Über Welten online Kontakt Impressum Kommentare zu Welten online Welten Blog | ||
|
||
|
|
Der Stasi MannLeipziger
Shortstory, im Juli 2010, DG Aus dem Haus
ist
kein Mann gekommen, sagte Jens. Dann weiß ich Bescheid, sagte
Iris zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Als Zwischenträger
dieser prägnanten Aussagesätze erwies sich Uli Hartmann. Wenn er
noch gelacht hatte, dass Jens mit seiner Aussage wieder einmal
lakonisch feststellte, es sei nichts passiert, er habe nichts
beobachten können, obwohl er doch einige Zeit damit zugebracht
hatte, das Haus zu beobachten, dann fügte Uli den Satz von Iris:
Dann wisse sie Bescheid, quasi als spätere Antwort auf Jens'
Beobachtung hinzu, obwohl er in einem ganz anderen Zusammenhang zu
einer ganz anderen Zeit an anderem Ort erfolgte. Uli verstand nicht,
wieso er das tat, wieso ihm diese beiden Sätze aus ganz
unterschiedlichen Situationen wieder in den Sinn kamen, ja, in ihm
widerhallten und er sie zu einem Ganzen zusammenfügte, obwohl sie
doch gar nicht zusammen gehörten. Vielleicht lag es daran, dass sie
von derselben Energie getragen schienen, einer, die sie aus ihren
Zusammenhängen heraus löste, so, wie ein Farbton in der einen Blume
und in der anderen Blume diese beiden doch zusammengehören ließ als
wüchsen sie am selben Strauch. Das etwas
mit
Jens nicht stimmen konnte, war ihm schon vor ein paar Tagen
aufgefallen. Zusammen mit Iris und Conny fuhren sie auf ihren Rädern
durch den Leipziger Auenwald zum Cospudener See, die beiden Frauen weit
hinter
ihnen, während der sportlich trainierte Jens, den Weg kennend, das
Tempo angab. Die beiden Männer unterhielten sich über dies und das,
als Jens ganz unvermittelt, wie ein Einsprengsel, erzählte, er habe
vor Tagen einen Anruf eines alten Freundes erhalten. Seine Betonung
lag dabei auf den Worten: Alter Freund, so dass Uli begann,
aufmerksamer zu werden, sich jedoch nicht in der Lage sah,
nachzufragen, um was für einen Freund es sich da gehandelt hatte. Er
kannte Jens noch nicht gut. Ob er Zeit habe, hätte der alte Freund
gefragt, sich zu treffen, auf einen Kaffee, er sei gerade auf
Durchreise in der Stadt. Der Punkt, um den es Jens in seiner
Geschichte von diesem Anruf ging, war, dass er Nein sagte, er habe
keine Zeit, er sei so voll mit Sachen, er würde das momentan nicht
schaffen. - OK, verstehe, hatte der alte Freund gesagt. Gut, dass du
das so klar sagst. Kenne ich auch. Dann bis zum nächsten Mal. Jens war
stolz darauf, sich kurz und bündig
abgegrenzt zu haben. Auch das hatte Uli gehört und verstanden,
dennoch irritierte ihn etwas an diesem spontanen Einsprengsel. Es kam
so unvermittelt, so aus heiterem Himmel, dass ihm Jens vom Anruf
dieses alten Freundes erzählte. Ebenso
unvermittelt empfand er am darauf folgenden Wochenende den Satz von
Jens, es sei kein Mann aus dem Haus gekommen. Sie hatten auf dem
Balkon gesessen bei Kaffee und Kuchen. Es war heiß, ein Sommer
Nachmittag, sie schauten in den Innenhof, Conny entdeckte zwischen
dem Grün der Bäume eine Schaukel. Schaut, eine Schaukel, sagte sie,
als wolle sie sofort hinunter springen und schaukeln. Sie schauten
alle hinunter und sahen an zwei langen Seilen von einem dicken Ast
einer stämmigen Rotbuche das massive Holzbrett einer Schaukel wie
von Geisterhand bewegt sich leicht hin und her wiegen. Kinder waren
nicht zu sehen und ihr Kaffeeplausch nahm eine andere Richtung als
Iris vom Obstgarten ihrer Oma erzählte, in dem genau solch eine
Schaukel gehangen habe. Offensichtlich hatte Jens die Schaukel weiter
beobachtet. Wie aus dem Nichts stellte er nach einer Weile fest: Aus
dem Haus ist kein Mann gekommen. Entgeistert guckte ihn Uli an: Wie?
Aus dem Haus ist kein Mann gekommen?, dabei lachte er laut auf. - Ja,
meinte Jens, aus dem Haus ist keiner raus gekommen, wobei er zur
Schaukel hinunter schaute, aber nichts weiter sagte. Stattdessen
übernahm es Iris, das Gespräch fort zu führen. Sie fragte Uli,
wieso er da denn so gelacht habe? Unvermittelt sah sich Uli in die
Defensive gedrängt, als hätte er mit seinem Lachen eine taktlose
Grenzüberschreitung begangen. Na ja, meinte er, wieder hat Jens
nichts beobachten können. Das fand ich komisch. Nun griff auch Conny
ein, als müsse sie sich gleichfalls schützend vor Jens stellen und
verhindern, dass Uli Jens damit angriffe, ihm vorzuhalten, dass er
wieder einmal, wie Uli fand, nichts mache, sondern nur beobachte und
ansonsten viel rum labere, also zu allem und jedem etwas zu sagen
habe. Insgeheim fand Uli nämlich, dass Jens fast zwanghaft am Reden
war, immer darauf bedacht, sich von Kontrolle und Fremdbestimmung
frei zu halten. Wenn er dann aber wirklich von sich und seinen
Gefühlen, seiner Vergangenheit und seinem Leben erzählen sollte und
ihm alle zuhörten, kam nichts anderes als sein Schweigen im Walde.
Genau diese Art hatte Ulis Argwohn geweckt. Was war Jens für ein
Mensch? Er konnte sich von ihm kein Bild machen. Ihn trennten Welten
von diesem Mann, den er durch Conny von einer GfK Gruppe her kannte,
einer Gruppe, die sich in 14 tägigen Gesprächsrunden in der gewaltfreien
Kommunikation nach Rosenberg übte. Spannend
fand
Uli, dass Jens im Leipziger Porsche Werk am Fließband arbeitete, er
also ein klassischer Arbeiter im Schichtbetrieb war, mithin ein
waschechter Prolo: Mit Bierpulle auf dem Sofa in der Stube am Abend
vor der Glotze und die Fußball WM schauend. Pustekuchen, ein
gediegener Haushalt, eine große Wohnung, die geschmackvoll
eingerichtet mit Nippes und Natursammelstücken, mit letzten
Tageszeitungen auf der Toilette und überall auf Tischen und in
Schränken verstreut Bücher und CDs, dabei jedoch nicht unordentlich
auf dem Boden, einiges an Geistigkeit, Ästhetik und Muse verriet. Er
hatte schon heraus gehört, dass es Jens um Abgrenzung zu eben
solchen Bild Zeitungsprolos im Betrieb ging. Andererseits fragte er
sich, wie so ein Mann in die Fron der Schicht- und Fließbandarbeit
hatte abgedrängt werden können. Sollte es nur an Iris, seiner Frau
liegen, die als Erzieherin solch hohen Lebensstandard kreierte? Nein,
irgend etwas stimmte mit den beiden nicht. Einmal, in einem Gespräch, meinte sich Uli zu erinnern, aus den Augenwinkeln gesehen zu haben, wie Iris böse zu Jens hinschaute, er möge sich jetzt bitte nicht verplappern. Die beiden verschwiegen doch etwas. Intuitiv war Uli klar, es ging um Iris' und Jens' DDR Zeit. Conny und er, sie kamen aus dem Westen. Sie arbeitete als Physiotherapeutin an der Uni und Uli versorgte als Arbeitsloser ihren Haushalt. 1990, das war jetzt zwanzig Jahre her. Iris und Jens waren damals Anfang dreißig gewesen. Für Uni und Ausbildung waren die beiden damals zu alt. Sie hatten etwas anderes gemacht, aber was? Und warum verschwieg Jens so beharrlich seine Vergangenheit? Wieso redete er derart zwanghaft, als wenn er im Grunde vor etwas davon liefe? Ja, das musste es sein. Der Fall war klar: Jens war ein Stasi, ein ganz offizieller Mitarbeiter der Staatssicherheitsorgane der DDR, vielleicht war er sogar in der Runden Ecke zu Leipzig beschäftigt gewesen. Kein Wunder also, dass er seine damalige Zeit verschwieg. Er hatte Leute beobachten müssen, hatte stundenlang in einem Lieferwagen Wache geschoben und Hauseingänge beobachtet, ob da jemand raus kam. Sie hatten ja alle den Film von Donnersmarck das „Leben der anderen“ gesehen. Sie wussten ja, wie das war. Jeder zehnte Bürger der DDR hatte etwas mit der Stasi zu tun, war ein IM, ein inoffizieller Mitarbeiter, ein Denunziant, der seine Freunde, Kollegen, Bekannten bespitzelte, aushorchte und ans Ministerium, an den Kontaktoffizier, an den alten Freund berichtete und so einer war Jens, so eine war die liebe Iris, das hätte er echt nicht gedacht. Das ihm das jetzt erst aufging. Uli raufte sich die Haare. Was war zu machen? Wie zu verfahren? Sollte er die beginnende Bekanntschaft sofort abbrechen? Denn das war doch klar, mit solchen Ex Spitzeln wollte er doch unter keinen Umständen auch nur das geringste zu tun haben. Andererseits, vielleicht bildete er sich das alles nur ein und es gab eine ganz vernünftige Erklärung. Ja, es musste ein ganz vernünftige Erklärung her und damit wäre dann bewiesen, dass er sich irgend etwas zusammen gereimt hatte, dass er rum spann. Wie dem auch war, mal ganz abgehoben von dem konkreten Fall, mit dem er da zu tun hatte, selbst wenn der ganz symptomatisch unbewiesen und darum in der Schwebe war, wie die Selbsterkenntnis, dass nicht die anderen krank waren, sondern er selbst, so, als befände er sich in diesem gewissen Zwischenstadium eines anrauschenden grippalen Infekts, der schwächend, mit Kopfschmerzen und Fieber Einzug hielt in sein normales Leben, aber sich noch nicht gänzlich und vor allem eindeutig entfaltet hatte und darum die Selbsterkenntnis des: Ich bin krank, im Graubereich des Zweifels hielt, so handelte es sich um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das in den Ostblockstaaten anzutreffen eigentlich die Regel sein musste, so wie es die Regel war im Nachkriegsdeutschland der 60er Jahre mit Ex Nazis zu tun zu haben. Es handelte sich mithin um ein enormes Potential an gesellschaftlicher Ausgrenzung. Auf der politischen Bühne tat sich dies Kund mit der Verdammung und Ächtung jedweder Koalitionen mit der SED Nachfolgepartei Die Linke. Die Brandmarkung der Stasi Schergen, die mit Folter, mit unmenschlichen Verhören, mit Staatsterror und Bespitzelung die aufkeimende Opposition zurück zu drängen suchten, hatte nun mehr in den 2010er Jahren einen unsichtbaren Tabubereich hervor gebracht, der sich durch Verschweigen, Verdrängen, Leugnen auf der einen Seite und auf der anderen durch Anpassung, bedingungslose Übernahme von Denke und Verhaltensweisen und schließlich Angst vor Entdeckung als lastendes, jedes Lachen und vor allem jede Aktivität erstickendes Momentum in Ostdeutschland unsichtbar und nimmer nie geschehen zu machen suchte. An diesem
Punkt
seiner Überlegung angekommen, sagte sich Uli, es könne nur darum
gehen, dass auch die Ex Stasi Schergen als Täter ihre Rolle als
Systemopfer einer Gewaltherrschaft verstanden. Die Zwänge, die Angst
und der Schrecken vor den damaligen Autoritäten galt es
durchzuarbeiten und wahrscheinlich würden sie dann gemeinsam ganz
schnell bei den heutigen so unscheinbaren Gewaltzusammenhängen von
Tabuisierung, Ausgrenzung und Fraktionszwängen, ob nun in ihrem
demokratischen Parlamentarismus oder aber in den Firmen und
Organisationen, landen. Super! Mach mit - mach nach - mach besser! Er
hatte wieder einen idealen Gedanken formuliert mit einem genialen
Volonté général. Beim
Abendbrot erzählte er Conny von seiner Entdeckung. Mit großen Augen
schaute sie ihn ungläubig an. Das ist nicht dein Ernst, sagte sie in
einer Mischung aus Empörung und Abgrund tiefer Traurigkeit. Doch, das
ist mein Ernst. Die Indizien sind eindeutig, verstehst du, eindeutig. Freya Klier hat
Recht: Die Stasi lebt, sie lebt als Untergrundkrake weiter. Wenn nicht
als professioneller Geheimbund, dann als verdrängter Tabubereich all
der Leute, die damit zu tun hatten, verstehst du? - Ach, hör doch auf!
Ich will davon nichts wissen. Lass mich in Ruhe mit deinen Horror
Geschichten, mit deinen Spinnereien. Du machst mir nur alle
Bekanntschaften und Freunde mies mit deiner Polithetze, mit deiner
Vergangenheitsbewältigung, die doch keine ist, weil es nicht deine
Vergangenheit ist. Wir haben doch nichts damit zu tun. Wir kommen doch
aus dem Westen. Also, ich will davon nichts mehr hören. Conny stand auf
und rauschte ab in ihr Zimmer. Er räumte die Küche auf, als sie nach
einer Weile im Flur, die Klinke der Wohnungstür in der Hand, sagte: Ich
bin weg. Sieh zu, wie du das mit Iris und Jens hinbekommst. So kann ich
mit denen nicht mehr Kaffee trinken. Die Wohnungstür klappte hörbar im
Schloss.
LächerlichkeitDer
Unterschied zwischen einem Adler und einem Hahn besteht ganz
offensichtlich nicht nur darin,
dass der eine fliegen kann und der andere allenfalls davon träumt, sondern darin, dass der eine frei in der Natur geboren wurde und der andere als domestiziertes Gefieder zur Gattung der Hühnervögel und somit zum Niederwild zählt.
Auffällig
kam es
Uli vor, dass Jesuitenpater Kunersdorf zwar nicht lachte, als er der
versammelten Runde seine These zum tabuisierten Gesellschaftsbereich,
gezogen rund um die ehemalige Stasi, darlegte, dafür ihm aber
attestierte, er sei wohl ein wenig durcheinander, da seien ihm
anscheinend zwei Dinge quer gegangen, denn die Stasi und ihre
Schandtaten, das sei wohl das eine, den Nutzen, den die CDU und die FDP
daraus zögen, das andere. Auch die Durlach hatte Uli ja
schon bescheinigt, dass er wirres Zeug rede, er also unverständlichen
Schmarren von sich gäbe. Natürlich kränkte ihn das. Er hatte
darauf zu vertrauen, dass diese Leute, die ihn reden hörten, ihm
zuverlässig spiegelten, wie er bei ihnen mit seinen Überlegungen
angekommen war. Da er selber logisch fand, was er sagte, es selber
jedoch in die Kategorie von Dingen einordnete, über die wenig, wenn
überhaupt nur in Fachkreisen geredet wurde und zudem eben nicht an
diesem so anderen Ort meditativer Stille mit anschließendem
Teeplausch, einem Ort also, bei dem man doch eher auf geistig
spirituelle Diskussionen gefasst war und nicht auf solch profane
Politanalysen, versuchte er abzuwägen, dass es einerseits tatsächlich
an ihm, an der blumigen Ausgestaltung seiner Rede lag, die auf
fremden Terrain ungewohnte Begrifflichkeiten zu Sinnzusammenhängen
verband und dabei den einen oder anderen Ausfallversuch zwecks
späterer Anknüpfungspunkte unternahm und andererseits durchaus am
mangelnden Verständnis, um nicht zu sagen politischen Unwillen in
diesen Gefilden sich solche Reden überhaupt bieten lassen zu
müssen, so dass es am besten schien, seine Ausführungen als völlig
unangebrachte Rebellion, eben als einen durcheinander geratenen
Aufstand im Reich der Innerlichkeit herunterzuspielen, dabei
versuchend ihn der Lächerlichkeit anheim zu geben, so dass er es
nimmer nie wagen würde derartiges zu wiederholen.
Erschreckender Weise erinnerte ihn diese Szene an seinen ersten poetischen Vortragsversuch. Er stand neben dem Klavier, die Freunde und Bekannten seiner Mutter lauschten noch dem Klang seiner Stimme und den im Gedächtnis verhallenden Worten nach, dann Stille, ein Schweigen, das sich für ihn zu einer kleinen Ewigkeit ausdehnte und in diese Stille hinein klang spitz, übergehend ins Schrille, das verlegene Lachen der Möwe Irina Nikolayevna Arkadina. Eigentlich hätte es ihm peinlich sein müssen. Ohne Frage griff ihn diese Szene an, doch seltsamer Weise glitt jedes spöttische Lachen von seiner Seele ab, als wäre sie von Öl überzogen. Sein Blick ging über ihre Köpfe hinweg, in eine Ferne, aus der ihm etwas erstaunliches wundersam deutlich wurde. Ohne ein Wort zu sagen, schritt er aufrecht, erhobenen Hauptes, die Schreibtafel mit Gedichtblättern in der Hand, zu seinem Platz am Kamintisch. Das Lachen und Prusten hatte sich in der geselligen Runde gelegt, in diese Ruhe hinein hörte er sich sagen: „Ich kann nichts dafür. Es sprach in mir. Ich bin nur das Instrument.“, dann setzte er sich. Ehe wieder ein pikiertes Schweigen aufkommen konnte, gab Irina Elena einen Stoß, damit sie mit ihrem Gang zum Klavier die Gäste erlöste. Und Beifall verteilte reichlich Vorschuss Lorbeeren, um sich von so einiger Schuld zu befreien.
|
||
|
|
|
|
||