Über Welten online   Kontakt   Impressum  Kommentare zu Welten online  Welten Blog







Print

"Wenn du was verändern willst..."

150 Jahre SPD – Filmpremiere, Leipzig, 8. Februar 2013, DG

Hundert fünfzig Jahre, das war kein von Papenstil blasierter Herrenreiterei. Sabrina sah noch, wie der amtierende Parteivorsitzende Gabriel ein kurzes Grußwort von der Bühne mit dem roten Vorhang ins Mikrofon sprach, ehe sie in ihrem Kinosessel versank. Gabriel wirkte unwirsch. Zu letzt hatte sie ihn in Berlin bei der 13. Landkreisversammlung gesehen, wo er übergewichtig aus allen Nähten zu platzen schien. Diesmal war es nicht ganz so schlimm, woraus sie schloss, dass Gabriel wahrscheinlich eine Abmagerungskur a la Joschka Fischer versuchte und deshalb so geladen war. Im Kinosaal hatte sich zur Filmpremiere die sächsische SPD versammelt: Sie erkannte in der ersten Reihe sind sie dabei den OBM Burkhard Jung, MdB Wolfgang Tiefensee, MdB






Filmplakat zu „Wenn du etwas verändern willst ...“


Daniela Kolbe und den sächsischen Fraktionschef Dullig. Das Kino selber war eher mäßig voll, was der mäßigen Fraktionsstärke der SPD im Osten entsprach. Sabrina überlegte, 1863, das war zur Zeit des Vaters ihres Urgroßvaters und, wie der Film belehrte, zur Zeit von Urgroßmutters Mutter. Dass Frauen ihren Platz auch in der Politik errangen, feierte die SPD als ihren Erfolg, denn sie war die erste politische Kraft in Deutschland, die sich die Emanzipation auf die Fahne schrieb, die die erste Abgeordnete in ein Parlament entsandte und schließlich die erste Parlamenstpräsidentin stellte.

Ohne Frage, es war ein Jubiläumsfilm, ein Geburtstagsgeschenk und ein durch und durch politischer Film, womit nicht gesagt werden sollte, dass die fast ausschließliche Fokussierung auf die SPD zu Geschichtsverfälschungen führte, ganz im Gegenteil: Der Film arbeitete nicht zuletzt durch Interviews mit führenden Sozialdemokraten historische Details heraus, die das gängige Geschichtsbild der deutschen Politik mehr als nur bereicherten und erweiterten. Das fing an mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins durch Ferdinand Lassalle und zwölf Abgesandte anderer Arbeitervereine im Leipziger Pantheon. Zwölf, das war eine mystisch biblische Anzahl, die die Aussöhnung der Sozialdemokraten mit der Kirche 100 Jahre später vorzeichnete und zwar durch das Godesberger Programm, wie der Film es darstellte. Durch schimmerte, dass die intellektuelle Elite des Arbeitnehmerflügels selber dem Bildungsbürgertum entstammte und dazu neigte, die von ihnen erworbenen und vergebenen Bildungsabschlüsse anstelle der adelsgesellschaftlichen Abstammung zu setzen, wenn es um die Besetzung von Funktionstellen in der Gesellschaftshierarchie ging. Kurz: Freie Fahrt für Arbeiterkinder mit Universitätsabschluss! … aber wohin?

Zu Sabrinas Verständniserweiterungen gehörte auch, dass anscheinend erst eine deftige, zwölf jährige Unterdrückung durch die Bismarkschen Sozialisten Gesetze zur Ausbildung eines sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Milieus führte, die 1890, nach der Aufhebung der Sozialistengesetze, die SPD zur stärksten Reichstagspartei werden ließ. Ihr legte das den Schluss nahe, zu erst habe man etwas zu unterdrücken, damit daraus etwas werde, denn die Aufhebung der Sozialistengesetze hatte das Ergebnis: Ohne die SPD ging nichts mehr, sie wurde schlichtweg vom bürgerlich aristokratischen Lager gebraucht.

Wenn der Film im weiteren Verlauf die Abspaltung der späteren Kommunisten um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in den Wirren und Umwälzungen der Novemberrevolution untergehen ließ, so gesellte sich dies zur Nicht-Thematisierung der Rolle ihres ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert bei deren Ermordung. Kurz, die Brisanz des Films bestand weniger in dem, was gesagt und gezeigt wurde, als viel mehr in dem, was er verschwieg, überging, nur kurz streifte.

Auf der anderen Seite war er ein Produkt seiner Zeit, sprich der politischen Verhältnisse in der esten Dekade des dritten Jahrtausends und vor allem der politischen Absicht seiner Macher. Zum Beispiel wenn die gesetzliche Festschreibung des acht Stunden Tages, die Sozialgesetzgebung, das Rentenwesen, das Frauenwahlrecht als SPD Erfolge deklariert wurden, so weil sie als Ergebnis der Einigung mit dem rechtskonservativen Lager durchgesetzt werden konnten. Was liegt da näher als eine Große Koalition, zumal in solch unübersichtlichen Zeiten wie den heutigen mit ihrer unklaren, an Weimar erinnernden Zersplitterung in eine Vielzahl von Parteien?

Da ausschließlich nur führende Sozialdemokraten in Interviews die Geschichte ihrer Partei erzählten und keine anderen Stimmen zu hören waren, konnte sich das sozialdemokratische Universum ungestört entfalten. Verspürbar war Sabrina Moserbacher von Welten online einzig ein unbenennbares Unwohlsein, das sein Pendant wohl in der harmonischen Stimmung am sonntäglichen Kaffeetisch in trauter Familienrunde haben mochte, wobei die bis hin zu Missbrauch und familialer Gewalt reichenden Erlebnisse in den Wochen und Tagen vor dem Familientreffen unausgesprochen und von den Ängsten gegenüber den elterlichen Autoritäten, d.h. stärkeren Gewalten, unterdrückt blieben. Dass diese Geschichten ganz denjenigen der antiken, griechischen Götterwelt entsprachen, weil sie sich aus dem Donnerkeilgesetz, dem Recht des Stärkeren mit der Wunderwaffe, ergaben, machte einmal mehr die Bedeutung von Festen und Skandalen deutlich. Der Gesellschaftsskandal avancierte Dank der Arbeiterbewegung zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Das Schisma der progressiven Gesellschaftskräfte setzte sich nach ihrem zwölfjährigen Untergang - und die Zwölf zum Dritten - der mit der berühmten Rede Otto Wells und dem Nein der Sozialdemokraten zum Ermächtigungsgesetz einen Markpunkt hat, fort. Angelangt in der Nachkriegsmoderne unternahm nun der Film, fand Sabrina, den Versuch die Politiken der SPD ganz im Licht des geteilten Deutschlands zu beleuchten. Tatsächlich, es mochte die Falken im Osten des Landes bis zu ihrer Auflösung in den fünfziger Jahren gegeben haben und auch ein Wolfgang Thierse mochte retroperspektiv in seinem politischen Denken und Handeln sozialdemokratische Reste des Widerstandes während der SED Diktatur entdeckt haben. Für das politische Geschehen, die Denke und das Handeln der Mehrzahl im Westen waren solche Überlegungen irrelevant. Die Zwei Staaten Lösung war weitgehend akzeptiert und an eine Wiedervereinigung dachte niemand ernsthaft. Wozu aber solche Verrenkungen, die Sozialdemokratie auch während der DDR Zeit im Osten verankert zu sehen?

Diese Bemühmungen beruhen auf dem Streit mit der Partei Die Linke um dasselbe Wählerpotential und der verhindert eine Mehrheitsbildung des Mitte-Links Lagers. Dass im Film über 150 Jahre SPD der berühmte Rücktritt Lafontaines ausgeklammert wurde, hat denselben Grund: Das harsche Mißachtungsverhältnis zur Partei Die Linke, die Lafontaine ab 2005 unterstützte. Zumindest wurde auf einigen zu sehenden Parteitagsbildern Oskar Lafontaine, der vormalige Parteivorsitzende und Finanzminister unter Kanzler Schröder, nicht weg retouchiert.

Auch wenn die Betonköpfe in der SPD aus Altersgründen am Abtreten sind, besonders ist dabei an Franz Müntefering zu denken, und ein frischerer Wind den eisernen Vorhang des kalten Krieges zwischen den beiden Arbeitnehmerparteien auflockert, setzen diese Kreise in der SPD nach wie vor auf das Scheitern der Linken an der 5% Hürde und somit auf ihr Ausscheiden als politischer Kraft im Bund. Zu letzte war dies Aufeinanderprallen 2010, bei der Wahl des CDU Bundespräsidenten Wulff, verheerend deutlich geworden. Es herrschte eine Unversöhnlichkeit, die an den Bruderkrieg der Kommunisten und der Republikaner angesichts der heranrückenden Franco Truppen im spanischen Bürgerkrieg erinnerte. Der gegenwärtige Versuch, mit einer Rot-Grünen Koalitionsabsicht die Mehrheit in Bayern und im Bund zu gewinnen und wie bei der Niedersachsenwahl das Wählerpotential sowohl der Piraten als auch der Linken zu vereinnahmen, zeigt sich angesichts der äußerst knappen Mehrheitsverhältnis als ausgesprochen spekulativ.



http://www.150-jahre-spd.de/89022/film_150_jahre_spd.html;jsessionid=DAA8EE5C108F7F0948914B409CC755B4




Print






Über Welten online   Kontakt   Impressum  Kommentare zu Welten online  Welten Blog