Weltenlogo



Über Welten online   Kontakt   Impressum  Kommentare zu Welten online  Welten Blog




icon_printerPrint



Auf Sparflamme langsam geköchelt

Hamburg Harburg im Juli 2012, DG

Es spielte ja keine Rolle, wie Wrage, der Geschäftsführer von Sky Sails, auf die Idee mit den Zugdrachen gekommen war,che Spielereien das bei ihm war. Ohne dass sie es offen auszusprechen wagte, kreisten ihre Gedanken um ihre Beziehung, um die Perspektiven, die sich boten; konkret, sie dachte an Kinder, an Familie, an ein Leben mit ihm und dazu gehörte auch ein vernünftiges Einkommen. Wenn Uli ihr darlegte, diese Flugdrachen ließen sich technisch nutzen, dann könnte für ihn daraus ein Uni Forschungsprojekt entstehen, eines, durch das sich Geld machen ließ, um eine Familie zu ernähren. Während solcher Überlegungen hörte sie Ulis Stimme neben sich: In den Höhenwinden würden diese Flugdrachen sogar beständig fliegen, ohne je landen zu müssen, denn der Jetstream entstünde durch die Erdrotation und die würde schließlich nimmer nie aufhören. Derart wäre es gar möglich, eine in den Winden schwebende Plattform in zig Tausend Metern Höhe zu 






Power Kites












Energy Kites, animierter Off Shore Projekt Entwurf der Sky Sails GmbH, Hamburg Harburg, 2012


installieren, um von dort aus ins Weltall zu fliegen. Noch ehe sie ihn skeptisch anschauen konnte, denn sie wußte, dass die Jetstreams mehr aus globalen Temperatur- und Druckunterschieden entstanden und zudem zwar häufige, aber eben keine beständigen Winde in der oberen Troposphäre waren, also in zig Tausend Metern Höhe und somit unerreichbar für Flugdrachen, spürte Uli, dass er mit seiner Fantasie überrissen hatte, das war einfach zu phantastisch, zu abgehoben. Wie auch immer, mit diesen Drachen ließen sich nicht nur Surfer über den Maschsee ziehen, sondern ganze Schiffe über die Weltmeere. Die Frage sei jedoch, wie ließe sich mit diesen Dingern Energie erzeugen, denn das sei das bedeutsamste Problem. Der Treibhaus Effekt und die CO2 Krise seien schließlich nicht nur anthropologisch verursacht, sondern ganz allgemein komme eine Öl-Verknappungskrise, um von der Atomkraft und der Endlagerung des Atommülls ganz zu schweigen, und das alles, weil die Menschheit, gleich Dinosauriern, aufgrund ihrer Produktionsweise die Umwelt und Atmosphäre so lebensfeindlich veränderte, dass sie über kurz oder lang ausstürbe. Ohne Punkt und Komma war Uli richtig in Fahrt gekommen, das war sein Thema. Wenn er damit anfing, konnte es länger dauern bis er wieder runter kam zu den einfachen Dingen des Alltagslebens und dem, was ihr auf dem Herzen lag.

Zwanzig Jahre später, Stephan Wrage der Geschäftsführer der SkySails GmbH und Uli Hartmann, unser Welten online Journalist, saßen sich in einem modernen Konferenzraum in einem der modernen Bürohochhäuser Hamburgs an einem schlichten Holztisch von acht Metern Länge gegenüber. Uli erläuterte, er habe im Deutschlandradio ein Feature über die Firma gehört, die Idee habe ihn begeistert, mit Zugdrachen Handelsschiffe über die Meere ziehen und nun auch noch die Welt Energie Krise mit Flugdrachen zu lösen, das sei einfach fantastisch und die Leser von Welten online interessierten genau solche Lösungsansätze im Gegensatz zu den Sex, Crime and Ketchup Meldungen der Massenmedien. Wie er sich denken könne, handele es sich bei Welten online um ein exquisites Leserpublikum, das immer auch auf der Suche sei nach ethisch sauberen und finanziell rentablen Anlagemöglichkeiten. Leider habe die Recherche ergeben, das die SkySails GmbH zwar ein brillantes Produkt entwickelt habe, aber Anfang des Jahres hätte die Hälfte der Belegschaft mangels Aufträgen entlassen werden müssen1. Das war ein Punkt, da musste Wrage sofort eingreifen: Ja, meinte er, das sei ein schmerzhafter Einschnitt gewesen, aber notwendig, denn bei Planungsräumen über mehrere Jahre und bei dieser schwachen Konjunktur im Schifffahrtsbereich ließe sich die Gesamtbelegschaft eben nicht mit durch ziehen. Es sei auch kein Ende der Reeder- und Schifffahrtskrise in Sicht. Wrage, ein junger Mann, nicht mehr ganz in Ulis Alter, strahlte frohe Dynamik und überzeugende Gelassenheit aus, was bestens zu seinem frechen Lockenhaar passte. Seit über zehn Jahren sei man an der Entwicklung und habe diverse Preise gewonnen und an die dreihundert Patente angemeldet, das Produkt Zugdrachen sei ausgereift und marktfähig und dasselbe gelte für das Power System. Es arbeite nach dem Jo-Jo Prinzip, wobei der Power Drachen Achter Flugbahnen fliege und im Steigflug einen Generator antriebe. Das Ganze funktioniere voll automatisch und Computer gesteuert, die Gestehungskosten pro KiloWattStunde seien um 25% günstiger als die von üblichen Off Shore Windanlagen, die Evaluationsphase sei abgeschlossen, der nächste Schritt sei ein Demonstrator, also kein Prototyp, sondern eine Vorstufe, die die Funktionalität als auch die Kostenabschätzung belegen solle. Von dem Demonstrator Projekt hatte Uli schon vor Monaten gelesen, wann denn das nun anstünde, fragte er. Ja, darüber könne er keine Angaben machen, erwiderte Wrage, man sei mitten im Prozess und das seien nun mal Interna, zu denen er unmöglich etwas verlautbaren könne und wolle. Uli spürte, da war kein Weiterkommen, wenn überhaupt, schlussfolgerte er, ließe sich vielleicht im weiteren Gespräch heraus hören, wie es mit dem Demonstrator stand. Dennoch hakte er nach: Er habe verstanden, das Energy Power System sei ausgereift, eine erste 55 KiloWatt Anlage sei erfolgreich getestet worden, es seien also weniger technische Entwicklungsschwierigkeiten, sondern finanzielle … ? Uli ließ das Finanzielle mit einem Fragezeichen ausklingen, doch Wrage schaute ihn aus samtbraunen Augen nur undurchdringlich an und schwieg, um dann lachend anzumerken, er könne dazu beim besten Willen nichts sagen. Uli gab zurück, er aber würde sich seinen Reim darauf machen, denn wenn die technische Seite abgeklärt sei, dann könne es nur um den finanziellen Aspekt gehen, darum, ob genügend Kapital vorhanden sei, ein marktgängiges Produkt hervor zu bringen. Auch dazu sagte Wrage nichts, Schweigen, der Anflug einer Stille, die peinlich unangenehm zu werden drohte und darum nach einem neuen Thema, einer neuen Facette suchen ließ, um weiter im Gespräch zu bleiben. Dennoch dämmerte Uli in diesem Moment, dass noch ganz andere Entscheidungskalküle im Raum standen: Zum einen handelte es sich bei den Gesellschaftern und Kreditgebern der SkySails GmbH um wirtschaftliche Schwergewichte, zum anderen hatte die Kanzlerin in Folge der japanischen Atomkatastrophe von Fukushima vor einem Jahr den Ausstieg aus der Atomenergie durchgesetzt und zwar gegen erheblichen Widerstand in der Partei und der verbündeten Wirtschaftslobby, die erhebliche Parteispenden aus dem Energiebereich für den kommenden Wahlkampf in Aussicht stellte. Man wollte sich einfach nicht mit dem Ausstieg aus der Atomkraft abfinden, denn im Grunde bedeutete das die Zerschlagung eines über Jahrzehnte gewachsenen Gebietsmonopols, das fast so bequeme Renditen erbrachte wie die Sparte der Mobilfunk Anbieter. Doch die öffentliche Diskussion war seit der Finanzkrise gänzlich von umweltpolitischen und energierelevanten Themen abgerückt. Das Schreckgespenst der Finanzkrise nahm statt dessen das öffentliche Bewusstsein einer gerontologisch fortgeschrittenen Bevölkerungspyramide ein. Die Eigenheime, die Sparstrümpfe und Renteneinlagen könnten von den Börsenhaien europaweit geplündert werden, das waren die Meldungen, die kaum Platz für Schlagzeilen über das Milliarden Business der Modernisierung und Erweiterung der Stromnetze ließen. Es sei nämlich genug regenerative, dezentrale Energie aus Solardächern und Windkraftanlagen da, nur sei das Leitungsnetz so schwach, dass sie nicht verteilt werden könne. Zudem sei dieses Leitungsnetz, wie die Energiewirtschaft selbst, zentralistisch aufgebaut: Es gebe nur einige wenige Einspeisepunkte bei den Großkraftwerken, gebraucht würde jedoch ein intelligentes Netzmanagement mit vielen, dezentral organisierten In- und Output Punkten.

Uli wurde immer klarer, entweder dieser Wrage machte ihm mit seinen Energie Drachen etwas vor oder aber, es ging nicht mit rechten Dingen zu, dass seine energietechnische Innovation weder im Schifffahrtsbereich noch im Energie Erzeugungsbereich den Marktdurchbruch schaffte. Er wiederholte seinen Gedanken: „Mit rechten Dingen ging das nicht zu“, deshalb funktionierte es nicht, so, so. Das war nun eine ins Wirtschaftspolitische gewendete These, die detektivische Intuition erforderte. Vielleicht steckten selbst die Grünen, die eigentlichen Protagonisten der ökologischen Revolution, dahinter, denn sie wollten sich im anstehenden Bundestagswahlkampf von der Kanzlerin mit ihrem sensationellen Ausstiegsbeschluss nicht die Butter vom Brot kratzen lassen. Eine grüne Erfolgstechnologie konnte von daher nur nach einem gewonnen Bundestagswahlkampf zum Einsatz gebracht werden.

Die Technologie Geschichte war ja voll von Erfindungen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht auf den Markt kamen, hauptsächlich weil sie die mächtigsten Marktteilnehmer in Bedrängnis brachten. Zum Beispiel: Arabisches Öl-Kapital hatte bis vor dem letzten Generationswechsel in den jeweiligen Herrscherfamilien a priori kein Interesse daran, regenerative Energien zu entwickeln. Die Erdöl Nachfrage sollte hoch bleiben und der Reichtum in die eignen Kassen fließen. Dasselbe galt für innovative Industrien gleich Arbeitsplätze, die möglichst im eigenen Land und nicht irgendwo anders entstehen sollten.

Bezogen auf die SkySails GmbH ergaben diese Überlegungen das durchmischte Bild eines Für und Widers unterschiedlicher Interessenskollisionen, die nicht erlaubten, eindeutig klare Aussagen zu dem Produkt und damit zu der Firma zu machen. Der Eindruck, alles wäre parat und warte nur darauf loszulegen, stand gleich einem dreidimensionalen Fragezeichen auf der dOKUMENTE 13 in Kassel als Kunstgebilde in Raum und Zeit. Die Samstag Vormittag Antwort auf dem Flohmarkt lautete: Kundschaft, man wartete auf Aufträge und wenn diese nicht durch den Staat in Form seiner vielfältigen Erscheinungsweisen erfolgten, so durch privatwirtschaftliche Großabnehmer, die durch den Atom Ausweisungsbeschluss gezwungen waren, neue, regenerative Energiequellen zu erschließen.

Während Wrage ihm noch einmal erklärte, das der LCoE (Levelized Cost of Energy) 25% unter denen von Off Shore Windkraft Projekten lag und eine Kooperation mit bestehenden Windkraft Projekten trotz der dadurch gegebenen Doppelnutzung der Stromleitungen nicht anvisiert würde, weil es ungünstige Verhältnisse von Windverwirblungen geben könnte, schoss Uli durch den Kopf: Es hatte ja genug Strom, genug regenerative Energie, es war alles nur eine Frage des intelligenten Netzmanagements und des Milliarden schweren Umbaus des Leitungsnetzes durch die Konzerne.

Die wesentlichen Infos waren ausgetauscht, das Gespräch nach exakt einer Stunde an sein natürliches Ende gekommen. Shaking Hands and up.





1) Skysails entlässt die halbe Mannschaft, in: Financial Times Deutschland online 11. Februar 2012; zuletzt abgerufen am 09. Juli 2012.





icon_printerPrint






Über Welten online   Kontakt   Impressum  Kommentare zu Welten online  Welten Blog
Weltenlogo