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Der Universitätsbesuch

Universität zu Leipzig, 2. Juli 2012, DG

Obwohl Sabrina insgesamt den Eindruck gewann, der Besuch des tschechischen Außenministers in der Stadt Leipzig entbehre jeder Denkwürdigkeit, woran weder der Staatstross, bestehend aus 5 Blaulicht blinkenden Polizeimotorrädern, noch die Medienvertreter, Lokalfotografen und städtischen Würdenträger etwas änderten, überwand sie sich, der kleinen und so unprätentiösen Zeremonie der Eintragung ins Goldene Buch der Universität zu Leipzig beizuwohnen. Diese ging ganz informell im laufenden Geschehen kommender und gehender Studenten und Besucher im Foyer der Albertina Bibliothek vor sich, so als sollte sie im Alltagsgeschehen geradezu untergehen. Schwarzenberg, der tschechische Außenminister und seines Zeichens ein Fürst derer zu Schwarzenberg, ließ sich Zeit, er verstand es, der Unbedeutendheit, der offensichtlich geringsten Aufmerksamkeit, die ihm hier bereitet wurde, durch sein persönliches Auftreten und Wirken einige Bewunderung von Seiten seiner Beobachter abzutrotzen. Schwarzenberg, der tschechische Außenminister und seines Zeichens ein Fürst derer zu Schwarzenberg, ließ sich Zeit, er verstand es, der Unbedeutendheit, der offensichtlich geringsten



Karel Schwarzenberg

Karel Schwarzenberg
Tschechischer Außenminister, Vorsitzender der
TOP 09


Aufmerksamkeit, die ihm hier bereitet wurde, durch sein persönliches Auftreten und Wirken einige Bewunderung von Seiten seiner Beobachter abzutrotzen. Natürlich war es das bürgerliche, um nicht zu sagen kleinbürgerliche Ressentiment, das sich ihm als Mitglied des mediatisierten Hochadels, nämlich als Patriarch des Hauses Schwarzenberg, entgegenstellte. Dem offensichtlichen Bemühen, dem Fürsten zu zeigen, er sei Null und nichtig, ließ sich eben nur sein persönliches Wirken entgegen stellen und das bestand darin, sich Zeit zu nehmen für den Eintrag ins Goldene Buch. Nicht dass die neben ihm wartende Universitätspräsidentin Beate Schücking ungeduldig geworden wäre, ganz im Gegenteil, sie schien gelassen und mit einer inneren Haltung dem hohen Gast gegenüber, die zwischen Verwunderung und Neugier schwankte.

Sabrina hatte dem Besuchsprogramm entnommen, es würde im Anschluss an den Eintrag ins Goldene Buch einen Vortrag des tschechischen Außenministers geben. Als nun die Entourage, bestehend aus rund 12 Personen, aus dem luftigen Foyer in einen zurückgezogeneren Leseraum wechselte, schloss sich Sabrina, in der Annahme der Vortrag würde dann eben in diesem kleineren und hölzern getäfelten Saal stattfinden, der Gesellschaft an. Die Herrschaften, Ministeriale, Botschafts- und Universitätsmitglieder, nahmen an einem schweren Holztisch in der Mitte Platz, wobei für Sabrina und zwei weitere Personen kein Stuhl am Tisch übrig blieb.

Stille füllte plötzlich den Raum. Die Uni Präsidentin hielt die Balance zwischen freundlicher Höflichkeit und dem Zwang, als Gastgeberin eine nette Atmosphäre durch belangloses Plaudern herzustellen. Sie erkundigte sich nach dem Befinden des von der Hitze offenkundig in Mitleidenschaft gezogenen Herren von einigem Gewicht. Schwarzenberg erwiderte langsam und in seiner deutschen Sprachlichkeit sowohl leise als auch schwer verständlich. Die österreichische Akzenteinfärbung ließ ihn als Muttersprachler erscheinen. Da kein Vortrag gehalten wurde, brauchte es bis Sabrina endgültig realisierte, dass es sich wohl um eine Zwischenstation zur Auffrischung, Tuchfühlungnahme und Entspannung handeln sollte. Insofern hatte sie in diesem Raum nichts zu suchen, doch niemand fragte sie danach, wer sie denn eigentlich sei. Wahrscheinlich nahm jeweils die eine Partei an, sie gehöre zur anderen, so dass sie für die einen als Botschaftsattaché und für die anderen als Universitätsmitglied durch ging. Als plötzlich ein Stuhl am Tisch frei wurde, weil anscheinend ein dringlicheres Bedürfnis zu erledigen war, bot sich ihr sogar die verlockende Möglichkeit, noch näher heran zu rücken an die beiden mit einander das Gespräch suchenden Partner. Die undeutliche Aussprache Schwarzenbergs hätte ein solches Heranrücken sehr wohl gerechtfertigt, andererseits, wer war sie und wenn ja, wie viele, ließ Sabrina bleiben, wo sie saß, was, ohne Frage, eine gewisse Unbeweglichkeit bedeutete angesichts der sich in diesem Raum aktualisierenden Gesellschaftsverhältnisse. Bei weitem gingen diese über die Universität auf der einen und den Staatsbesuch auf der anderen Seite hinaus. Dass es sich bei Schwarzenberg um das Familienoberhaupt einer Fürstenfamilie handelte bekam seinen historischen Touch insbesondere durch die Anspielungen auf dessen Vorfahren, den Feldmarschall Karl Phillipp zu Schwarzenberg. Dies wiederum hatte besondere Bedeutung, weil sich die Völkerschlacht, in der Karl Philipp nominell den Oberbefehl inne hatte, im nächsten Jahr zum 200 Male jähren würde und zum hundertsten Male die Einweihung des Völkerschlacht Denkmals, für die Stadt versprach das ein historisches Großereignis zu werden. Wenn dies also die historische Dimension der Situation eröffnete, so mochte sie sich zwar auf das napoleonische Zeitalter einpendeln, in ihrer Tiefe aber beeinflusste die Holztäfelung des Raumes im Wesentlichen die Gegenwartsatmosphäre. Sie gab dem Ganzen etwas renaissancehaftes, etwas früh barockes, waren doch die Holzverschalungen gediegener Räumlichkeiten die häufig erhaltene Innovation dieser Epoche. Sabrina war sich bewusst, dass sie sich solchen historisierenden Wahrnehmungen hingeben oder aber es sein lassen konnte. Ja, sie beobachtete wie ihre Denke zwischen den historischen Bewusstseinswahrnehmungen und denen der Gegenwart hin und her oszillierten. Wer war sie in diesem historisierenden Bild? Eine hinter die Schranken verwiesene Hofschranze, die, gefangen im ständischen Denken, keine Möglichkeit hatte, ihren sozialen Aufstieg zu bewerkstelligen und somit dazu verdammt war, auf ewig und immer von ihrem Hungerlohn zu darben? Ganz wie Johannes Bach, der dieser Tage wegen des 800 Jahre Jubiläums des Thomaner Chores in der Stadt gefeiert wurde. Was war da nun Verblendung? Diejenige, hervorgerufen durch die Einfühlung in die historischen Verhältnisse dieser fürstlichen Besuchssituation oder aber jene Verblendung des modernen Menschen, der sich aufgrund der Techniken und globalisierenden Möglichkeiten seiner gesellschaftlichen Verortung und Fixierung enthoben fühlt? In beiden Fällen war das Ergebnis nicht positiv, also aufbauend und seinen individuellen Intentionen nach förderlich.

Die Pause war um, die Herrschaften schritten zur Tat, die in einem Vortrag des Außenministers und tschechischen Präsidenten in Spe bestand, in Spe, denn er wurde zu Hause als Kandidat für das hohe Amt gehandelt. Man ging hinüber in einen Lesesaal der Bibliothek Albertina, die Tür öffnete sich, Licht, Weite, Raum, Menschen, wie in einem Theater auf der Bühne, wenn sich der Vorhang öffnete. Sabrina sah sich plötzlich gesehen, während sie gleichzeitig ins Publikum schaute. Sie war überrascht, sie war überrascht auch davon, dass sie sich tatsächlich in einem der Lesesäle der Albertina befanden, die sich dadurch auszeichneten, dass auf den Tischen ein zwanzig Zentimeter hohes Sichtgitter aufgepflanzt einige Hindernisse und um so mehr Distanz zum Vortragenden vorne herstellten. Sabrina war das peinlich. Die Universität zu Leipzig hatte nichts anderes zu bieten als diesen schnöden Arbeitsraum. Einen Festsaal, ein prachtvolles Auditorium zum Empfang von Gästen hatte es vor dem Krieg gegeben, geblieben war von dem nichts.

Neben den vom Publikum erwarteten Ausflügen zu den Vorfahren des Fürsten, dem tschechischen Anliegen der grenznahen Wirtschaftsförderung kleiner und mittlerer Unternehmen, war es ein Detail, dass Sabrina aus Schwarzenbergs Vortrag mitnahm: Die deutsche Hochsprache sei nicht erst durch Martin Luthers Bibelübersetzung entstanden, sondern sie entwickelte sich aus der Correspondence des Wettiner Hofes mit dem kaiserlichen in Prag. Aha, schloss sie, auch Gottes Wort hatte seine Vorläufer in den real existierenden Herrschaftsverhältnissen.



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