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Durch die spanische Brille

Madrid im Juni 2010, DG

 

LatinaZwei Frauen betraten den kleinen Buchladen an der Ecke der Santa Isabella im Barrio Latina im Studentenviertel von Madrid. Sabrina Moserbacher, unsere Auslandskorrespondentin, schaute kurz von ihrem Laptop auf, um sofort weiter zu surfen. Es war ein guter Ort zum Lesen, Kaffee Trinken und Schreiben. Die Regale der Bücher um sie her vermittelten die eigentümliche Atmosphäre von Ruhe und Gelassenheit, wie sie nur aus dicken Einbänden und Fotos und Bildern an der Wand im Armsessel neben einem Schreibtisch mit Sicht auf einen grünen Park mit alten, dicken Bäumen entstehen kann, las sie in einem aufgeschlagenen Roman, während draußen eine Vespa vorbei knatterte. Die beiden Frauen hatten sich für eine Lesung ihrer Gedichte angesagt. Nicht dass sie enttäuscht waren, nur sieben Gestalten in der Liberia vorzufinden, die zu dem von ihrer Lesung nichts wussten. Ihnen ging es vor allem darum, ihre mitgebrachten Gedichtbände in Kommission auf einem Verkaufstisch lassen zu können. Deshalb hatten sie sich ganz spontan auf ihrer Durchreise von New York nach Barcelona zu dieser Aktion einer Lesung entschlossen.  Ursprünglich kamen die beiden aus der Dominikanischen und lebten nun seit Jahren in Nueva York, es waren also typische Wirtschaftsmigrantinnen auf amerikanisch.

 

Sabrina konnte sich nicht vorstellen, wie das war mit den Hispanics in NY. Nach der Lesung ihrer Gedichte fragte sie, wie das wäre, in Nueva York Spanisch zu sprechen und Gedichte zu schreiben. Sie klärten Sabrina auf, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Nueva Yorks Spanisch spreche, dass es nicht nötig sei überhaupt Englisch zu reden. Nueva York setze sich aus einer Vielzahl von Minoritäten zusammen, die jede ihre Sprache und ihre kulturellen Eigentümlichkeiten behalten habe. Insofern stimme das eigentlich auch gar nicht mit dem berühmten Melting Pot, es bliebe einfach bei einem Nebeneinander Her von verschieden Sprachen, Kulturen und Menschen.

 

Was die Frauen ihr da erzählten, sprengte Sabrinas Vorstellungsvermögen. Für sie gab es nur ein Gesellschaftsmodel, in dem eine Majorität sich gegenüber einer oder mehrerer Minoritäten befand. Das waren dann jeweils die anderen, wie in Berlin die Türken die anderen waren, die für sich nun wiederum die Deutschen als die anderen begriffen. Dass in einer Stadt mehrere gleich große und starke Kulturen mehr oder weniger gleichberechtigt lebten, konnte doch gar nicht funktionieren, meinte sie. Ob sie als Hispanics Repression verspürten, fragte sie. Zur Antwort erhielt sie, es sei eine Kultur der Diskriminierung. Für Sabrina war das so ziemlich dasselbe, ob nun Repression oder Diskriminierung, beides waren für sie negativ besetzte Begrifflichkeiten mit fast übereinstimmender Bedeutung. Ob nun Unterdrückung oder Ausgrenzung und Benachteiligung, beides arbeitete Hand in Hand und waren nur andere Aspekte ein und derselben Sache. Dennoch kam sie ins Überlegen: Jacobo Moreno, der Gründer des Psychodramas hatte mittels seiner soziometrischen Methode herausgefunden, dass Menschen, die einige wesentliche Grunddaten, wie Sprache, Kultur, Wohlstand etc., gemeinsam hatten, bedeutend friedlicher miteinander leben konnten, als wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen wild durcheinander zusammen gestopft wurden. Dies bedeutete jedoch Diskriminierung, also Unterscheidung, Abgrenzung und Ausgrenzung des anderen auf der Ebene gesellschaftlicher Gesamtgruppen. Der kritische Punkt bestand wie immer in den Auseinandersetzungen um knappe Güter, um Jobs, um Ressourcen, um Macht, was im Extremfall zu Bürgerkriegen wie in Kenia oder zu Genoziden wie in Ruanda führte, wenn  diese Gruppen gegeneinander gewaltsam vorgingen.

 

Sabrina schien es nun zu einfach zu behaupten, es handele sich lediglich um eine Verschiebung der Probleme von der individuellen zur gesellschaftlichen Ebene. Der Streit und die Auseinandersetzungen um die knappen Ressourcen wäre zwar mit soziometrischen Mitteln nicht aus der Welt gebracht, sie würden jedoch nun innerhalb der mehr übereinstimmenden Gruppen Lösungen zugeführt, so dass auch die zufriedeneren Gruppen untereinander bessere Lösungen finden könnten.

 

Angelangt an diesem Punkt der idealen Verhältnisse einer durch eine Vielzahl von Minoritäten gekennzeichneten Gesamtgesellschaft, so wie sie die Globalmetropole Nueva York im theoretischen Denkraum polit-anthropologischer Betrachtung aufwies, übertrug Sabrina das New Yorker Melting Pot Modell auf die historische Neuentwicklung der Europäischen Union. Was war die EU denn anderes als eine ziemlich scharf, durch Sprachen, Kulturen, Traditionen und nationale Geschichten abgetrennte Ansammlung von Minoritäten?, fragte sie sich als neben ihr ein attraktiver Mann, wie sich später herausstellte Bühnenbildner am Teatro Real die beiden Latinas fragte, ob es denn wohl Bloomberg wagen würde, gegen Obama bei den nächsten Wahlen 2013 anzutreten. Die beiden zuckten mit den Achseln. Wer ist denn das? Politik interessierte die Muse nicht, ihr ging es um die Schönheit des Lebens, nicht um die Kunst der Politik, was Sabrina, angesichts der Bestätigung ihres Vorurteils über das politische Desinteresse der Amerikaner, ärgerte. Aber was sollte es, auch die Musik spielte jedem auf, ob es nun Beethoven passte oder nicht, seine Musik gab die Hymne für eine ziemlich konservative EU ab. Wie stand es eigentlich mit Schillers Ode, gab sie den Text für die EU-Hymne ab? Oder hat die EU durch den Sprachenstreit gar keine Hymne und ist ohne Sprache, also zur Sprachlosigkeit verdammt?


Währenddessen ging die Diskussion mit den beiden Latinas weiter, auf Spanisch und nicht auf Englisch. Seltsam, Sabrina kannte die USA nur durch die englische Sprache vermittelt, ohne Zweifel aber hatte sie es hier mit zwei Nueva Yorkerinnen zu tun. Es handelte sich quasi um eine Innenansicht US amerikanischer Verhältnisse, die sich über die lateinamerikanische Perspektive ergab. Sie setzte sich vom anglophonen und von Protestantismen beherrschten Kuturraum deutlich ab und sie nahm ihren Weg nach Europa nicht über das an die Konservativen von David Cameron gefallene England. Es galt heraus zu surfen, ob sich auf diesem spanischen Weg ein neuer, vielleicht unmittelbarer Weg in Obamas Washington und ins Weiße Haus ergab.

 

 



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