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Sicherheitsrisiko

Hannover CeBIT, Messerundgang Zapatero / Merkel, 2. März 2010, DG

Sabrina war ein Sicherheitsrisiko. Wieso und für wen oder für was sie eine Gefahr bedeutete, wusste sie nicht, noch nicht. Dass sie als gefährlich eingeschätzt wurde, schmeichelte ihr, andererseits fand sie es einfach blöd und ärgerlich. Sie hatte geschrieben, hatte sich also denkend und dieses Denken zu Papier bringend dem Geschehen überlassen und trieb einfach im Strom der Leute mit, ohne größere Anstalten zu machen, irgendwo hin zu kommen. Wozu auch? Sie war dabei, sie war, wo sie sein wollte. Die zuständigen Sicherheitsbeamten erkannten das natürlich sofort als eine Tarnung, als eine auffällige Besonderheit, denn mit ihrem Tun im Zeitalter der digitalen Fotografie und winziger Handkameras, die Fernsehqualität lieferten, waren Stift und Feder überflüssig, wie das Denken selbst. Außerdem taten das die da vorne, da oben die, denen sie im Geiste folgte, einer Paparazzi gleich, wofür sie sich schämte, konnte sie doch nichts dafür, dass sie so dachte, wie sie dachte und sah und hörte und schrieb. War sie deshalb ein Sicherheitsrisiko und zwar weil sie mitdachte? Nein, bestimmt nicht, deshalb nicht. Auch nicht wegen des roten Schals, den sie sich um ihren dunklen Mantelkragen gelegt hatte. Zwar war das leuchtende Rot weithin zu sehen und konnte als Orientierungspunkt, als Signalzeichen gelten, doch hatte es eher etwas anderes auf sich mit dieser Art von Rot auf Schwarz. Im politischen Feld waren das die Farben der Sozialisten, der Kommunisten und hier, in Deutschland, hatte sie es mit einer christdemo-kratischen Kanzlerin zu tun. Die Linken hatte man erst kürzlich aus dem Bundestag geworfen, weil sie es in dem hohen Haus gewagt hatten, mit Plakaten gegen den Krieg zu demonstrieren, gegen Soldaten in der globalisierten Nahferne Afghanistans. Mit einem roten Schal Farbe zu bekennen und zwar im Tross der Kanzlerin, kam den Plakaten im Bundestag ziemlich gleich, denn es würde wahrscheinlich von Millionen am Abend in den Nachrichten gesehen werden, dass da eine es gewagt hatte, sich mit rotem Schal im Tross der Kanzlerin sehen zu lassen. Das wäre, als wenn sie plötzlich ein Plakat hoch gehalten hätte mit: „Ein Soldat in Afghanistan kostet im Jahr Wieviele Euro? Menschen? Kinder? ... Dafür hätten Soviele Krankenhäuser, Schulen und Traktoren gebaut werden können.“ Dazu hätte sie jedoch einen grünen Schal tragen müssen, denn diesbezüglich war sie enttäuscht von ihren Leuten, den Grünen. In der Zeitung stand nichts über eine gemeinsame Aktion der Alternativen mit den Linken anlässlich der Abstimmung, offensichtlich weil auch das ein Sicherheitsrisiko für die Sicherheitspolitik der globalen Sicherheitsarchitektur und vor allem für die kommenden Wahlen in Nordrhein Westfalen gewesen wäre. Es galt, lieb zu sein, nicht weiter aufzufallen und die Friedensdividenden einzukassieren.

Ihre Überlegungen bezüglich ihres roten Schals fand sie daneben. Eine Medienbeauftragte des Bundespräsidialamtes - als wenn das BKA, das Bundeskanzleramt, keine eignen Leute hätte – klärte sie dahin gehend auf, sie habe keinen Badge, also keine Zulassung für den Kanzlerrundgang. Sabrinas Hinweis darauf, es handele sich doch um einen offenen Pressetermin, blieb ohne Wirkung. Sie war im von Kameras überwachten Medientross aufgefallen und die Überwachungszentrale hatte über Kopfhörer den Sicherheitsleuten Bescheid gegeben, sie auszusondern. Ihr galt ab sofort besondere Observanz. Ihr Selbstgefühl steigerte sich hin Richtung Promi. Jetzt war sie jemand, sie wurde wie auf der Bühne im Theater beobachtet. Dabei war sie rein gar nichts, eine freie Journalistin ohne Auftrag, ohne Abnehmer ihrer Geschichten, also eine Arbeitslose. Ja, die stellten ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Am besten, sie verschwände, als Repräsentantin aller Arbeitslosen, von der Bildfläche und diesbezüglich ließe sich doch nachhelfen.

Sabrina stellte sich vor, wie in besagter Zentrale nervöse Gesichter nervöse Blicke tauschten. Eigentlich könnte doch mal wieder etwas passieren, so was echtes, mit Blut und Schreien und live im Fernsehen und dann bei YouTube zu sehen. Die Inszenierung eines Attentates als politischer Fake Akt mit echtem Opfer, nämlich der Attentäterin, könnte ablenken von dieser elendigen Steuer CD Affäre, bei der windige Journalisten im Watergate Stil versuchten, die gelenkten Medieninfos zu hinterfragen. Der interne Druck in der Steuersache war jedenfalls enorm, diverse Lobbyisten agierten mit versteckten Drohungen und nun auch noch die Käuflichkeitsdebatte sowohl in NRW als auch in Sachsen: CDU Ministerpräsidenten, die es etwas kosten ließen, mit ihnen ein Wörtchen reden zu können. Der Blick auf das Polit-Stimmungsbarometer zeigte eindeutig, es sah nicht mehr so rosig aus für die christ-liberale Koalition. Zwar hatte sich Kollege Westerwelle im Spagat geübt und sowohl seine Geldgeber Lobby als auch auf Geheiß der Kanzlerin, die Masse der Arbeitslosen mit gefälligen Sprüchen bedient, doch die anti-zyklische Medienpolitik geriet mehr und mehr aus dem Lot. Im verdichteten NRW Wahlkampfgetümmel, denn das war in Deutschland der einzige auf Sicht stehende Zieltrichter allen politischen Handelns, Denkens und Redens, brauchte es nicht viel, um einen Zündfunken für weitere Kettenreaktionen zu schlagen.

Zwischendurch hatte Sabrina Blickkontakt mit Angela und es war ihr, als sagte sie ihr, sie solle kommen, doch Sabrinas Antwort war unmittelbar Nö, so als ob etwas in ihr, eine höhere Instanz, blitzschnell in ihrem Terminkalender nachgeschaut und die Daten abgeglichen hätte. Was war das für eine Instanz in ihr, die derart über sie Bescheid wusste und über sie verfügen konnte? Sie selber war bestimmt nicht, wie diese Sicherheitsfuzzis mit Kopfhörern und Gegensprechanlage mit einer Zentrale verbunden oder war das eine andere Zentrale, eine geistige, an die sonst niemand glaubte, die als verrückt und als Wahngedanke abgetan wurde, die noch andere Namen hatte, Gott zum Beispiel oder kollektives Bewusstsein oder das Hen Kai Pan der Erleuchtung?

Damit war sie beim griechischen Finanzdesaster angelangt. Korruption und überbordende Staatsverschuldung, die EU stellte Griechenland unter Zwangsverwaltung und insbesondere die Deutschen wurden in den deutschen Medien als die maßgeblichen Protagonisten eines harten Kurses gegen die Griechen gehandelt. Dass es sich dabei um EU Politik mit EU Akteuren handelte, wurde weitgehendst ausgeblendet. Die Griechen wurden quasi von der christ-liberalen EU Mehrheit dafür abgestraft, Sozis ins Regierungsamt gewählt zu haben. Insofern wurde als Trumpf der Griechen der International Monetary Fund ins Spiel gebracht: Es gälte eine Intervention des IMF Präsidenten Dominique Strauss-Kahn zu verhindern. Als Gegenspieler des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy sollte ihm und dem IMF kein Einfluss gewährt werden.

Bezüglich der Finanzkrise nahm Sabrina den Mann an der Seite der Kanzlerin kaum wahr. Der spanische Präsident José Zapatero erwies sich als höflicher, zurück haltender Mann, der seine spanischen Interessen gekonnt und intelligent verfolgte. Mit ihm ließ sich Spanien nicht behandeln wie Griechenland. Besagte Behandlung erfolgte vor allem durch die Medien, die Fleisch und Leben an die nackten Fakten und Zahlen packten und wussten, dass der nächste Kandidat für eine Delegierung der nationalen Finanzpolitik nach Brüssel das überschuldete Spanien war. Bei diesem Vorgang verhielt es sich in etwa so, wie mit den deutschen Landesbanken: Konkurse hatten nur noch wenige der einst unabhängigen Landesbanken übrig gelassen.

Plötzlich sprach ein freundlicher Herr Sabrina freundlich an, sie habe nun das Feld endgültig zu räumen. Sie sei verwarnt worden und hätte wieder nicht darauf geachtet, der Kanzlerin nicht zu nahe zu kommen, also nicht in ihrem Tross mitzulaufen. In seiner Art fand sie diesen Mann mit Nachdruck bestimmend, wie einen Schiedsrichter, der die rote Karte zückte. OK, sagte sie, ich gehöre nicht dazu, womit sie sich in ein Messerestaurant trollte. Sie schlug ihren Laptop auf, versuchte online zu gehen. Diverse Netzanbieter erschienen, alle waren gesichert und das auf der CeBIT. Sie hatte zurück ins Pressezentrum zu gehen, wollte sie online arbeiten.

Sie ärgerte sich. Die Sicherheitsfanatiker hatten wieder alle Netze verschlüsselt und sie kam nicht rein. Man konnte ja so viel schlimme Dinge tun. Sie selber hatte keine Ahnung davon, was man alles schlimmes tun konnte, aber es musste wahrlich schreckliche Dinge geben, die die Leute mit Datenklau und Netzeinbrüchen zu Wege brachten. Und dann die Kinderpornographie. Insgeheim behauptete sie, es gäbe einen Missbrauch des Missbrauchs, es wurde Politik und Geld mit der Sicherheit, sprich der Angst der Menschen gemacht: Ein riesiger Markt, angefangen bei Anti Viren Programmen über Datenschutz bis hin zu den Telefongesellschaften, die mit Mehrfachverkäufen von Internet Anschlüssen in Wohnhäusern Unsummen verdienten. Wieso war eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, ein Produkt für Hausgemeinschaften anzubieten? So etwas müsste doch laufen, einfach zu installieren und zu betreiben war es doch ein leichtes, ein ganzes Mehrfamilienhaus zu bedienen. Die Angst Mache hatte Struktur, ob nun in Afghanistan oder mit Viren oder Diebstählen oder Versicherungsschäden. Natürlich, Vorsicht war die Mutter der Porzelankiste, was generell die Diskussion bedeutet, ab wann der Kondom gegen AIDS abgesetzt wird und ein vernünftiges Vertrauen Raum greifen kann. Offensichtlich, es war eine ganz individuelle Frage und zugleich ein gesellschaftliches Problem, das mit Risikogesellschaft umschrieben wurde.


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