wesen ergründen – Vergil/J.W.Goethe

Deutschlands Zukunft

und der Ruf nach der

Großen Koalition


Deutschland braucht für die kommenden schweren Zeiten eine stabile Regierung mit breiter Mehrheit, die auch unpopuläre Entscheidungen fällen kann.

Deutschland erwartet, dass die SPD Verantwortung zeigt!

Deutschland braucht die Große Koalition!“


Das ist grober Unsinn, der freilich in pathetischem Gewand daherkommt !


Die prosaische Wahrheit ist:

Frau Merkel will eine „Große Koalition“.

Und - aus ihrer und der CDU - Sicht sprechen vielen gute Gründe dafür.


Im Wahlkampf hat niemand von der „existentiellen Bedeutung“ dieser Wahlen für Deutschland gesprochen - von der peinlichen Entgleisung der FDP-Führung einmal abgesehen.

Auch hätte eine CDU-FDP-Regierung nach allen Wahlprognosen nie mit einer satten Mehrheit rechnen können. Woher also diese plötzliche Panik und der Drang noch einer Großen Koalition?

Hat Herr Schäuble vielleicht so viel Ungemach im Koffer, dass er sogar der Forderung nach Steuererhöhungen beim eigenen Klientel zustimmen würde?


Es wird in Zukunft unangenehme Entscheidungen geben: Das ist wahr!

Natürlich würde es Frau Merkel beruhigen, wenn die einzigen Partei, die eine wirksame Opposition machen kann, in ihre Entscheidungen eingebunden ist. Dass es ihr gelingt, den Koalitionspartner zum Sündebock ihrer unsozialer Entscheidungen zu stempeln, hat sie eindrucksvoll bewiesen.


Wäre es aber nicht besser, wenn die SPD in wichtigen Fragen mitsprechen kann?

Wenn es wirklich einmal um Entscheidungen von existentieller Bedeutung gehen sollte, muss es in jedem Fall eine Verständigung zwischen CDU/ CSU einerseits und SPD/Grüne andererseits geben - schon wegen der Mehrheiten im Bundesrat.

Wer also erklärt, die SPD könne auf solche Entscheidungen nur im Rahmen einer Regierungsbeteiligung Einfluss nehmen, versteht wenig von den politischen Zusammenhängen.

Nur in einer Großen Koalition kann die Kanzlerin Entscheidungen treffen, ohne eine gründliche - weil auch öffentlich diskutierte - Zustimmung der SPD eingeholt zu haben. Wer will, dass Fragen von nationaler Bedeutung nur mit kritischer Zustimmung der SPD gefällt werden, gerade der muss ein Bündnis mit der CDU/CSU ablehnen.

Eine oppositionelle SPD kann Notwendigkeiten kritisch hinterfragen. Eine Koalition bindet ein.


Es geht also gar nicht um die Beteiligung der SPD in wichtigen Fragen.

Der CDU geht es um das bequeme Regieren und darum, die SPD dauerhaft an sich zu binden – bis zu deren Untergang als Volkspartei.

Die SPD hat bei den Wahlen 2009 rund 10 Millionen Wähler verloren – und zwar an die „Partei der Nichtwähler“.

Von diesen hat sie jetzt mit einem überzeugenden Wahlprogramm ein Zehntel zurückgewonnen. Die anderen neun Millionen Enttäuschte haben das Bemühen – auch des Spitzenkandidaten - als (noch) nicht glaubwürdig angesehen.

Erstaunlich war diese Skepsis nicht, zumal der Spitzenkandidat an den Gesetzen, die das soziale Ungleichgewicht verstärkten, verantwortlich mitgewirkt hatte.

Bei aller persönlichen Glaubwürdigkeit, die er ausstrahlte:

Peer Steinbrück hatte gar nicht die Chance die Skeptiker zu überzeugen. Das setzt eine längere Zeit überzeugender Politik mit unbelasteter Führung voraus.

Und ob die strikte und kompromisslose Ablehnung eine Zusammenarbeit mit der Linken dem Ziel glaubwürdiger Politik gedient hat, ist zumindest zweifelhaft. Wir sagen: Das war ein Fehler!


Aber ist die Großen Koalition letztlich nicht doch ganz vernünftig? Ist sie wirklich gefährlich? Was spricht gegen sie?

Ja, sie ist gefährlich und zerstörerisch:


Unvermeidbar wären:

Schwere Schäden für die Demokratie!

Eine Opposition, die aus zwei Parteien besteht, die zusammen nur 15 % der Abgeordneten stellt, ist keine Gefahr für die Regierung, weder jetzt noch später.

Das ist keine Opposition!

Der Bundestag mutierte zu einer Theatervorstellung. Schon jetzt glauben viele Bürger nicht mehr daran, dass die Entscheidungen dort mit dem ernsthaften Willen, die richtige Lösung der Probleme zu finden, diskutiert werden. Eine Mini-Opposition würde nicht einmal glauben machen können, dass sie in der Lage ist, etwas zu erreichen.

Es wäre ein entwürdigendes Schattenboxen.

Dass dieser Zustand viele Deutsche nicht stören würde, macht diesen Umstand noch bedenklicher.


In einer Großen Koalition hat der einzelne Abgeordnete kein Gewicht. Kritische Stimmen in den Fraktionen bleiben ohne Bedeutung. Selbst wenn sich eine Gruppe von Abgeordneten offen gegen Beschlüsse der „Führungsgremien“ wenden würde, es wäre unerheblich. Die Mehrheiten stehen immer. Auf den Einzelnen oder kleine Gruppen kritischer Abgeordneter kommt es nicht an.


Der Bundesrat wird entwertet. Auch hier hätten CDU/CSU und SPD eine erdrückende Mehrheit. Der föderale Aufbau der Bundesrepublik Deutschland würde nachhaltig beeinträchtigt. Die Erfahrung zeigt, dass dann die Interessen der Länder zurückstehen müssen.


Unvermeidbar wäre: die SPD entwertet sich!

Die SPD entwertet sich als soziales Korrektiv. Soziale Errungenschaften – und seien sie intern der CDU abgerungen – werden immer der führenden Kraft der Koalition zugeschrieben. Dass sie das kann, hat Frau Merkel im Wahlkampf bewiesen!


Und diese „führende Kraft“ ist tatsächlich übermächtig. Der Wahlerfolg der CDU ist beeindruckend, die SPD nunmehr tatsächlich der „kleine Juniorpartner“.

Der Einfluss der SPD in dieser Koalition wird, wie groß er auch immer tatsächlich sein mag, in der breiten öffentlichen Meinung nicht wahrgenommen.

Und das ist auch verständlich! Wer glaubt denn ernsthaft, dass sich die CDU/CSU, der nur drei Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlen, von einer geschrumpften SPD am Gängelband führen lässt?


Allenfalls werden die Linke und die Grünen zu einer Alternative aufgebläht – oder wachsen in diese Rolle sogar noch hinein. Auch diese Möglichkeit bereitete der CDU keine schlaflosen Nächte – für die SPD wäre dies eine existentielle Bedrohung!

Es kann aber auch schlimmer kommen: Die Grünen orientieren sich zur bürgerlichen Mitte. Sollte das geschehen, könnte die CDU den Koalitionspartner wechseln – womit sich das „Erpressungspotential“ der SPD deutlich verringert. Überhaupt ist es realitätsfremd, daran zu glauben, die SPD würde koalitionsintern eine beachtliche Durchsetzungskraft entwickeln können.


Die SPD würde in einer Großen Koalition unfehlbar in die Rolle des Verräters sozialer Belange zurückfallen, aus der sie sich nur sehr teilweise herausgearbeitet hat.

Und dieser Rückfall hätte noch dauerhaftere Folgen – Rückfalltätern glaubt man die Läuterung nicht. Gysi würde sich als Chef-Ankläger darstellen können und Zuspruch erfahren. Er kann das.

Aber auch die nationale (teilweise faschistoide) Rechte bekäme Zulauf.


Die parteiinternen Gegensätze in der Sozialdemokratie werden durch die Große Koalition nicht aufgehoben, sondern verstärkt. Die SPD müsste sich von der Gysi vorführen lassen, wie das schon jetzt passiert: Der Vorstoß der Linken in Sachen Mindestlohn ist nur ein Vorgeschmack.

Da die Partei selbst ernsthafte und berechtigte Kritik an der Regierungsarbeit im Bundestag nicht auffangen könnte, stehen lähmende Dauerkonflikte ins Haus. Für viele Sozialdemokraten wäre es unerträglich, sich so vorführen zu lassen.

Wie die SPD dann auch noch als Herausforderer der CDU in den nächsten Wahlkampf gehen will, bleibt ein Geheimnis der „Ministerkandidaten“.


Zum Schluss das beliebte Argument:

Es reicht nicht, alles abzulehnen. Deutschland braucht eine tatkräftige Regierung!

Die Alternative liegt in einer Schwarz-Grünen Koalition. Deutschland braucht eine liberale Partei, der die Bürgerrechte und Bürgerfreiheiten am Herzen liegen. Die FDP hat diese Funktion seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich aufgegeben.


Liberale wählen bürgerlich. Und die Klientel der Grünen ist bürgerlich. Diese Leute können sich eine ökologische Politik auch leisten. In dieser Erkenntnis korrigiert die neue Führung der Grünen denn auch die bisherigen Festlegungen. An die Forderung nach Steuererhöhungen werden die Grünen ihr Herz nicht noch einmal verlieren!

Aber: Mit echten Liberalen kann es in Zukunft auch wieder eine Sozial-liberale Koalition geben.


Was also reitet die SPD, sich den Gefahren einer Großen Koalition auszusetzen?

Zu der Frage gibt es viele Antworten, verständige und böse. Die bösen liegen näher – und daher lassen wir alle unerwähnt.

Eines aber muss klargestellt werden:

Die SPD geht im Jahre 2017 mit dem Vizekanzler und allenfalls dem Fraktionsvorsitzenden in die Wahlauseinandersetzung. Dieses „Spitzenpersonal“ hat schon die Wahlen 2005, 2009 und 2013 verloren. Der Ausgang der Wahlen 2017 ist damit weitgehend vorbestimmt.

Wem das eine verlockende Zukunftsgestaltung zu sein scheint, wähle die Große Koalition. Wir nicht!


Berlin, im Oktober 2013


Hans-Georg Lorenz Gerlinde Schermer

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Donnerstagskreis- Reihe: Erkennen und Gestalten - Nr. 57

Titel: Große Koalition - 2 – Stand: im Oktober 2013 - Seite 9