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Der König im Museum

Madrid im Oktober 2012, Sabrina Moserbacher

Ausstellungseröffnung, Madrid, das Museo de Thyssen Bornemisza feiert sein zwanzigjähriges Bestehen mit Gauguin y el viaje a lo exótico. Das Museum ist berühmt für die Kunstsammlung von Heini Thyssen Bornemisza, die der Staat 1993 für nur 350 Millionen US-Dollar übernahm. Das wäre doch ein Kunstschatz, der sich hervorragend zur Liquidation und Begleichung der Staatsschulden eignen würde, wenn die spanische Staatsschuldenkrise sich weiter zu spitzen sollte, meinte Michael Welten, der Herausgeber von Welten online, mit leisem Zynismus hinüber zu seiner Gesprächspartnerin. Während die einen in Not geraten und verkaufen müssen, eröffnen sich Chancen für die Gewinner der Krise. ...

Zu denken wäre dabei insbesondere an die Banker, z
ischelte Welten. In den Jahren vor der Krise haben sie enorme Gewinne einstreichen können und jetzt haben sie ihr Problem mit dem Zaster, sie müssen es krisensicher  
Zwei Mädchen
Zwei Mädchen, Paul Gauguin

investieren. Gold, Derivate auf Naturressourcen, wie Öl und seltene Metalle, Immobilien sowie nicht zu letzte Kunstwerke, das sind zur Zeit die nachhaltigen Kapitalanlagen. - Genau und Spanien hat diesbezüglich einiges zu bieten, raunte Laura Michael Welten zu. Die beiden standen an einem Stehtisch im Foyer des Museums, der Empfang des Königs samt Gattin im Anschluss an die Ausstellungseröffnung neigte sich dem Ende zu. Aufgebrezelte Damen, die Herren in bestem Zwirn, gaben der Veranstaltung jenes besondere Etwas, das jeder teure Hollywood Film auf die Leinwand zu bringen sucht: Die Welt des Adels, der Plutokratie, der Schönheit und Kunst, der Macht und der gehobenen Sinnlichkeit. Zu all diesem gehörte Laura de Albatorre. Sie hatte Michael, der aus seiner Hamburger Zeit einiges gewöhnt war, was feine Damen, Schönheit und Reichtum anging, schier umgehauen: Ihre Figur, ihr Gesicht, die dunkel braunen Augen, langes, braunes Haar, ihre extravagante Mode, zeigten ihm an, diese Frau stand einfach drei Klassen über ihm und zwar in der Schönheitsklasse, obwohl er selber durchaus einen attraktiven Nordmann abgab, in der Reichtumsklasse, was schnell anhand ihres modisch distinguierten Geschmacks, sprich anhand ihrer Mode und ihres Schmucks zu ersehen war und, was nun mehr im Gespräch zu Tage trat, in ihre Herkunftsklasse, sie entsprang nämlich einer uralten Adels- und in den letzten Generationen Unternehmerfamilie, die sie als emanzipierte Entrepreneurin zudem mit der besten Bildung ausgestattet hatte. Dass sie sich überhaupt mit ihm abgab! Auch eine typische Konstellation im gehobenen Geschlechterverhältnis. Seltsamer Weise erschien hier Herkunft, gekoppelt mit Vermögen, zusammen mit Bildung, was gleichfalls als liquides Gesellschaftsvermögen aufzufassen ist, verdoppelt durch ihre fast schon exotisch zu nennende Schönheit, die sowohl karibisches als auch nordamerikanisches Blut in ihren Adern pulsieren ließ. Welten war hin und weg und übersah, dass durchaus die Hand eines Schönheitsoperateurs beste Arbeit geleistet haben mochte, auch gewisse Augentropfen zwecks Glanz und Weiterung der Pupillen konnten zu Lauras Schminkritualen gehören.

Welten versuchte das Geschehen zu rekonstruieren: Sie warteten auf den König, die Pressefotografen hatte man hinter einer Barriere Aufstellung nehmen lassen, die Menschen im Museumsfoyer formten eine Art Halbkreis vor dem Eingang, man plauderte, begrüßte alte Bekannte und wartete. Mir fielen dazu Szenen aus Gesellschaftsfilmen ein und zwar, wenn der Herr von langer Reise zurück in sein Schloss kommt und die Familie und die Bediensteten ihn empfangen, zuletzt gesehen in dem Film über Dr. Struensee. Das war zur Zeit von Carlos III., einem Vertreter des aufgeklärten Despotismus bzw. Absolutismus, der mit einiger Wirkkraft die Reformierung des Landes und des Kolonialreichs vorantrieb, was zu viel Unmut in den überseeischen Besitzungen und zwei Generationen später zu den durch die französische Revolution inspirierten Unabhängigkeitskriegen unter Simón Bolívar führte.

Währenddessen stand Welten rum und abseits, er kannte niemanden und beneidete daher die einander sich begrüßenden Leute. Andererseits hatte es für ihn den Vorteil, Detailstudien betreiben zu können: Die perfekt geschminkten Damen mit markanten Gesichtern, zierlich bis magersüchtig, denen gegenüber beleibtere längst Abschied genommen hatten von allem, was mit körperlicher Liebe zu tun hatte. Zu den Damen gesellten sich fast durchgängig stämmige Herren, denen anzusehen war, dass sie zum oberen Establishment des kulinarischen Kulturgeschehens zählten bzw. gehören wollten, was der Erfolg krönte, denn sie waren präsent. Unter all diesen fiel ihm eine blond gefärbte Dame auf, weil sie blond war und zwar im Gespräch mit Laura. Die schaute sich um, es musste doch Bekannte aus dem Industrieverband haben und nicht nur die Kunstsammler Avantgarde und die Museumsbürokraten. Dabei fiel ihr ein Nordländer auf, er stierte sie an wie nur ein Elch in den Tropen einen Tiger in der Arktis anschauen kann. Interessant, sie schaute weg, ansonsten schauten die Männer weg, sie wusste um ihre Wirkung, die war für die meisten Typen vernichtend, denn sie konnten ihr nicht das Wasser reichen. Was war das also für ein Macho? Was machte er?

Wie immer bei einem solchen Geschehen werden die ersten Impulse durch die nächsten überdeckt. Der König kam mit Gattin, es wurde sich weder verneigt noch waren kunstvolle Hofknicks zu sehen. Sowohl Micha als auch die de Albatorre gingen ihrer Wege, folgten der königlichen Besichtigung der Ausstellung. Die Königin sah übernächtigt aus, wobei die ehemalige Schönheit aus der Nähe betrachtet zu einer Oma mit dunklen Schatten unter den Augen verwelkt erschien. Der König selber sprühte vor Freude und Herzlichkeit, was Welten aufgesetzt vorkam, auch wenn es natürlich wirkte. Als ob er eine Überdosis Anti-Depressiva genommen hätte, dachte er im Stillen, während er gleichzeitig beobachtete, wie Don Juan Carlos I. freundschaftlich und ohne irgendwelche etikettenhafte Distanziertheit Begrüßungsküsschen und den Hand- und Schulterschlag unter Männern tauschte. Tatsächlich war Welten diese Unkompliziertheit schon mehrmals aufgefallen. Angesprochen von seinen Leuten reagierte Don Juan Carlos I. wie einer von ihnen. Das gefiel, ohne Frage. Man blieb vor einigen Bildern stehen, kam mit dem Kurator ins Gespräch und mit Doña de Thyssen Bornemisza, mit Tita, so dass die Begehung der Ausstellung zu einer kurzweiligen Veranstaltung gedieh. Im letzten Raum wurden Schwarz Weiß Filme aus den Anfängen des Kinos gezeigt, Thahiti, Insulaner bei der Fischjagd in einer Meeresbucht, auch barbusige Insulanerinnen, die so oft das Motiv für Gauguin abgegeben hatten. Der Kurator, ein jugendlich wirkender Intellektueller mit Brille, wandte sich an seine Majestät, die sich im Gespräch befand. Im Tonfall eines Professors, der sich endlich Gehör verschaffen wollte rief er: „Señor!“ Sein Ausruf, mit dem er sich die Beachtung seines Königs heran rief und gleichzeitig das Durcheinander des sich überschlagenden Stimmengewirrs zu senken suchte, kreierte Aufmerksamkeit. Welten klatschte innerlich Beifall, die Verbürgerlichung der Monarchie hätte mit diesem „Señor!“ deutlicher nicht ausgerufen werden können. Der Mann erklärte die laufenden Schwarz-Weiß Bilder und hob derart das allgemeine Bildungsniveau, dann schritt man weiter zum Empfang in der Eingangshalle.

Dort formten sich Gesprächsgrüppchen, im Mittelpunkt der König und in einem anderen Grüppchen Reina Sofia, was Welten sofort als Zeichen des distanzierten Eheverhältnisses der beiden interpretierte. Er hatte gehört, der König hatte eine österreichische Geliebte und hätte in seinen besten Jahren Bill Clinton in keinster Weise nachgestanden. Welten kam zwei-, dreimal ins Gespräch, wobei er sich als Deutscher und als Journalist outete. Er wollte wissen, welches Bild am besten gefallen hätte. Matamoe mit Pfau sei nett gewesen, hörte er, er selber aber dachte mehr an Gauguins Aktstudien. Dann kreuzten sich Lauras und seine Wege. Laura hatte ihn schon vergessen und er sie und ihren suchenden Blick, der dem seinen so schnell entschwunden war. Es stellte sich heraus, dass Laura Welten, kaum hatten sie sich einander bekannt gemacht, in ihrer Fantasie zu einem maßgeblichen Zeitungsverleger aus Deutschland aufplusterte, ihn also aus den Sphären des profanen Journalismus hob, wohin gegen er in ihr die Tochter und Erbin aus reichem Haus sah, die sich neben solchen Gesellschaftsanlässen vor allem um ihr Unternehmen mühte. Sie betonte, sie wolle angesichts der Krise niemanden entlassen und auch die Löhne nicht senken müssen. Dieser Punkt schien ihr sehr wichtig zu sein, denn sie wiederholte ihn mehrmals: Das Einkommensniveau sollte gehalten werden trotz der Staatsschuldenkrise und der Beschlüsse und Maßnahmen der EU Troika. Es hörte sich fast wie ein "No pasaran!" an und dass, obwohl sie durchblicken ließ, ihr Großvater habe auf der Seite Francos gekämpft. Dementsprechend zeigte Welten seine rote Karte, wobei er ihr mit einem scherzhaften Lächeln von den Tumulten auf der Straße, vom bevorstehenden Staatsstreich der Aufständischen, von der sich anbahnenden Revolution erzählte, um, auf den Teppich kommend, ihr den allmählichen Umschwung eines konservativen Europas hin zu einem eher links-ökologischen in schillerndsten Farben auszumalen. Laura gefiel das nicht, sie gehörte dem Unternehmerlager zu und die spanische Linke drohte mit Enteignungen, mit Profitbeschneidungen, mit Erhöhung der Kapitalsteuern. Wie konnte sie diesen Typen einwickeln? Als er ihr Komplimente machte, sie habe etwas vom Typ Ségolèn Royals, der vormaligen Frau des amtierenden französischen Präsidenten und auf die sei er voll abgefahren, kam sie auf ihre Bekannte, die Vizepräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría zu sprechen. Eine so kluge und zugleich schöne Frau wäre nur selten zu finden. Welten konterte, sie wolle sich doch selbst nicht unter den Scheffel stellen, sowohl was ihre Attraktivität als auch ihre weltgewandte Intelligenz beträfe. Laura lächelte und kam auf ihr Steckenpferd: Kunstauktionen bei Alcalá Subastas zu sprechen. In Spanien seien momentan so viele Pleiten zu verzeichnen, was einen enormen Geldbedarf spiegele, deshalb kämen die kostbarsten Gemälde auf Auktionen unter den Hammer. Ernüchtert hakte Welten nach, ob das auch auf dem Immobilienmarkt zu bemerken wäre, denn die Gegentendenz sei doch, dass Fluchtkapital dringlich nachhaltige Werte suche. So konnte nur ein vermögender Deutscher reden, der keine Ahnung von der Krise hatte, dachte sich Laura. Mal sehen, vielleicht finde ich ja etwas für dich, wobei sie ihm ihre Karte reichte und sich nun mehr als Immobilienmaklerin zu erkennen gab.

In diesem Moment kam Don Juan Carlos I., den Saal verlassend, an ihnen vorüber, wobei sich Laura an Welten vorbei durch das Gedränge schob, damit sie ihn begrüßen könnte, was ihm erlaubte, sie an den Hüften zu halten, wobei er eine gewisse verbotene Erotik empfand. Micha sah den über siebzigjährigen König nun mehr aus unmittelbarer Nähe vor sich. Sein Gesicht unterschied sich von allen anderen, nämlich als wäre es gemalt, ein seltsamer Eindruck, den er sich nicht erklären konnte. Als habe er weniger Blut in der Gesichtshaut, was Welten schließlich den Gedanken eingab, er könnte sich gleichfalls einer SchönheitsOP unterzogen haben, die nun mehr diesen Effekt der einstmals gestrafften Gesichtshaut hervor rief. Darüber hinaus meinte Welten tatsächlich dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben, zumindest einen Schimmer davon, nämlich in den Gemälden des großen Königs, des Sonnenkönigs, Louis XIV. Da er sich im Studium mit der höfischen Gesellschaft des Absolutismus auseinandergesetzt hatte, war ihm das ein Leckerbissen, denn Don Juan Carlos I. als Nachfahre des großen Königs vermittelte doch ein ganz eigenes Verständnis dieser Zeit. Nun ja, stellte er fest, der König wird wohl bald in die spanischen Königsgruft im Escorial eingehen, was große Feierlichkeiten, wahrscheinlich mit päpstlicher Präsenz, bedeuten würde, wobei galt:Tot gesagte leben länger. Zu seiner Überraschung kehrte Laura nicht zu ihm an den Stehtisch zurück, sondern schritt vielmehr mit der königlichen Entourage hinaus, wo sie eine der schwarzen Limousinen bestieg und ihm noch einmal freundlich zuwinkend davon fuhr.




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