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G8
= ökonomischer Super Gau @ globaler Ökokollaps
Lucerne,
July 2009, DG
Dial-In:
Obama´s Trip next week
Mit
voller Besetzung saßen sie im Besprechungsraum der Redaktion, hinzu
kam noch ein Kamerateam der Nachrichtenabteilung, bestehend aus der
Fernsehmoderatorin Saantje van Borsow, Kameramann Joseph Lustinger
und Jens Kranz als zweitem Kameramann, eigentlich ein Hiwi, der für
Ton, Licht und Kabel zuständig war und dementsprechend auf die
vorzeitige Pensionierung von Joseph hoffte. Es ging um die
Vorbereitung des Wirtschaftsgipfels von L´Aquila in Italien. Sie
würden zu zweit, Sabrina und Gerd, sowie das Kamerateam mit Saantje
hinunter jetten nach Pescara an der Adria Küste. Die Journalisten
würden dort im Sportlerdorf
der Mittelmeerspiele
untergebracht und täglich mit Shuttle
Bussen 110 Kilometer weit über die Abruzzen nach L´Aquila
zum G8
Summit
gebracht werden. Der 35. G8 Wirtschaftsgipfel war kurzfristig, nach
einem schweren Erdbeben in die Abruzzen verlegt worden. Im
Erdbebengebiet selber gab es keine Unterkünfte.
Ulrich
Hartmann, der Mann fürs Technische bei Welten online, hatte es
fertig gebracht, das
vorbereitende Briefing des Weißen Hauses
in Washington DC für alle hörbar in den Besprechungsraum der
Redaktion von Welten online zu übertragen. Offensichtlich hatte sich
die Presseabteilung des National Security
Councils
(NSC) im Weißen Haus überlegt, mittels Telefonkonferenz würden sie
auch die jeweils vor Ort anwesenden Auslandskorrespondenten erreichen
können. Dem Obama Team ging es nicht allein um
L´Aquila,
sondern vielmehr um die medienwirksame Vorbereitung eines Trips ihres
Präsidenten nach Moskau, L´Aquila und Ghana.
Um
3 Uhr 30 Eastern
Day Time,
also um 21 Uhr 30 mitteleuropäischer Zeit, wählte sich Urs, Welten
onlines Chefredakteur, in die Telefonkonferenzschaltung des Weißen
Hauses ein. Tuten, dann eine freundliche Frauenstimme, sie seien mit
dem White House Press Briefing Room verbunden, es dauere noch einen
Moment, click, fetzige Popmusik in der Endlosschleife, nach einer
Weile wieder ein Klicken in der Leitung. Was für ein Medium sie
wären, fragte die freundliche Frauenstimme. Urs buchstabierte Welten
online, from
Switzerland.
Die Dame am anderen Ende beklagte sich, wir seien kaum zu verstehen.
Ulrich raufte sich die Haare. Er hatte eine Internet Telefon
Verbindung aufgebaut und es rauschte wie in einem Langwellenradio aus
dem zweiten Weltkrieg. Genau diese Stimmung kam auf. Ich sah mich im
Keller meiner Berliner Mietwohnung, Bombenalarm, Zweiter Weltkrieg.
In der Ecke im Regal hinter der Werkbank ein alter Volksempfänger,
leise das sphärische Rauschen des Langwellensenders, BBC brachte die
Nachrichten von der Kapitulation der 6. Armee im Kessel von
Stalingrad. Der Krieg war damit nicht vorbei. Andernorts die Résistance,
die die im Nachrichtentext verpackten Codewörter numerisch auflösen
konnte. Ja, das Obama Team versprach gegenüber dem im
Neo-Konservatismus versinkenden Europa Aufhellung, Frische, den Blitz
und Donnerschlag des Zeus, Moderne, Chancen zu Aufstieg, Macht, und
Geld, wobei Männer diese Attribute vor allem brauchten, um
selbstbewusst ihnen attraktiv erscheinende Frauen zu erobern.
Soweit
zu den Gedanken Sabrinas, die aufmerksam den Verlauf des Press
Briefings durch das Sphärenrauschen der Internet-Server verfolgte.
Ihr war die Szenerie nicht unbekannt. Es war der Ton US
amerikanischer Globalpolitik, wie er bei den Press Briefings des FPC
(Foreign Press Center) und des Weißen Hauses gepflegt wurde: Ohne
Bodenhaftung, aus großer Höhe, unter Einsatz
modernster
Technologie, Touristen vergleichbar, die einen voll durch
organisierten 10 Tagestrip unternehmen und sich auf diesem mit eben
solchen Tourist Groups aus aller Herren Länder trafen. Zu Hause
wurden dann die Fotos und Videos gezeigt und die Reputation
verbreitet, man verstünde etwas von der weiten Welt, schließlich
habe man sie gesehen und sich mit der Frau aus Japan, der
Amerikanerin, dem Afrikaner, dem Brasilianer, dem Deutschen, der
Französin und dem Studenten aus Moskau unterhalten und zwar im
Flugzeug, auf dem Schaufelraddampfer, in der Seilbahn, beim
Frühstücken im Hotel, in der Touristinformation und im
Souvenirshop. Bewusst war den Leuten jedoch nie, dass sie sich in einem
besonderen Space
befanden, dem des Reisens auf einem ganz bestimmten Niveau.
Denis
McDonough,
Obamas Kommunikationsstratege, der zweite Kopf des US Empires,
vergleichbar mit Clinton´s George
Stephanopoul
(zusammen mit James
Carville,
in Clinton´s „War Room“ des 1992er Wahlkampfes), moderierte den
Beraterstab, wobei er eingangs den Reiseplan und wichtigste Termine
mitteilte: Moskau, L´Aquila, Ghana. Obama kam also nicht nur zum
Wirtschaftsgipfel nach Italien, sondern traf sich zuvor mit Medvedev
und Putin, was darauf schließen ließ, in Moskau würde es einige
bedeutsame Vorabsprachen geben. Insbesondere hob Denis hervor, dass
Barak sowohl
in Moskau
als auch in
Accra, Ghanas Hauptstadt,
besondere Reden halten würde – er schrieb sie, was er nicht sagte,
was jedoch alle wussten und insbesondere
bei Michelle
Gavin, Senior
Director for African Affairs,
ein spöttisches Lächeln auf die Lippen zauberte. Denis brachte es
doch immer wieder fertig, geschickt Eigenpropaganda unterzubringen.
Sie kamen aus demselben Stall bei Senator Ken
Salazar (D-CO),
dem heutigen Innenminister, und sie kannte Denis´ Schlichen zur
Genüge. Es würde in seinen Reden, so meinte Denis, zum einen darum
gehen, das US amerikanische und russische Verhältnis neu auszuloten
und zum anderen darum, die neue US Politik gegenüber der 3. Welt und
den Entwicklungsländern darzulegen. Es handle sich dabei um den
Anfang einer Serie von Reden, die in der Cairo
Speech
ihren Beginn hatten und die die Wende und das weitere Werden der US
amerikanischen Politik mit Barak und ihm umrissen.
Das
ganze Briefing dauerte etwa eine halbe Stunde. In Minuten ausgedrückt
entfielen dabei vielleicht fünf Minuten auf den Wirtschaftsgipfel in
L´Aquila und von diesen noch einmal 1 Minute auf die Erwähnung der
Audienz bei Papst
Benedict XVI zum Abschluss des Wirtschaftsgipfels in Rom. Sabrina
wunderte sich: Ein so bedeutsames Treffen wurde so wenig kommentiert
und für die Presse vorbereitet. Der Eindruck war jedoch derart vage,
dass sie ihn in der anschließenden Diskussion für sich behielt.
Vielmehr ging es um den auslaufenden Start Vertrag, sprich um die
atomare Abrüstung der russischen Föderation und der USA. De facto
liefen die neuen Gespräche mit Russland auf eine globale
Zusammenarbeit der beiden Atommächte hinaus, wobei es vor allem um
die Bestrebungen zur atomaren Bewaffnung des Irans ging.
Ihre
Reise nach L´Aquila war geplant. Am Dienstag Flugtransfer nach
Pescara an der Adria, von dort nach Chieti ins Hotel, Besorgung der
Akkreditierungsausweise und am Mittwoch Bustransfer an den
Konferenzort in die vom Erdbeben zerstörte Stadt L´Aquila. Es war
eine kluge Entscheidung von Berlusconi, den Tagungsort in die
Erdbebenstadt zu verlegen. Es brachte ihm viel Zustimmung, wo er, der
alternde Staatsmann, in den letzten Wochen so arg von einem Sex
Skandal in Mitleidenschaft gezogen wurde.
„Kann
ich nicht versuchen, privat unter zu kommen, statt im Hotel?“
fragte Sabrina in die Runde hinein. „Das Geld würde den Leuten
helfen.“ Im Tonfall zu Recht weisenden Unwillens angesichts solcher
Unvernunft fragte Gerd zurück: „Ja, wie? Willst du in Zelten
schlafen oder in einem abbruchreifen Haus, in dem dir jeden Moment
die Decke auf den Kopf fallen könnte?“ - “Mal sehen, eine
Bekannte erzählte von einer deutsch stämmigen Künstlerin in einem
Bergdorf oberhalb von L´Aquila, die nichts abbekommen hat. Sie ist
im Bürgerkomitee zum Wiederaufbau der Stadt aktiv. Wenn das klappt,
dann bin ich direkt vor Ort und nicht in eurem Space Lab Village.
Kann ich es probieren?“ Mit ihrem freundlichsten Lächeln wandte
sie sich an Urs. „Na, wieso nicht? Probier es!“ meinte der und
damit war die Angelegenheit vom Tisch, doch Sabrina setzte nach:
„Außerdem werde ich nicht fliegen.“ Pause, Saantje klappte der
Mund auf. Für eine in der Öffentlichkeit stehende
Fernsehmoderatorin, immer auf dem neusten Stand der Mode und
Kosmetik, war das Fliegen eine Selbstverständlichkeit. „Wir haben
das hier schon einmal durch diskutiert: Flüge unter 1.000 Kilometer
gehören verboten. Der Flugnahverkehr zeigt sich als Klimakiller
Nummer eins. Ich für meinen Teil mache da nicht mit,“
rechtfertigte Sabrina ihre forsche Forderung. Auch Urs klappte der
Unterkiefer runter. Das jemand von seinen Leuten die politischen
Diskussionen, die sie in der Redaktion führten, ernst nahm und
persönliche Konsequenzen zog, anstatt die Annehmlichkeiten zu
genießen, die sich en passant bei einer solchen Arbeit ergaben, war
nicht nur ungewohnt, sondern roch nach Auseinandersetzung und davon
hatten sie zu wenig. Dennoch, mit welcher Offenheit Sabrina die
Meinungsführerschaft übernahm, gefiel ihm nicht, auf der anderen
Seite bewunderte er sie genau dafür. „Mach doch, was du willst“,
erwiderte er brastig, womit er deutlich machte, er würde auf seine
Flüge nach München und Hamburg nicht verzichten, nur weil solche
Öko-Fundis wie Sabrina die Welt retten wollten.
Zu
denn letzten Sachen, die sie vor der Abreise zu erledigen versuchte,
gehörte es, eine Presse Akkreditierung für den Vatikan und Obamas
Papst-Audienz zu bekommen. Doch sie erhielt nicht einmal eine Antwort
auf ihre Email. Entweder, dachte sie, sind sie im Papstpalast so
altmodisch, dass sie mit dieser relativ jungen Technik nicht umgehen
können oder aber, sie legten keinen Wert auf Journalisten wie sie.
Wie auch immer, sie fand die Päpstlichen vermessen, ihr nicht zu
antworten. Anscheinend hatte man sich ganz demutsvoll und unterwürfig
seiner werdenden Heiligkeit, dem Papst, zu nähern und konnte nicht
einfach so an der Audienz teilnehmen.
Im
Nachgang zeigte sich, dass die Aufregung im römischen Papstpalast
über den hohen Besuch des Präsidenten der ersten Supermacht der
Gegenwart, der Medienrummel und vor allem die Organisation der visuellen
Ablichtung des Audienzgeschehens
ihre Akkreditierungsanfrage unter der Kategorie bedeutungslos ad acta
gelegt hatte - die Fernsehteams und Fotografen waren es, auf die kam
es an.
Auf
dem
Weg zum Wirtschaftsgipfel
Das
Abenteuer bestand für Sabrina vorerst in der italienischen Bahn,
einem komplexen System aus Verspätungen, technischen Mängeln,
Unfällen und Missverständnissen, die sich ihr sprachlich vermittelt
hätten, wäre sie des Italienischen mächtig gewesen. Am falschen
Ort zur falschen Zeit zum Ein- und Umsteigen verleitet, entstanden
ihr erhebliche Mehrkosten auf Grund eignen Verschuldens, denn
schließlich hatte sie sich selber auf dem Laufenden zu halten. Die
Reisende hatte in ihrer Not, die ihr diktierten Preise zu zahlen, was
als Bestrafung anzusehen war, angesichts der Herrschaft des Geldes,
das als knappe Ressource immer zu fehlen schien, obwohl es doch ein
von Menschen gemachtes Ding war, das Geld. Ergo, schloss sie daraus,
es gab nicht viele Menschen, die Geld machen können, wodurch das
Geld Machen Können zu einer besonderen Kunst avancierte, deren
Geheimnisse entdeckt und erschlossen sein wollten.
Es
lag an der Hitze, die sie, um so weiter sie gen Süden rollte, um so
mehr in einen undurchdringlichen Wattebausch einwickelte und ihr
eingab, es lohne sich nicht, sich aufzuregen, so wie das Temperament
der Italiener es erforderte, nämlich leidenschaftlich auffahrend zu
sein gegenüber Ungerechtigkeit und Misständen und dem Unglück, sie
ertragen zu müssen. Dennoch verwunderte sie sich über ihre Ruhe,
schließlich, das Geld für ein zusätzliches Ticket über Rom war
weg. Sie war keine reiche Amerikanerin, um dieses seit der
gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise obsolete Klischee
anzuziehen. Sie malte sich aus, ihre Gelassenheit wäre eine typische
US amerikanische Gleichgültigkeit gegenüber den sich auf ihrem
Konto anhäufenden Kreditkarten Schulden, denn im Grunde hatte sie
Angst, Welten online würde ihr die Mehrkosten nicht als Spesen
verrechnen, nach dem sie so frech in der Redaktionsrunde darauf
bestanden hatte, nicht zu fliegen.
Nun
gut, es wird schon wieder herein kommen, sagte sie sich. Mein Tun
wird schon das Geld bringen, dass ich ausgebe, außerdem gehören
Schulden zum Leben, wie Butter aufs Brot und das Wasser auf den
Feldern. Was wäre nicht, gäbe es keine Schulden, Kredite,
Hypotheken, Darlehn, Pfände, Anleihen, Obligationen und
Schuldverschreibungen? Großes lässt sich tatsächlich nur auf Pump
errichten und das beinhaltete Risiko, die Möglichkeit des Scheiterns
und des Versagens. Ließen sich diese ganz persönlichen Erfahrungen
nicht wunderbar auf den G8 Gipfel anwenden?
Auf
dem Wirtschaftsgipfel von L´Aquila stand demnach nicht nur The
American Way of Life zur
Debatte, womit
der Einsatz von Technologien, Naturausbeutung und Beherrschung
mittels Waffen strotzender Gewalt gemeint war, sondern ein globales
Umschwenken in eine nachhaltige und Umwelt verträgliche
Wirtschaftsweise. Doch das waren abgedroschene Worte, Kampfbegriffe
aus ihrer Studentenzeit, abgenutzt und stumpf. Mittlerweile hatte
jede größere Unternehmung ihren Umweltberater. Die Ausarbeitung von
ökologischen Leitlinien war in der Wirtschaft durchgängig
bewerkstelligt und dennoch nahm der Flugverkehr zu, schmolz das Eis
an den Polarkappen, wurden die Tropenwälder abgeholzt und die
Menschen in der 3. Welt als Konsumenten für Kühlschränke, Autos
und Fernseher entdeckt. Sabrina war klar, es gab kein Entkommen mehr,
der Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems ging Hand in Hand mit
dem ökologischen Kollaps des Planeten Erde. Inzwischen hatte die
Menschheit zwar gelernt, einige Jahre voraus zu sehen, hatte gelernt,
die Konsequenzen ihres Handelns besser zu verstehen, das hieß aber
noch lange nicht, dieses Handeln, diesen eingetretenen Trampelpfad
massenhaft eingeübter Verhaltensweisen ändern zu können. So wenig,
wie die Amazonasbauern die Tropenwälder aus Spaß abholzten, genauso
wenig arbeitete ein Wall
Street Broker
aus Spaß an der Profitmaximierung des ihm überlassenen
Risikokapitals. Die Spezies Mensch würde allerdings versuchen, was
sie schon immer unternommen hatte, nämlich die Folgen ihres Tuns
abzumildern und sich im übrigen anzupassen an die von ihr selbst
designten Umwelt- und Lebensverhältnisse.
Mit
dem Übernachten bei einer Freundin einer Freundin hatte es geklappt.
Maria hatte zugesagt, sie für die Tage des G8 Summits aufzunehmen.
Sie wohnte in Collebrincioni, einem Bergdorf oberhalb von L´Aquila.
Dort hatte es zwar gebebt, wie Maria erzählte, so, als wenn der
ganze Felsen, auf dem das Dorf stand, sich gedreht habe, doch
zusammen gestürzt sei nichts.
Es
war spät am Abend als sich Sabrina und Maria beim Zelt Camp der Bürgerinitiative
3.32
trafen. Es lag unterhalb der Altstadt, von der nichts zu sehen war,
außer dass die Polizei die Zugangsstraßen absperrte:
Einsturzgefahr, außerdem sollten die Schätze und Werte, die
Habseligkeiten in den Ruinen der zerfallenen Häuser geschützt
werden und zudem würden in den nächsten Tagen die Regierungschefs
und ihre Frauen auf Sightseeing Tour durch die Trümmer stackeln. Das
Erdbeben, die Zerstörungen, die Toten, die Angst vor weiteren Beben,
beherrschte die Stadt, eine Studentenstadt am Fuß der Abruzzen, 110
Kilometer östlich von Rom. Das Erdbeben
von L´Aquila – Sabrina
hatte einen Fake
Bericht in Welten online verfasst, in dem sie im Zusammenhang mit
dem NATO Gipfel 09 die waffentechnologische These artifizieller
Erdbeben aufstellte – dieses Beben hatte am 6. April, um 3:32, mit
Erdstößen der Stärke 6,3 auf der Richterskala das alte Städtchen
schwer zerstört und nun wurde heftig um den Wiederaufbau gestritten.
Im
Camp von 3.32 sammelten sich die jüngeren und progressiveren Leute,
sprich die grün alternative Linke von L´Aquila. Sabrina war raus
aus diesem Milieu protestierender Attac Kommunarden, die sich in
Hausbesetzer Kreisen und vermummten Schlachten mit der Polizei ihre
Sporen verdienten. Schon auf dem Strassburger NATO Gipfel hatte sie
sich deren Proteste nur aus der Ferne angeschaut. Doch war es zum
einen ein Fehler, die Leute von 3.32 mit den Globalisierungsgegnern
gleichzusetzen. Sie mochten attac
italia nahe stehen, ihr Anliegen bestand jedoch konkret im
Wiederaufbau ihrer Stadt. Zum anderen war die attac Bewegung nicht
gleichzusetzen mit dem schwarzen Block gewaltbereiter Kämpfer der
Autonomen. Stravos war so einer. Maria hatte noch Daniele, einen
Journalisten vom Il Manifesto, einer der taz vergleichbaren
Tageszeitung, sowie Stravos über die Tage des G8 Gipfels
aufgenommen. Mit einem Beton Schädel wie Baghwan himself vertrat
Stravos Ansichten, die durchblicken ließen, er war auf Krawall aus.
Für ihn galt es, der Polizei eine Schlacht zu liefern, wobei die
Schuldfrage eindeutig bei den Kollegen von der Polizei lag und die
Legitimität der Vergeltung bei den Kampfgenossen. Wenn sie ihn so
reden hörte, bekam sie Angst, er könnte mit seiner Wut auch auf sie
losgehen und sie bezichtigen, sie würde für die anderen, für das
Establishment arbeiten. Tat sie das nicht? Sie hatte einen guten Job,
verdiente nicht schlecht und wurde quasi dafür bezahlt, abzulästern
und Systemkritik zu äußern. Dennoch war das systemimmanent, sie
brachte nichts neues hervor, sondern arbeitete sich am bestehenden
ab, allenfalls, um auf Reformen zu dringen. Insofern beeindruckte sie
Stravos radikale Haltung. Er zeigte wenigstens: Mit mir, mit uns so
nicht! Ihr könnt mit uns nicht machen, was ihr wollt. Dennoch war
das für sie nichts anderes als ein kindischer Protest des Sohnes
gegenüber dem allmächtigen Vater. Als Frau, was gab es da für sie
selber neues hervor zu bringen ? Ein Kind, das dann wie Stravos
revoltieren würde? Nein, es galt neue Formen des Zusammenlebens zu
entwickeln und zu leben. Das Schlagwort „Urbane Lebensgemeinschaft“
fand sich jedoch noch nicht bei Wikipedia und bei Google und noch
viel weniger fand sie sich selber in einer solchen. „Stravos,
verstehst du, es geht nicht darum, gegen die bestehende Gesellschaft
zu kämpfen, sondern …. früher haben sie von Gegengesellschaft und
alternativen Lebensformen gesprochen und sind aufs Land gezogen oder
auf ein griechische Insel.“ - „Ich fahre auf eine,“ warf Maria
ein. Sie saßen in ihrer Küche in dem alten Steinhaus in dem
Bergdorf, das schwer mit Abwanderung und Landflucht zu kämpfen
hatte. „Und zwar mit meinem Sohn, in eine Lebensgemeinschaft, die
ihr 30 jähriges Jubiläum feiert: Sarakiniko auf Ithaka. Ich kenne
den Gründer, einen Bildhauer aus Köln, von früher.“ - „OK, du
fährst zum Urlaub in die griechische Inselkommune und nach drei
Wochen machst du hier in deinem Haus und in L´Aquila deine
Kunstprojekte weiter,“ ereiferte sich Stravos und fuhr fort, ohne
jemandem die Chance zum Reden zu lassen: „OK, wir bewegen uns in
gewissen Kreisen und bilden einen gewissen Zusammenhang, der mehr
oder weniger verknüpft regelmäßig die Wahlen verliert, so dass auf
diesen G8 Summits größtenteils nur neo-konservative Regierungschefs
auftauchen. Das gibt dann auch den Grund ab, um im September in
Pittsburg auf dem Finanzgipfel so richtig auf die Pauke zu hauen,
denn hier, in L´Aquila, wird an Protesten gegen die da oben und die
anderen nicht viel laufen. Attac
hat die Proteste zu diesem G8 Wirtschaftsgipfel abgesagt
und die
Merkel, die deutsche Kanzlerin,
würdigte diesen Wirtschaftsgipfel ebenso herunter.“ - „Wieso
kommt sie denn dann überhaupt,“ fragte Daniele spitz, „scheint
wohl eine Art Gruppenzwang am Werk zu sein.“ - „Ja, das sieht
ihr ähnlich“, sagte Sabrina, ärgerlich darüber, dass die Merkel
die Bedeutung dieses Wirtschaftsgipfels, zu dem sie mit einigem
Aufwand von Welten online gefahren war, herabsetzte. „Als würde
nichts entschieden, man trifft sich ja nur zum Plauschen und die
armen Laquilaner Bemitleiden, entschieden wird vielmehr auf dem
Finanzgipfel.“ - „Aber so ist es doch, die zentrale Bedeutung der
Finanzen für das Werden und Gedeihen dieser Welt hängt nun mal von
den Entscheidungen der politischen Weltelite ab und die trifft sich,
wie Stravos richtig sagte, auf dem Wirtschafts-
und Finanzgipfel im September in Pittsburg, USA,“
stellte Daniele lakonisch fest. - „Ich weiß nicht,“ konterte
Sabrina, „mir scheint es tatsächlich ein Spiel auf Zeit zu sein.
In der aktuellen Krise geht es um die Beruhigung der Märkte, um die
Konsolidierung der verbliebenen Markteilnehmer, ob nun im Auto- oder
im Bankenbereich und für die Merkel geht es ums Gewinnen der Wahlen
in Deutschland. Ich behaupte, Obama wird einiges tun, damit sich
Sarkozy & Co. nicht mehr so profilieren und in Szene setzen
können. Er wird dafür den Outsider Silvio seine Show abziehen
lassen.“ - „ Du tust ja so, als wenn Obama der Drähtezieher im
Hintergrund wäre, allmächtig und weise. Quatsch!“ erwiderte
Daniele im erhabenen Tonfall eines unabhängigen Kritikers. „Dieser
Gipfel wird wie eine Weltmeisterschaft der politischen
Nationalmannschaften. Obama denkt doch selber in den Kategorien von
„America first“, wobei ihm nichts wichtiger ist als die
Binnenwirkung seiner US Presse. Diese Summit Politiker sind doch alle
nicht über ihren antiquierten Nationalismus hinaus oder: Was ist zum
Beispiel die UNO für dich anderes, als eine obsolete Ansammlung von
Staaten, die sich gegen den Anspruch von NGOs und wirklichen
Globalakteuren wie das Rote Kreuz oder das Olympische Komitee, die
FIFA oder das WEF zu verwahren suchen?“ - Sabrina: „Ich weiß
nicht, was du hast, es geht doch immer darum, für die eignen Leute
das beste raus zu holen.“ - Daniele: „Ja, aber wer sind die
eignen Leute? Denkst du nationalistisch, ethnisch, ja, rassistisch
oder aber denkst du parteiisch und das international und Welt
umspannend? Das ist doch die große Frage, die wir uns immer zu
stellen haben in einer globalisierten Welt, in der die Probleme nicht
an einer Staatsgrenze halt machen.“ - Stravos: „Wie auch immer,
Obama wird es in Pittsburg mit attac, mit der Alianza
Social Continental
(ASC),
mit der Global
Justice Movement
(GJM) zu tun bekommen und ich bin gespannt, wie er und seine US
Demokraten auf diese Bewegung reagieren.“ - Daniele: „Du hast
Recht, Stravos, der Punkt ist, dass die Repubs und die europäischen
Neo-Konservativen natürlich alles daran setzen werden, einen Bruch
zwischen Obamisten und den links-alternativen Kräften zu
provozieren. Ihnen gilt es, einen Keil zwischen die breite
Volksbewegung der US Demokraten und die progressive Avantgarde zu
treiben. Insofern wird Pittsburg ein Meilenstein werden.“ - „Es
sollte so etwas wie ein Woodstock
werden,“ warf Maria ein. Daniele, Sabrina und Stravos schauten sie
verwundert an: Woodstock, das war der Urknall der 68er Bewegung, der
Moderne schlecht hin, das sprengte ihr Vorstellungsvermögen, wobei
vor allem Zweifel aufkamen, der gesellschaftlich Gärzustand, die
latente Aufbruchstimmung zu neuen Ufern der New Age Bewegung von
damals, sei doch vielmehr umgeschlagen in eine Rückzugsbewegung, die
von Ängsten, Zwängen und Unzufriedenheiten bestimmt würde. „Es
wäre schön,“ meinte Daniele resigniert, „nur, der Zeitgeist
lässt sich nicht organisieren und zweitens: Geschichte wiederholt
sich nicht. Ich gehe jetzt schlafen, morgen wird es ein langer Tag
auf dem Summit.“ - Sabrina: „OK, nur noch eins: Fahren wir morgen
früh zu der 3.32 Aktion auf den Uni Berg?“
Im
3.32 Camp hatte es, bevor sie los gefahren waren, eine
Vollversammlung gegeben. Rund 60 Leute, die sich im Kreis
versammelten und diskutierten, welche Aktionen sich für den
kommenden Gipfel am besten umsetzen ließen. Maria hatte übersetzt,
auf einem weithin sichtbaren Berghang vor der Uni sollte in weißen
Großlettern: Yes, we camp, eine witzige Verdrehung des Obama
Wahlsologans „Yes, we can“ aufgemalt werden. Die TV Teams und
Fotojournalisten würden das dankbar in ihre G8 Reportagen aufnehmen
und erklären, worum es 3.32 ginge, nämlich um einen nachhaltigen,
ökologischen Wiederaufbau der Stadt. „Nein, ich komme nicht mit.
Ich gehe aufs Summit,“ entschied Daniele für sich. „Ok, dann
gute Nacht.“
Sie
trollten sich, einjeder in sein Bett, wobei die Möglichkeit eines
Nachbebens, auf das einem die Decke auf den Kopf fallen könnte als
auch, dass sie nicht, wie damals die Hippies, mit freier Liebe die
Nacht verlängerten, die Traumbilder formte.
The
Summit
Nach
dem Einchecken, sozusagen dem Boarding, in einer weit vorgelagerten
Bastion, von der aus ein 20 minütiger Bustransfer an den
Konferenzort dafür sorgte, dass die Journalisten in das Presse
Village kamen, waren Sabrina und Daniele in einer anderen Welt.
Hinter sich hatten sie sowohl die Trümmer der Erdbebenstadt als auch
das alltägliche Leben der gewöhnlichen Leute gelassen. Polizisten,
paramilitärische Verbände, sorgten ringsum für Sicherheit sowohl
vor zivilbürgerlichem Protest als auch gegenüber potentiellen
Raketenangriffen zum Beispiel fundamentalistischer Muslime. Der
Science Fiction Schock des Unmöglichen von 9/11 sollte sich nicht
auf einem solchen Weltgipfel wiederholen und mit einem Schlag die
globale Politelite auslöschen. Das Konferenzgelände, bezeichnender
Weise eine Akademie der Finanzpolizei, war großzügig für die
Presse eingerichtet. TV Stationen reihten sich unter weißen
Sonnenzeltdächern auf dem Dach eines Gebäudes, so dass der
Hintergrund der Bericht erstattenden Nachrichtenredakteure die
Berglandschaft der Abruzzen bildete. Für die schreibende Presse
waren klimatisierte Zelte eingerichtet. Überfüllt, wie immer,
ergatterte Sabrina einen Arbeitsplatz neben dem Team einer
japanischen Zeitung, die sich freilich beklagten, das sei doch ihr
Platz. Eingesperrt in dieses große Pressezelt mit hunderten von
Kollegen, jeweils einzeln vor einem Laptop sitzend, durchforschte sie
die neu heraus gegebenen G8
Dokumente
der Delegationen. Eine langweilige Arbeit und so erschlagend. Die
Klimaanlage brachte einige Frische, draußen knallte die italische
Sonne, ansonsten wäre es wohl unerträglich geworden. Auf der
Herfahrt hatten sie diskutiert, was es mit diesem G8 Gipfel auf sich
habe. Daniele, spezialisiert auf Klimawandel, erläuterte, dass die
USA unter Obama dem Kyoto
Protocol
beitreten wolle. Auf den Monitoren im Zelt wurde eine Life
Übertragung vom Foto Shooting der G8 + G5 Leader eingeblendet.
Sarkozy vorn in der Mitte, somit Frankreich ins rechte Licht an den
ihm gebührenden Platz rückend. Hinter ihm die immer mopsiger
werdende Merkel aus Deutschland und neben ihm Silvio mit seinem
gesichtschirurgischen Primadonnen Lächeln, das mittlerweile zu Eis
erstarrt war. Aufgereiht warteten sie auf Obama, der, von seiner
Entourage umgeben, die Straße hinunter zu ihnen kam. Sabrina fand
den hopsenden Gang der in Zivil gekleideten Leibwächter komisch
anzusehen. Es mussten Muskel bepackte Schränke sein. Im Mittelalter
wären sie wahrscheinlich in Rüstungen erschienen. Die
Menschheitsgeschichte setzte sich fort, verkleidete sich im Kostüm
der Normalität der Gegenwart und blieb dem Betrachter zumeist
unerkannt. Die Menschen am Bildschirm sollten nicht erschrecken, dass
das, was sie in den Fernsehserien und im Kinofilmen sahen, seine
Entsprechung in der Gegenwart hatte. Auf den Monitoren unter den
Bildern vom Foto Shooting ein Aufruf zur Press Conference der EU
Presidency. Es zeugte wahrlich von hochgradiger Organisationsleistung
keinen Terminplan der einzelnen Veranstaltungen aufzustellen.
Offensichtlich lag das am notorisch mangelhaften Informationsfluss
zwischen ministerialen Delegationen, Pressesekretariat und
Öffentlichkeit. Eingesponnen in ihre Verhandlungen, waren die
Delegationen unfähig auch noch die Öffentlichkeitsarbeit zu
bewerkstelligen und die Organisation des italischen Gastgebers war zu
schwach, eine Struktur und Termine zu setzen. Mithin, ein Drunter und
Drüber, ein Chaos, ein Durcheinander gleichzeitiger Informationen,
mit denen jeder suchte, sich zu Recht zu finden. Die Quelle dieser,
über die Medien, das Internet, die Monitore, die Presseagenturen,
verbreiteten Informationen, war jedoch nicht auszumachen. Sie zeigte
sich vermittelt anhand einzelner Pressekonferenzen, für die im
Pressesekretariat Pool-Karten mittels Schlange Stehen zu organisieren
waren. Angekündigt wurden sie per Text Message Laufband auf den
Monitoren. Aber es gab noch einen anderen Informationsfluss für die
mit den staatlichen Stellen kooperierenden Medien.
Zwischenfall
Um in
den
Konferenzbereich eingelassen zu werden, hatten die Journalisten, die
in den eigentlichen Konferenz- und Verhandlungsbereich eingelassen
werden wollten, sogenannte Pool Cards vom Pressesekretariat zu
bekommen und sich anschließend an einem Treffpunkt einzufinden.
Derart wurde die Menge der Journalisten reguliert. Als Sabrina zu
diesem Pool Point kam, fragte sie bei den wartenden Kollegen herum,
zu welchem Event sie gingen, dabei geriet sie an einen Berliner
Kollegen. Er ging nicht weiter auf ihre Frage ein, sondern fragte
vielmehr zurück, ob sie wirklich eine Journalisten sei, denn als
solche müsste sie doch die Informationen über ihre Botschaft und
deren Presseamt bekommen haben. Sie käme aus der Schweiz, sagte
Sabrina. „Dann wenden Sie sich doch an die, aber die sind ja wohl
nicht auf diesem Event vertreten,“ bekam sie es von diesem Herren
zurück. „Gehen Sie nun und lassen uns in Ruhe!“ Der Herr tat
ungehalten und als wäre es eine Beleidigung, von ihr angesprochen
worden zu sein, wobei die Beleidigung schon darin bestanden haben
mochte, es gewagt zu haben, sich ihm zu nähern und ihn zu einem
Ansprechpartner, womöglich auf gleicher Ebene, zu machen. Neben ihm
ein junger Mann, auf dessen Badget der Bundesadler prangte, was
darauf hinwies, er käme eben von diesem Bundespresseamt. „Nein,
wir helfen Ihnen nicht,“ sagte auch er. „Wenden Sie sich an ihre
eignen Leute. Wir machen nichts für sie.“ Sabrina schwieg. Diese
offensichtliche Unhöflichkeit fand sie nicht nur unmöglich, sondern
nationalistisch. Als deutsche Staatsbürgerin im Ausland sah sie sich
von den Institutionen ihres Landes im Stich gelassen. Sie war weder
das eine noch das andere und unterschied sich nicht im Mindesten von
einem Berliner Türken.
Auf
diese Weise zeigte sich das G8 Summit einerseits als ein von Befehl
und Gehorsam leistenden Polizisten abgeschirmter Bereich,
vergleichbar einem barocken Palast, in dem ein ausschweifendes
Hoffest abgehalten wird. Andererseits, im Innern, glich es der
Zwingburg Chillion
am Genfer See: Ein besonders gesicherter Bereich der Regierungschefs
mit Verhandlungsräumen, zudem die akkreditierte Presse, das Fußvolk
der Öffentlichkeit, keinen Zutritt hatte und aus dem nur spärlich
Informationen kamen. Die Herrschaften hatten offensichtlich wenig
Interesse in die Öffentlichkeit hinein zu wirken.
Im Vorhof
Sie
schaute in den Himmel über sich, blau, strahlend blau, die Sonne
brannte, Hitze. Die ganze Veranstaltung ging ihr auf den Nerv. Diese
Masse von Journalisten, Fernsehleuten, Delegierten, Politikern,
Polizisten und Sicherheitskräften, die in dieser Erdbebenstadt
L´Aquila in der Akademie der Finanzpolizei zusammen kamen, um über
das Schicksal der Welt zu reden, würde wieder unendlich viele Seiten
Papier mit ungemein wichtigen Absichtserklärungen und Vereinbarungen
und Programmen verabschieden, ein Teil davon würde sogar umgesetzt
werden und in den betroffenen Gebieten und Bereichen ankommen, aber,
Sabrina schaute diese Leute an, den Berliner Kollegen mit seinem
Deutschgetümmel und die im Essenszelt mampfende Medienhorde, das
ganze System, in dem sie da lebten, war verkehrt und ging den Bach
hinunter. Sie wollte darin nicht mehr mitmachen, sie wollte
aussteigen, es anders machen, doch andererseits kannte sie sich,
kannte ihr eigenes Streben nach Komfort, Schönheit, Anerkennung. Wie
ließ sich also Aussteigen und doch darin bleiben und die schönen,
guten Dinge genießen? Eine alte Frage, die zu beantworten wohl jedem
wünschenswert war. Auf diesem Gipfel würden weder Antworten, noch
Lösungen gefunden, das stand fest. Mochten Obama und Medwedew
nicht nur sensationell auf 1.600 atomare Sprengköpfe abrüsten,
sondern auf Null, mochten sie sich auf Null CO2
Ausstoß binnen 10 Jahren und somit auf weniger globalen
Temperaturanstieg und weniger schmelzende Polareiskappen einigen, die
staatliche Macht der Politik über die Wirtschaft war beschränkt und
vor allem von kontraproduktiven Kräften geprägt: Gewinnsucht,
Profitgier, schlicht Überlebenswille, der Unwille zu verzichten,
aufzugeben, irgendwie sollte es weiter gehen, wie bisher, ob nun im
Großen oder im Kleinen.
Dementsprechend
war Sabrina enttäuscht, auf der ganzen Linie enttäuscht, als Frau
ohne Mann, ohne Kind, ohne einen vernünftigen Job, insofern dieses
journalistische Umherreisen von Termin zu Termin eigentlich ohne Sinn
und Verstand war, nämlich ohne das innere Wissen, dass das, was sie
tat, gut, richtig und nützlich war.
Der
Himmel über ihr, blau, strahlend blau, mußte eine Sinnestäuschung
sein, denn mit ihrem inneren Auge sah sie doch genau, dass das
unendliche Schwarz des Universums hinter ihm begann.
Ihre
ganz persönliche Frage, auf die sie bei diesem Wirtschaftsgipfel
bestimmt keine Antwort bekommen würde, war: Was konnte sie mit ihrer
fortgeschrittenen Restlebenszeit von 32 Jahren noch anfangen?
Italische Hitze, ihr Geist war wie gelähmt, ihr Körper müde, die
Zeichen standen auf tief greifende Depression, jedenfalls für sie im
Verhältnis zu den anderen, den Gewinnern des großen Lebensspiels.
Ihre ganz persönliche Stimmung schien genau die übergeordneten
Verhältnisse in sich aufzunehmen. So, wie ihr persönlicher
Lebensentwurf als ein gescheiterter anzusehen war, so war es der der
Wirtschaft und des globalen Finanzsystems, so war es der der Moderne
mit ihrer Natur und Mensch ausbeutenden Wirtschaftsweise und
schließlich der der Menschheit insgesamt. Wahrscheinlich würde sie
in den nächsten Tagen ihre Regel bekommen. Ihre Stimmung und damit
die Brille, durch die sie die Welt wahrnahm, sackte dann immer in den
Keller.
Presse
Konferenzen
Es
ist natürlich eine Selbstinszenierung besonderer Art, wenn der
italische Ministerpräsident Berlusconi mit seiner Pressekonferenz
das Group of 8 Summit in L´Aquila eröffnet. Nicht nur, dass er in
Form eines Eigenlobes die herausragende Organisationsleistung seiner
Landsleute heraus streicht, was angesichts des Erdbebens und der
Rekonstruktion der Infrastruktur keine hohlen Worte sein müssen,
vielmehr noch werden die italischen Medienleute nicht satt daran,
ihren Ministerpräsidenten ins rechte Bild zu rücken. Dass die
olympischen Spiele von 1936 in Berlin ebenso medial zentriert waren,
dürfte außer Frage stehen, auch wenn es dort noch über Sportler zu
berichten gab.
Eine
halbe Stunde später, vorne auf derselben Bühne, einer Theaterbühne,
auf der Berlusconi das G8 Summit eröffnete, zwei Rednerpulte von
denen Obama und der australische Ministerpräsident Kevin Rudd in die
Vollversammlung der Delegationsteilnehmer und der Journalie sprechen.
Wie es scheint, hatte man sich geeinigt, doch eher war es die
Stimmung, die Sabrina auffiel. Sie war gedrückt. Baraks Tonfall
verlor an motivierender Überzeugungskraft, an mitreißender,
aufrüttelnder und weiter bringender Kraft. Sabrina schien es die
langgezogene Sprache eines Schwarzen aus den Südstaaten, der die
Sklaverei durchlitten hatte und nun, befreit vom Joch, wofür er auch
nichts konnte, für sich selbst zu sorgen hatte. Das war unter
anderem das Thema von Lars
van Triers Dogma Movie Manderlay.
Auf die Bühne gesellten sich noch andere Ministerpräsidenten:
Gordon Brown, Taso Aso und andere. Auch Silvio kam und stellte sich
neben Taso, der ihn freundschaftlich umarmte. Sabrina mochte die
beiden nicht und bekam sofort zu spüren, was das hieß: Auch die
beiden mochten solche Frauen, wie sie nicht. Massiv und unangenehm
konnte sie sich diese beiden Typen vorstellen, wie sie und ihre
Konsorten gegen solche Menschen wie sie vorgingen. Das Eis, der auf
der Bühne zur Schau getragenen Freundlichkeiten, war dünn, dahinter
standen handfeste Auseinandersetzungen, die genau in den Zustand
einmündeten, in dem sie sich selbst befand: Verzweifelt,
hoffnungslos, perspektivlos, hilflos. Wohin würde es gehen?Was würde
sie der Redaktion zu berichten haben? - Leistungsdruck: Was hatten
Obama und Kevin erzählt? Sie wusste es nicht mehr. Es war wie bei
den Abendnachrichten, nach denen gefragt, sie nicht mehr zu sagen
wusste, was an wichtigem gezeigt worden war, obwohl sie diese doch
gerade geschaut hatte. Vorne, in der ersten Reihe, fiel ihr eine
junge Frau auf. Sie schien jeden Moment aufspringen und etwas
schreien zu wollen, aber irgend etwas hielt sie fest und verstopfte
ihr den Mund. Es war Maryam
Andrangi,
die Bloggerin. Beim Kaffee hinterher erzählte sie, sie hätte
schreien mögen, die ganze Welt hätte es gehört und es wäre
überall hin übertragen worden, dass diese Politikhengste nichts
taten, aber sie hatte es nicht gekonnt.
Eine
andere Chance hatte Sabrina selber. Es war am letzten Tag und die
Abschluss Pressekonferenzen wurden durchgeführt. Die Regierungschefs
gaben sich die Ehre von ihrem Wirtschaftsgipfel zu erzählen. Gordon
Brown, der britischen PM, marschierte mit seiner Entourage in
gesonderte Interviewräume. Sabrina hinter drein, die Security
kümmerte sich nicht weiter. Als Gordon schließlich aus einem der
Interview Zimmer heraus kam, setzte sie an: Gordon, sag, wie schätzt
du …. ? Weiter kam sie nicht. Er lachte nur spöttisch, was sich
auf ihr „Gordon“ bezog, hatte er doch schon länger keine guten
Erfahrungen mehr mit der Presse gemacht. Vertraulichkeiten dieser Art
zeigten sich schnell als fadenscheinige Mittel zum Zweck und weg war
er. Sie auch, im Hochsicherheitstrakt der Regierungschefs hatte sie
ohne Begleitung und Termin nichts zu suchen.
Auch
Obama gab noch eine Pressekonferenz allerdings ausschließlich für
die US Presse und Gastgeber Berlusconi hielt ohne Übersetzung eine
Abschlusskonferenz. Sabrina war bedient und fragte sich, was war das
für ein Gipfel? Was für Ergebnisse wurden erzielt?
Der
G8 Super Gau
Draußen
schien die Sonne, im Seebad tummelten sich die Kinder, Freundinnen
und Bekannten und schwammen im lauen Sommerwasser des
Vierwaldstättersees. Sabrina hatte keine Lust mehr an ihrem G8
Gipfel Artikel herum zu doktoren. Ihr Schreibtisch, ein sauberes,
ordentliches, modernes Büro, frische Farben, klare Linien, fast
karg, ein ZaZen Poster an der Wand, zwei grün bringende
Zimmerpflanzen, der Flat Screen, angenehme Temperatur und draußen
der See unter blauem Himmel, in der Ferne die Berge. Nein, es machte
keinen Spaß. … doch, die Arbeit hat auch Spaß zu machen, fluchte
sie. Ihr fiel nichts ein. Der Vorwurf, sie sei nur auf Spaß und Lust
aus, war ungerecht. Und schon wieder versank sie ins Brüten. Es
erinnerte sie an die letzten Wochen ihrer Diplomarbeit, die sich
immer länger hin streckten in Sinnlosigkeit, Abgeschiedenheit und
Zwecklosigkeit, so, als sollte das trotzige Kind, das seinen blöden
Eltern nicht gehorchte, mit Nicht-Beachtung bestraft werden. Die
blöden Eltern waren in diesem Fall die blöde Gesellschaft, die
anderen Zielen und Zwecken nach hechelte und wollte, dass sie
dasselbe tat. Wie erreiche ich also das mir selbst gesteckte Ziel?,
fragte sie sich. Es besteht darin, einen würdigen und angemessenen
Abschluss für meinen G8 Artikel zu finden, ein Finale, dass Urs und
Gerd und Saantje wenn nicht vom Hocker riss, so doch zu denken gab.
Ihr fiel ein Kommentar zur Gates
/ Crowly Affaire
ein, ein US Skandal, der jüngst durch die Medien gegangen war: Zwei
Leute, die es gut meinten, aber es nicht vermochten, einen guten
Ausgang für ihre Geschichte zu finden und eben so war das mit ihren,
ach, zwei Seelen in der Brust: Lebensansprüche und Lebenspflichten,
die sich einander zu Gunsten eines lachenden Dritten, dem Profiteur
der modernen Konkurrenzgesellschaft, dem König Kunde, dem
Konsumenten mit der dicken Brieftasche, bekämpften. Ihr Reich der
Freiheit begann eben dort, wo das Reich der Notwendigkeiten aufhörte,
aber das war eine marxsche Schwarz-Weiß Malerei, die die fließenden
Übergänge von Grautönen genauso schluckte, wie sie das
fotorealistische Farbspektrum der Postmoderne unterschlug. Ihr Blick
fing sich im Foto vom G8 Konferenzraum, dass sie an die Bürowand
gepinnt hatte: Echter italischer Kitsch. Die Designer des
Konferenzortes hatten in aller Eile umdisponieren müssen, so dass
der Zeitgeist sich ungehinderter Ausdruck verschaffen konnte: Absolut
fantasielos hatten sie auf die Vorlage eines Sifi Thrillers zurück
gegriffen und so tagte denn der Hohe Rat der Weltkonföderation an
einem futuristisch anmutenden runden Tisch, in dessen Mitte das Auge
der Öffentlichkeit wachte, eine Kamera. Sie sollte jeden Redner
aufnehmen, also wie von Geisterhand bewegt, sich jedem Redner
zudrehen, so dass sich ihm das Gefühl vor großem Publikum zu
sprechen vermittelte, freilich ohne dass diese Aufnahmen in das
Pressezelt übertragen worden wären. Geheimstufe 1. Wie symbolhaft,
diese Kamera stand für die Öffentlichkeit, für die zuschauende
Gesamtheit der Menschheit und den Hintergrund bildete eine
Postertapete. Sie zeigte eine Schnee bedeckte Berglandschaft unter
blauem Himmel, während sich draußen das wundervolle Panorama der
Abruzzen mit dem Gran
Sasso d´Italia
zeigte. Doch von diesem Draußen war die Konferenz abgeschlossen, ihr
Hintergrund war lediglich die Illusion einer Bühnendekoration auf
dem ein Kinothriller wie Star
Trek
gedreht wurde. Ob nun in der Kommandozentrale der Enterprise oder im
Unterwassercasino mit Einblicken ins bunte Leben der Meere oder wie
hier, im Konferenzsaal des Hotel Gipfelblick, die Hermetik
geschlossener Räume, die die Welt mit ihrer Menschheit auf eine
Kamera reduziert, meinte die beschützte, bewohnbare Welt im
Verhältnis zum chaotischen, lebensfeindlichen Universum,dem dann
doch nicht gezeigt wurde, was vor sich ging, die Vertagung des
ökonomischen Super Gaus samt ökologischem Globalkollaps.
OK,
weiter und damit setzte Sabrina neu zum Endspurt ihrer G8 Geschichte
an und tippte ihre Überlegungen ins weiße Blatt auf dem Flat
Screen:
Das
G8 Summit als eine elitäre Wissenschaftskonferenz auf
Regierungschefebene anzusehen, setzt voraus, es gäbe eine höhere,
nämlich globale Vernunft samt Einsichtsfähigkeit in weltweit
gültige und darum verpflichtende Werte, die zu optimalen Ergebnissen
bei grundverschiedenen Ausgangslagen und Zielen führe. Ich bezweifle
solches. Die Erde ist rund und darum erscheint dieselbe Sache, z.B.
sauberes Wasser, an verschieden Orten unterschiedlich wertvoll. Womit
misst die Ökonomie nun Werte? Mit Geld und zwar mit dem US Dollar,
doch der
verliert zur Zeit seine Gültigkeit als globale Leitwährung.
Wenn im Rahmen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise Banken
und Autokonzerne Insolvenzverfahren einleiten und staatlich bestellte
Konkursverwalter den Bankrott von Wirtschaftsgiganten verwalten und
Verhandlungen mit den Gläubigern und den Arbeitnehmern führen, um
zu retten, was zu retten ist, dann verhält es sich im Falle von
Staaten, konkret die USA, nicht anders, nur, das Undenkbare, das
Unvorstellbare, der Staatsbankrott der USA und damit der
Zusammenbruch der Weltwirtschaft darf nicht, kann nicht sein. Der
globale Super Gau des Finanz- und Wirtschaftssystems darf nicht
stattfinden und deshalb fand er nicht statt, jedenfalls nicht in
einer Form, die der Öffentlichkeit ersichtlich wäre. China, das
kommunistische China, unterstützt die US Währung weiterhin, in dem
es Staatsobligationen der USA hält, seltsam. Ziel der Anti-Dollar
Allianz ist es, zu einer allmählichen Ersetzung des US Dollars zu
kommen, wobei sich so etwas wie die Europäische Währungsschlange
auf globaler Ebene abzeichnet: Ein Wechselkursverhältnis der
maßgeblichen Volkswirtschaften. Auf lange Sicht könnte sich eine
Weltwährung entwickeln, die dem Zugriff und der Steuerung von
Nationalstaaten entzogen ist und von der Weltbank verwaltet wird.
Eine einheitliche Weltwährung als anzustrebendes Allheilmittel
verkaufen zu wollen trügt jedoch, genauso wie die Herausbildung
eines globalen Rechtssystems mit Institutionen, wie dem
Internationalen Gerichtshof. Die Herausbildung von globalen
Institutionen meint nämlich Machtstrukturen und die unterliegen
genauso Klassen- und Parteikämpfen, wie sie gleichzeitig die
Auseinandersetzung von Kultur- und Wirtschaftsräumen darstellen.
Besonders deutlich wird dies, wenn der chinesische Staatspräsident
Hu Jintao wegen eines Volksaufstandes
der muslimischen Uiguren
in der Provinz Xinjiang
vorzeitig den G8 Gipfel verlässt. Ob nun Han Chinesen gegen Turk
Muslime oder US Schulden und der Irak Krieg, im Weltmaßstab ist es
bedeutsam, wer für wen die Hebel bedient.
Angesichts
des Medienrummels um die globale Politikelite wird weiterhin
unterstellt, dass die Regierungs- und Staatschefs über
durchgreifende Kräfte verfügten. Die auf solchen Gipfeln gewonnenen
Erkenntnisse, Beschlüsse und Maßnahmen haben jedoch in den
jeweiligen Heimatländern erst umgesetzt zu werden. Als ob, in der
Art einer von-oben-nach-unten wirkenden Diffusion des auf diesen
Gipfeln generierten Heils, die Lösungen der globalen Probleme
erzielt werden könnte. Die Medien zelebrieren ein Verständnis von
globalen Gipfeltreffen als wäre die versammelte Mannschaft der
Regierungs- und Staatschefs in der Lage, die Erde und die Menschheit
zentralistisch zu steuern, so, wie es die Vorstände von
multinationalen Konzernen mit ihren weltweit operierenden
Zweigstellen und Mitarbeitern versuchten.
Dass
so viel Aufmerksamkeit darauf verwendet wird festzustellen, wer an
diesem Summit teilnimmt, soll eine bedeutsame Tatsache darstellen.
Sie hat einzig den Zweck, eine Machthierarchie aufzubauen, die
Teilnehmerländer vom ganzen Rest abhebt. Das Argument, die
teilnehmenden Regierungschefs und die durch sie repräsentierten
Volkswirtschaften würden den Großteil der Weltbevölkerung und
Wirtschaft ausmachen, soll eine bindende Kraft entfalten, um den
Diskussionen, Entscheidungen, Beschlüsse und Maßnahmen eine
nachhaltige Wirkung zu verschaffen. So soll es sein heißt jedoch
noch lange, dass es so ist und wird Punkt.
Sabrina
stand auf, schaltete ihren Laptop ab und verließ fluchtartig das
Büro Richtung See.
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