Über Welten online Kontakt Impressum Kommentare zu Welten online Welten Blog | ||
|
||
|
|
Es
lebe
die Elite, das Establishment
und die Hierarchie!
Berlin, 26. Juni 2010, 1.
Mitgliederversammlung des ISM, Institut Solidarische Moderne, DG Micha Welten kam
niedergeschlagen zurück von dieser hochkarätigen Politveranstaltung,
der ersten
Mitgliederversammlung des Instituts
Solidarische Moderne. Er
hatte sich auf der Versammlung weit aus dem
Fenster gehängt, in dem er mehrmals das Wort ergriff und den Ablauf der
Veranstaltung kritisierte. Das war natürlich keine Art und dann zu
erwarten,
dass er mit Freuden als Beisitzer gewählt werden würde, das war wohl zu
viel
verlangt. Er fand, die Leute hatten sich mit
Sprachhülsen, mit Platitüden,
mit ausgeleierten Phrasen und Begriffen beschmissen und zu guter letzt,
am
späten Abend, über einem mehrseitigen Positionspapier mit
Änderungsanträgen und
Abstimmungen zu Gericht gesessen, um dies Papier, sozusagen als
Zusammenfassung
ihrer Phrasendrescherei, der Öffentlichkeit als Aushängeschild und
Absichtserklärung
vorzusetzen. Also, so schloss Welten, dieser sich mehr und mehr als
ThinkTank
begreifende CrossOver Verein, der angetreten war, einen Brückenschlag
zu
versuchen, die auseinander driftenden und jeweils einzeln um
Wählerstimmen
buhlenden drei Parteien im linken Spektrum, die Grünen, die Linke und
die SPD,
bereit zu machen für ein Bündnis, für eine Allianz, letztlich für eine
dauerhafte Listenverbindung,
war doch nichts anderes als eine weitere Pamphlete Fabrik. Als wenn es
nicht
schon genug Papiere gebe. Weltens Kritik bezog sich vor allem auf die
Strukturen dieser ach so deutschen Vereinsmeierei und der dabei sich
herausbildenden Hierarchie, die natürlich an die vorgegebene also an
die bestehende
anknüpfte, um diese fortzusetzen. Wenn das Vereinsrecht
Haar klein vorgab, wie bestimmte Statuten und damit noch aus der
Kaiserzeit
stammende Regularien: Wahl des Vorstandes, der Beisitzer, des
Kassenwarts etc.
zu erfüllen waren, dann war auch ein Die da Oben und ein Die da Unten
eingesetzt. Gab es dazu keine Alternative? Weltens Eindruck, er sollte
lediglich das menschliche Massenmaterial der diesem Verein vorsitzenden
Polit-Prominenz darstellen, stieß ihm wahrlich auf. Doch sein Einwand
wurde vom
Tisch gefegt. Schließlich sei Prominenz so etwas wie kulturelles
Kapital, um
nicht zu sagen politisches Kapital, was darauf hinaus lief, dass sich
fünf
Polit Medien Stars: Andrea Ypsilanti, Hermann Scheer, Katja Kipping, Sven Giegold, Anke Martiny
sowie, um nur einige aus dem akademischen Viertel zu nennen, die
Politprofessoren Lessenich, Mahnkopf,
Schluchter II und nicht zu vergessen den zur Ikone der Marxismuslehre
aufgestiegenen Elmar Altvater, zusammen taten und von oben herab per Gründungsaufruf
einen Verein, ein Institut und ihre mediale Massenbewegung gründeten,
als
handele es sich um ein Unternehmen, nur eben im politischen Feld. Nein,
das war
nichts neues, Marx und Engels hatten nichts anderes gemacht, an so
etwas wollte
Micha Welten nicht mitarbeiten. Auf Wiedersehen! Ihm kam es viel mehr
darauf
an, in wie weit die Leute befähigt wurden, in Austauschprozesse, in
Beziehungen, in gemeinsame Vorhaben zu kommen, die über so etwas wie
ein
vorformuliertes Positionspapier hinaus gingen. Anscheinend waren das
bei ihm
noch grüne Restbestände von Wunschvorstellungen aus den 80er Jahren mit
Rotationsprinzip und Kreisplenum. Die Zeiten waren nun endgültig
vorbei. Wie so
viele würde er lieber abtauchen in die politische Resignation, in die
Nicht-Wählerschaft eines sich demokratisch schimpfenden Systems, dass
in
Wahrheit eine sich selbst vorschlagende und wählende Elitenherrschaft
darstellte. Es war ein heißer, sonnenbeschienener
Samstag Nachmittag, als
Michael Welten mit dem Fahrrad zum Tagungsort angeradelt kam. Er
wunderte sich,
dass die Mitgliederversammlung des Instituts Solidarische Moderne (ISM)
im
Gemeindesaal der Jerusalem Kirche nicht unweit gegenüber dem Jüdischen
Museum
in Berlin tagte. Der Saal war ihm einschlägig von einer DGB
Veranstaltung her
bekannt. Die Sonne hüllte den Platz vor dem Eingang in gleißendes
Licht, an
Stehtischen gruppierten sich einige Leute. Auf Welten machten sie den
Eindruck
von distinguierten Leuten, die durchaus den Erwartungen für eine
Gemeindeversammlung entsprachen, wobei ihre Kleidung sachliche Strenge,
gepaart
mit einem modischen Einschuss, ausstrahlte und derart die Gegenkultur
zur Anzug
mit Krawatte oder Deux Pièce tragenden Geschäftswelt darstellte. Auch
altersmäßig handelte es sich um avanciertere Jahrgänge von
Gewordenheiten. Im Empfangsbereich ließ es sich Andrea
Ypsilanti, die noch in
Hessen 2008 mit einer Links Allianz scheiterte, nicht nehmen, die
Ankömmlinge
persönlich zu begrüßen und ihnen am Empfangstisch die Unterlagen für
die
Versammlung zu überreichen, wobei sie für jeden, auch für Welten, den
sie noch
nicht kannte, freundliche Worte fand - noch. Danach, mit einem Glas in der Hand,
gesellte sich Welten an einen
der Tische draußen in der Sonne und fand sich bald im Gespräch mit zwei
Frauen.
Die eine erzählte, sie habe am Vortag Elmar Altvater sprechen hören.
Just in
diesem Moment kam er auf den Gemeinde Vorplatz geradelt. Welch Zeichen,
wo sie
doch gerade von ihm gesprochen habe, bemerkte die junge Frau. Auch
Welten nahm
es als ein Zeichen höherer, waltender Kräfte von Zufall und
Übereinstimmung,
wobei er an den C.G. Jungschen Synchronizismus dachte und daraus
schloss, er
sei also bei dieser Mitgliederversammlung an einem Ort verdichteten
Denkens,
Redens, Handelns und Geschehens. Es galt heraus zu bekommen, wo sich
ihm, dem
Gesetz der Serie folgend, weitere Synchronizitäten, entspringend aus
verdichteten Gesellschaftskräften, auf taten und welche Stilblüten des
Moments
sie formten. Die Energie, die Micha Welten in den
ersten drei Stunden der
Mitgliederversammlung entgegen schlug, ließ sich am besten beschreiben
mit
„Vorwärts“, wobei Ellenbogen, Ausgrenzen, Schneiden, Nach vorne Drängen
ins
Licht, ins Gesehen, Gehört, Wahrgenommen Werden, um jemand zu sein und,
da es
sich zumeist um gestandene Männer im besten Glatzenalter handelte,
darum,
jemand zu bleiben, also, um die eigne Stellung zu sichern, vielleicht
sogar
auszubauen. Welten hatte sich aufgrund des Web
Auftritts und der Facebook
Aktivitäten des ISM ein wesentlich jüngeres Publikum vorgestellt. Wie
ernüchternd und zugleich beruhigend, die durchs Netz vermittelte
Geschwindigkeit und Intensität auf ein gewisses Normalniveau herunter
geschraubt zu sehen. Es tat gut, die virtuelle Welt auf den Boden der
Wirklichkeit zu bekommen, nur was war das für eine Wirklichkeit?
Während Raffaela
Bollini als Gastrednerin
in einem gebrochenen ItaloEnglisch über die Krise
der Gegenwartspolitik sprach, fragte sich Welten weiter, was eigentlich
sein
eigenes Anliegen an die Politik, an diese Plattform für ein
Linksbündnis von
SPD, Grünen und Linken war. Ja, ihm ging es um Lebensgemeinschaften,
um die Weiterentwicklung
der Kibbuzim Bewegung und er stellte fest, obwohl er doch wusste, was
ihm
wichtig war, brachte er es in seinem Privatleben einfach nicht fertig,
sich
konzentriert in dieses Thema, als auch in die Lebenswirklichkeit dieser
Szene
einzuarbeiten. Wieso schaffte er es nicht selber, eine Community
aufzubauen
bzw. in eine bestehende hinein zu kommen? Er schwirrte wie eine
Eintagsfliege
im Universum der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und
Entwicklungen
umher und brachte es nicht fertig konkret zu werden. Aber was sollte
das
heißen? Er brauchte ja nur an die Leipziger, die Freiburger oder die
Berliner
Szenerie zu denken: Zwei, drei Protagonisten, die ihr Grüppchen um sich
scharrten, die jeder etwas machen wollten, die aus lauter Eigensinn
aber zu
klein blieben, um wirklich etwas auf die Beine zu stellen.
Funktionierende
Lebensgemeinschaften mit basisdemokratischen Strukturen, mit
gemeinschaftsbildenden Gruppenabenden und der Selbstbestimmung der
Arbeits- und
Lebenszusammenhänge blieben selten. Und was hieß schon funktionierende
Lebensgemeinschaften? Das war wieder eine Idealisierung, die über die
Schwierigkeiten
und Auseinandersetzung in den Gemeinschaften hinweg ging. Vorne auf dem Podest hatten sie fünf
schwarze Armsessel für ein
Talkshow Podium aufgebaut, auf dem also repräsentativ von den
maßgeblichen
Akteuren des Instituts diskutiert werden sollte. Jascha vom Institut für Partizipatives Gestalten
erklärte nun, es würden Fragen ins Plenum hinein gegeben, durch
Umdrehen der
Stühle in den Sitzreihen sollten Gruppen von rund acht Leuten gebildet
werden,
um in diesen die Fragen in Form eines Palavers zu diskutieren.
Anschließend
sollten die Ergebnisse gebündelt nach vorn zum Podium gegeben werden,
so dass
sie dort repräsentativ diskutiert werden könnten. Das Wort Palodium
setze sich
also aus Palaver und Podium zusammen. Endlich, dachte Micha, endlich
konnte er
selber mal was sagen und hören, was die anderen Teilnehmer dachten. Wie
von der
Leine losgelassene Hunde schien es jedoch weniger um die Fragen zu
gehen, als
vielmehr das Wort an sich zu reißen, so dass man möglichst die
vorgegebenen
acht Minuten alleine redete, dadurch die anderen ausschaltete und so
der
Stärkste wäre mit den besten Chancen demnächst auch einmal oben auf dem
Podest
zu sitzen. Super! Ein Hauen und Stechen um die ersten, also die besten
Listenplätze brach sich Bahn. Micha fand das typisch für die chaotische
Phase
zu Beginn eines Großgruppen Prozesses. Während dessen schauten sich die
Podiumsteilnehmer genüsslich von
oben das bunte Treiben an. Sie waren aufgrund ihrer maßgeblichen
Bedeutung
vorher ausgewählt worden oben zu sitzen, worum die da unten sich im
Grunde
stritten, natürlich ganz Themen bezogen.
Deutlicher als durch diese Mischform von Podiums- und
Kleingruppendiskussion
konnte die sich abzeichnende Hierarchie in diesem Verein nicht zum
Vorschein
kommen. Die dahinter stehende Frage war, wie ließ sich am besten und
effektivsten in Großgruppen diskutieren? Gab es vielleicht Formen und
Methoden
mittels derer die divergierenden Ansprüche der Teilnehmer am besten
gestillt
werden konnten? Die erste Frage, die ins Plenum gegeben
wurde betraf die
Selbsteinschätzung der Mitglieder bezüglich der „Positionierung“ des
„Instituts“. In seiner Gruppe hörte Micha deutlich einen
Universalitätsanspruch
heraus: Wir sind in allen gesellschaftlichen Gruppen vertreten und
wollen für
diese sprechen und für diese arbeiten, denn wir wollen die politische
Mehrheit
im Land. Micha fand das ziemlich edel und
anspruchsvoll, war doch der
kämpferische Unterton, mit dem sich gegen die Auswüchse des
Neoliberalismus,
der Massenarbeitslosigkeit, der Armut und das Elend, die
Kriegstreiberei
gewandt wurde, nicht zu überhören. Selber fragte er sich jedoch nicht
nach der
besten strategischen Ausrichtung im politischen Kampf um die Mehrheit,
sondern
danach, welches positive Lebenskonzept er im Kreis dieser sich selbst
als
linkes Spektrum begreifenden Versammlung vorfinden würde. Stieß er
vielleicht
auf eine gangbare Lebensalternative oder nur auf Leute, denen es um die
Erringung gesellschaftlicher Vertretungsmacht ging, ohne allerdings
Vorschläge
und Visionen für ein besseres Leben zu haben? Vom Podium herab erhielt er ernüchternde
Antwort von Anke Martiny
dahin gehend, dass für sie Politik nichts anderes sei, als die
Organisation von
tragfähigen Kompromissen. In seinem Podiumsbeitrag fing Lessenich,
ein Polit Prof. aus Jena,
der sich in die Institutsgründung rein gekniet hatte, mit einem „Ihr“
an, was
sofort ein „Ihr da unten“ suggerierte. Sofort schob er entschuldigend
nach, er
benutze das kollektive Ihr. Welten fragte sich, ob es denn sonst noch
ein Ihr
gäbe. Vielleicht das wilhelminische Ihr, aus dem auch die Regularien
des
Vereins- und Versammlungsrechts stammten? Die nächste Palaverrunde begann, innerlich
wandte sich Welten ab.
Das waren doch alles nur intellektuelle Sprachhülsen, Schablonen,
auswendig
gelernte Platitüden, eingeübte Sprüche mit denen sich die einzelnen
beschmissen, um einen guten Listenplatz zu bekommen. Welten lehnte sich
zwischen Resignation und aufmerksamer Spannung zurück. Natürlich ging
es darum,
mit zu tun, also tat er mit und behauptete, der Ansatz des Palodiums
sei genau
das, worum es ginge: Das Zusammenbringen des anwesenden Establishments
mit dem
gemeinschaftsbildenden Leben der Basis, aus der heraus sich neue Funktionen und Spezialisierungen
ergaben. Als Arbeitsergebnis notierte er: Gemeinsamkeiten herstellen,
Vorurteile zwischen den Parteien abbauen, Bomben entschärfen, Stimmen
hörbar
machen, aktive Mitarbeit. Einen ersten Ausfall Versuch erlaubte sich
Welten, als es, wie er
sagte, zur klassizistischen Liturgie des Vereinsrechts kam. Sie sollte
im
folgenden anhand der vorgefertigten Tagesordnungspunkte abgearbeitet
werden.
Als die Frage vom Vorstandspodium kommt, ob es Änderungsanträge zur
Tagesordnung gäbe, meldet er sich mutig, schwingt sich schließlich zum
Mikro
hinauf auf die Bühne und fragt in die Versammlung hinein, ob es nicht
eine
andere Möglichkeit gäbe, diese aus Kaiserszeiten stammende
Versammlungs- und
Vereinsrechtsauflagen zu erledigen? Ihm hätte die Arbeit in den
Kleingruppen
zuvor gut gefallen. Er spürte, wie ihm Hohn, Spott und Ablehnung
entgegenschlug, als die Frage aus dem Publikum kam, was für alternative
Ideen
er denn habe und als er sagte, er wisse nicht, er habe keine
Vorstellung, wie
es anders gehen könne, lachten sie und Micha fühlte sich ausgelacht und
blamiert. Im weiteren Verlauf erntete der Vorstand lauten Beifall und
Klatschen
für seine geleistete Arbeit. Von oben herab, der Vorstand, das
Kuratorium, schüttete nun seine
vorgefertigten Leistungen über die 300 Leute aus. Welten hingegen
schlug die
Hände über dem Kopf zusammen. Wieder war er aufs Zuhören, aufs
Konsumieren und
dann zum Abstimmungsautomaten: Hand hoch: Ja, Hand hoch: Nein,
reduziert. Er
war kurz davor aufzustehen und zu gehen, darauf hatte er keinen Bock. Am Rednerpult stand wieder Herr Dr.
Professor Lessenich und
dozierte, wobei er sich sichtlich wohl fühlte vor diesem erlesenen
Publikum von
einiger politischer Macht sprechen zu können. Eigentlich fühlte er sich
als der
Macher und Gründer, als die tragende Kraft des Instituts und dieser
parteiübergreifenden Gesellschaftsplattform. Unter den Gästen hatte er einige Kollegen gesehen. Mithin handelte es
sich um alte Bekannte, die es im akademischen Überbau mittels des
Instituts zu
etwas bringen wollten. Lessenich zumindest hatte es geschafft sich
gegenüber
Ypsilanti und Scheer, den SPD Flaggschiffen des ISM, zu profilieren und
sich
als Ansprechpartner herauszuarbeiten. Auch, als es zu den Neuwahlen des
Vorstands, der Beisitzer und vor
allem der Sprecher kam, hielt es Welten nicht auf seinem Stuhl. Wieder
sprang
er auf, sozusagen außerhalb der Tagungsordnung, allerdings mit
Genehmigung des
Vorstandes, die seine Hand gesehen hatten, angelte sich wieder das
Podiumsmikro
auf der Bühne – geiles Gefühl da oben zu stehen, wie ein Sänger auf der
Bühne,
dachte er für einen Moment, wobei er dieses Gefühl sofort als
unsachgemäß
beiseite drückte, denn er wollte sich ganz bestimmt nicht auf diese
Weise
profilieren, es ging ihm um die Sache – und monierte, dass die 5
Sprecher keine
Gegenkandidaten hätten, so, als ob es ein Verein wäre, der keine Leute
zur
Auswahl hätte und froh sein könne, wenn überhaupt jemand kandidiere und
die
Pflichten des Amtes übernähme. Kurz: Er sei doch kein
Bestätigungsautomat. Er
habe keinen Lust zu solchen Pseudo-Wahlen. Das hätten sie vorher auch
schriftlich machen können. Aus der ersten Reihe zischelte entrüstet,
erbost Andrea Ypsilanti,
die er bis anhin echt nett gefunden hatte, zu ihm hinauf, dann solle er
doch
selber kandidieren, wobei sie eine gehörige Portion Spott über ihn
ausgoss.
Micha wusste natürlich nicht darauf spontan zu reagieren und ging
darüber
hinweg. Es war doch klar, dass er sich zwar aufstellen lassen konnte,
aber
nicht die geringste Chance hätte, also, was sollte ihr dummer Spruch? Offensichtlich fand sie diesen Typen da oben
auf dem Podium einfach unmöglich. Sie hatten so viel gearbeitet, um das
ISM
aufzubauen und um so einige wichtige, namhafte Leute ins Boot zu ziehen
und da
kam so ein Schnösel daher, so ein Möchtegern, der von Tuten und Blasen
keine
Ahnung hatte, und wollte ihnen die wohl verdienten Positionen madig
machen. Er
konnte froh sein, dass sie nicht schon längst den Saal-Ordnungsdienst
geholt
hatten, um ihn raus zu werfen. Anarcho hörte es Micha von ganz links
nicht
schimpfen, offensichtlich hatten sie aus dem spanischen Bürgerkrieg
gelernt. Als es dann um die Beisitzer ging, fühlte
sich Welten in die
Pflicht genommen. Er hob seine Hand in Richtung Vorstandstisch, seine
Kandidatur anzumelden. Wieder oben am Bühnenmikro versuchte er sich
ganz
spontan den 300 Menschen im Saal vorzustellen. Er sei früher in der SPD
gewesen, für einige Jahre in der Schweiz gegangen und nun mehr zurück
in
Leipzig und insofern parteilos, auch habe er noch nie ein politisches
Amt inne
gehabt, aber nach dem er hier Kritik angemeldet hätte, fühle er sich in
die
Pflicht genommen, nun mehr auch zu kandidieren. Er erwähnte den Einwurf
von
Ypsilanti, er solle doch selber kandidieren und dann würde er schon
sehen,
nicht. Er nannte seinen Namen: Michael Welten laut und deutlich, damit
er auf
den Wahlzettel eingetragen werden könnte und wiederholte ihn auch noch
einmal
am Vorstandstisch, damit er von dort per PC Eingabe auf die Leinwand im
Hintergrund projiziert werden konnte. Als die Wahlzettel ausgeteilt
wurden, sah
er jedoch, dass dort sein Name nicht ausgedruckt stand. Vielmehr fanden
sich
dort vorgedruckt 5 Namen mit einem anzukreuzenden Kreis dahinter. Unten
drunter, zum Nachtrag eventueller Spontankandidaturen zwei Linien, auf
die die
Namen einzutragen wären. Pause. Eine Frau war ihm aufgefallen, auch
aus Leipzig, sie wollten
sich später zwecks regionaler ISM Gruppen treffen. Beate erzählte, sie
hätte
wegen der Regionalgruppen mit jemandem aus dem Vorstand gesprochen. Die
hielten
nicht viel davon. Es ginge doch nur um die bundesweite Pressearbeit und
das
Hochhalten der Bundesprominenz. Ein anderes Gespräch hatte er mit Eva,
einer
Frau, die sich gleichfalls wie er weit aus dem Fenster hatte hängen
lassen, in
dem sie wieder und wieder zum Mikro griff und die vorgefertigten
Hierarchien,
die Degradierung zum Bestätigungsautomaten und den Klüngel der
Politelite
angriff. Auch sie erntete keinen Beifall, klar, dass Micha in ihr eine
Verbündete sah. Zwischendurch versuchte er sich auszumalen, wie es
wäre,
tatsächlich gewählt zu werden. Er würde dann öfter zu politischen
Sitzungen
fahren, würde mehr und mehr hinein gezogen werden in diesen Sud aus
Politwissenschaft, Pressearbeit und neuesten Entwicklungen. Nun gut,
wieso
nicht? Dementsprechend fand er das Ergebnis, dass er mit seiner
Kandidatur
erzielte ziemlich deprimierend. Auf ihn waren gerade mal 9 Stimmen
entfallen.
Echt desolat, fand Micha. Sein Agieren hatte also wirklich so wenig
Widerhall,
so wenig positive Reaktionen zum Ergebnis. Mit seinem systemkritischen
Realismus stieß er also nur auf Ablehnung. Sollte er nun beleidigt
abrücken und
das Weite suchen? Sollte er die Schmach der Ablehnung, den Hohn und
Spott, die
Schadenfreude als Quittung für sein ungebührliches Betragen aussitzen?
Erlitt
er jetzt vielleicht sogar eine Persönlichkeitskrise, sich derart zum
Politclown
gemacht zu haben? In seiner Kandidatenrede hatte er ja erwähnt, es wäre
sein
erstes politisches Amt. Nicht nur das hätte er nicht äußern dürfen. Die
Leute
legten Wert auf politischen Professionalismus. Außerdem hätte er keinen
Zweifel
an seiner Linientreue und SPD Parteizugehörigkeit aufkommen lassen
sollen.
Darauf zu setzen, dass ein SPD Abtrünniger SPD Stimmen bekommen könnte,
war
doch eher daneben. Da oben spontan das Richtige zu sagen,
das, was ankam, überzeugte,
wirkte, mitriss, schien zumindest keine Sache wissenschaftlicher
Diskurstechnik
zu sein, sondern eine der geübten und gekonnten Rhetorik, wie sie
wahrscheinlich dem Klischee nach am besten in den Gerichtssälen geübt
werden
konnte, aber auch dort sah die Wirklichkeit anders aus, als in einem
Kino
Thriller der Rechtsanwalt mit seinem Plädoyer. Nach dem die Abstimmungen gelaufen waren,
knieten sich die ISM'ĺer
in den Entwurf eines Positionspapiers. Irgendwie fand er es lächerlich
in der
Großgruppe per Änderungsantrag, also per Vortrag der Passagenänderung
und
nachfolgender Abstimmung, einen Text für die Mitgliederversammlung
allgemein
verbindlich zu machen. Ihm reicht es. Zieh ab, sagte es in ihm. Ja, gab
es noch
etwas? Würde er noch einmal wieder kommen wollen? Wer waren denn diese
8 Leute,
die ihn gewählt hatten, die sich seinen Namen gemerkt hatten und auf
den
Abstimmungszettel schrieben? Zumindest bei denen war er angekommen. Seine Rolle bei dieser Veranstaltungen war
die des Aufmischers, des
Kritikers, des intellektuellen Störenfrieds und Unruhestifters gewesen,
so sah
er sich jedenfalls angesichts seiner Rebellion gegen die festgefügten
Verhältnisse. Während dessen arbeitete das Plenum konzentriert und
fleißig
weiter am Text. Oh, wie bedeutsam solch Paper, solch Hirnschmalz, solch
Phrasen, die auf jedem Parteitag zu Hauf fabriziert wurden und die
Lösung der
Probleme bringen sollten. Lachhaft war das – nein, er ging, mit ihm
nicht,
wobei er sich sicher war, er repräsentierte eine gehörige Anzahl von
frustrierten, enttäuschten Nicht-Wählern.
|
||
|
|
|
|
||