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G8 = ökonomischer Super Gau @ globaler Ökokollaps

Lucerne,  July 2009, DG


Dial-In: Obama´s Trip next week

Mit voller Besetzung saßen sie im Besprechungsraum der Redaktion, hinzu kam noch ein Kamerateam der Nachrichtenabteilung, bestehend aus der Fernsehmoderatorin Saantje van Borsow, Kameramann Joseph Lustinger und Jens Kranz als zweitem Kameramann, eigentlich ein Hiwi, der für Ton, Licht und Kabel zuständig war und dementsprechend auf die vorzeitige Pensionierung von Joseph hoffte. Es ging um die Vorbereitung des Wirtschaftsgipfels von L´Aquila in Italien. Sie würden zu zweit, Sabrina und Gerd, sowie das Kamerateam mit Saantje hinunter jetten nach Pescara an der Adria Küste. Die Journalisten würden dort im Sportlerdorf der Mittelmeerspiele untergebracht und täglich mit Shuttle Bussen 110 Kilometer weit über die Abruzzen nach L´Aquila zum G8 Summit gebracht werden. Der 35. G8 Wirtschaftsgipfel war kurzfristig, nach einem schweren Erdbeben in die Abruzzen verlegt worden. Im Erdbebengebiet selber gab es keine Unterkünfte.

Ulrich Hartmann, der Mann fürs Technische bei Welten online, hatte es fertig gebracht, das vorbereitende Briefing des Weißen Hauses in Washington DC für alle hörbar in den Besprechungsraum der Redaktion von Welten online zu übertragen. Offensichtlich hatte sich die Presseabteilung des National Security Councils (NSC) im Weißen Haus überlegt, mittels Telefonkonferenz würden sie auch die jeweils vor Ort anwesenden Auslandskorrespondenten erreichen können. Dem Obama Team ging es nicht allein um

L´Aquila, sondern vielmehr um die medienwirksame Vorbereitung eines Trips ihres Präsidenten nach Moskau, L´Aquila und Ghana.

Um 3 Uhr 30 Eastern Day Time, also um 21 Uhr 30 mitteleuropäischer Zeit, wählte sich Urs, Welten onlines Chefredakteur, in die Telefonkonferenzschaltung des Weißen Hauses ein. Tuten, dann eine freundliche Frauenstimme, sie seien mit dem White House Press Briefing Room verbunden, es dauere noch einen Moment, click, fetzige Popmusik in der Endlosschleife, nach einer Weile wieder ein Klicken in der Leitung. Was für ein Medium sie wären, fragte die freundliche Frauenstimme. Urs buchstabierte Welten online, from Switzerland. Die Dame am anderen Ende beklagte sich, wir seien kaum zu verstehen. Ulrich raufte sich die Haare. Er hatte eine Internet Telefon Verbindung aufgebaut und es rauschte wie in einem Langwellenradio aus dem zweiten Weltkrieg. Genau diese Stimmung kam auf. Ich sah mich im Keller meiner Berliner Mietwohnung, Bombenalarm, Zweiter Weltkrieg. In der Ecke im Regal hinter der Werkbank ein alter Volksempfänger, leise das sphärische Rauschen des Langwellensenders, BBC brachte die Nachrichten von der Kapitulation der 6. Armee im Kessel von Stalingrad. Der Krieg war damit nicht vorbei. Andernorts die Résistance, die die im Nachrichtentext verpackten Codewörter numerisch auflösen konnte. Ja, das Obama Team versprach gegenüber dem im Neo-Konservatismus versinkenden Europa Aufhellung, Frische, den Blitz und Donnerschlag des Zeus, Moderne, Chancen zu Aufstieg, Macht, und Geld, wobei Männer diese Attribute vor allem brauchten, um selbstbewusst ihnen attraktiv erscheinende Frauen zu erobern.

Soweit zu den Gedanken Sabrinas, die aufmerksam den Verlauf des Press Briefings durch das Sphärenrauschen der Internet-Server verfolgte. Ihr war die Szenerie nicht unbekannt. Es war der Ton US amerikanischer Globalpolitik, wie er bei den Press Briefings des FPC (Foreign Press Center) und des Weißen Hauses gepflegt wurde: Ohne Bodenhaftung, aus großer Höhe, unter Einsatz modernster Technologie, Touristen vergleichbar, die einen voll durch organisierten 10 Tagestrip unternehmen und sich auf diesem mit eben solchen Tourist Groups aus aller Herren Länder trafen. Zu Hause wurden dann die Fotos und Videos gezeigt und die Reputation verbreitet, man verstünde etwas von der weiten Welt, schließlich habe man sie gesehen und sich mit der Frau aus Japan, der Amerikanerin, dem Afrikaner, dem Brasilianer, dem Deutschen, der Französin und dem Studenten aus Moskau unterhalten und zwar im Flugzeug, auf dem Schaufelraddampfer, in der Seilbahn, beim Frühstücken im Hotel, in der Touristinformation und im Souvenirshop. Bewusst war den Leuten jedoch nie, dass sie sich in einem besonderen Space befanden, dem des Reisens auf einem ganz bestimmten Niveau.

DeniseDenis McDonough, Obamas Kommunikationsstratege, der zweite Kopf des US Empires, vergleichbar mit Clinton´s George Stephanopoul (zusammen mit James Carville, in Clinton´s „War Room“ des 1992er Wahlkampfes), moderierte den Beraterstab, wobei er eingangs den Reiseplan und wichtigste Termine mitteilte: Moskau, L´Aquila, Ghana. Obama kam also nicht nur zum Wirtschaftsgipfel nach Italien, sondern traf sich zuvor mit Medvedev und Putin, was darauf schließen ließ, in Moskau würde es einige bedeutsame Vorabsprachen geben. Insbesondere hob Denis hervor, dass Barak sowohl in Moskau als auch in Accra, Ghanas Hauptstadt, besondere Reden halten würde – er schrieb sie, was er nicht sagte, was jedoch alle wussten und insbesondere bei Michelle Gavin, Senior Director for African Affairs, ein spöttisches Lächeln auf die Lippen zauberte. Denis brachte es doch immer wieder fertig, geschickt Eigenpropaganda unterzubringen. Sie kamen aus demselben Stall bei Senator Ken Salazar (D-CO), dem heutigen Innenminister, und sie kannte Denis´ Schlichen zur Genüge. Es würde in seinen Reden, so meinte Denis, zum einen darum gehen, das US amerikanische und russische Verhältnis neu auszuloten und zum anderen darum, die neue US Politik gegenüber der 3. Welt und den Entwicklungsländern darzulegen. Es handle sich dabei um den Anfang einer Serie von Reden, die in der Cairo Speech ihren Beginn hatten und die die Wende und das weitere Werden der US amerikanischen Politik mit Barak und ihm umrissen.

Das ganze Briefing dauerte etwa eine halbe Stunde. In Minuten ausgedrückt entfielen dabei vielleicht fünf Minuten auf den Wirtschaftsgipfel in L´Aquila und von diesen noch einmal 1 Minute auf die Erwähnung der Audienz bei Papst Benedict XVI zum Abschluss des Wirtschaftsgipfels in Rom. Sabrina wunderte sich: Ein so bedeutsames Treffen wurde so wenig kommentiert und für die Presse vorbereitet. Der Eindruck war jedoch derart vage, dass sie ihn in der anschließenden Diskussion für sich behielt. Vielmehr ging es um den auslaufenden Start Vertrag, sprich um die atomare Abrüstung der russischen Föderation und der USA. De facto liefen die neuen Gespräche mit Russland auf eine globale Zusammenarbeit der beiden Atommächte hinaus, wobei es vor allem um die Bestrebungen zur atomaren Bewaffnung des Irans ging.

Ihre Reise nach L´Aquila war geplant. Am Dienstag Flugtransfer nach Pescara an der Adria, von dort nach Chieti ins Hotel, Besorgung der Akkreditierungsausweise und am Mittwoch Bustransfer an den Konferenzort in die vom Erdbeben zerstörte Stadt L´Aquila. Es war eine kluge Entscheidung von Berlusconi, den Tagungsort in die Erdbebenstadt zu verlegen. Es brachte ihm viel Zustimmung, wo er, der alternde Staatsmann, in den letzten Wochen so arg von einem Sex Skandal in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Kann ich nicht versuchen, privat unter zu kommen, statt im Hotel?“ fragte Sabrina in die Runde hinein. „Das Geld würde den Leuten helfen.“ Im Tonfall zu Recht weisenden Unwillens angesichts solcher Unvernunft fragte Gerd zurück: „Ja, wie? Willst du in Zelten schlafen oder in einem abbruchreifen Haus, in dem dir jeden Moment die Decke auf den Kopf fallen könnte?“ - “Mal sehen, eine Bekannte erzählte von einer deutsch stämmigen Künstlerin in einem Bergdorf oberhalb von L´Aquila, die nichts abbekommen hat. Sie ist im Bürgerkomitee zum Wiederaufbau der Stadt aktiv. Wenn das klappt, dann bin ich direkt vor Ort und nicht in eurem Space Lab Village. Kann ich es probieren?“ Mit ihrem freundlichsten Lächeln wandte sie sich an Urs. „Na, wieso nicht? Probier es!“ meinte der und damit war die Angelegenheit vom Tisch, doch Sabrina setzte nach: „Außerdem werde ich nicht fliegen.“ Pause, Saantje klappte der Mund auf. Für eine in der Öffentlichkeit stehende Fernsehmoderatorin, immer auf dem neusten Stand der Mode und Kosmetik, war das Fliegen eine Selbstverständlichkeit. „Wir haben das hier schon einmal durch diskutiert: Flüge unter 1.000 Kilometer gehören verboten. Der Flugnahverkehr zeigt sich als Klimakiller Nummer eins. Ich für meinen Teil mache da nicht mit,“ rechtfertigte Sabrina ihre forsche Forderung. Auch Urs klappte der Unterkiefer runter. Das jemand von seinen Leuten die politischen Diskussionen, die sie in der Redaktion führten, ernst nahm und persönliche Konsequenzen zog, anstatt die Annehmlichkeiten zu genießen, die sich en passant bei einer solchen Arbeit ergaben, war nicht nur ungewohnt, sondern roch nach Auseinandersetzung und davon hatten sie zu wenig. Dennoch, mit welcher Offenheit Sabrina die Meinungsführerschaft übernahm, gefiel ihm nicht, auf der anderen Seite bewunderte er sie genau dafür. „Mach doch, was du willst“, erwiderte er brastig, womit er deutlich machte, er würde auf seine Flüge nach München und Hamburg nicht verzichten, nur weil solche Öko-Fundis wie Sabrina die Welt retten wollten.

Zu denn letzten Sachen, die sie vor der Abreise zu erledigen versuchte, gehörte es, eine Presse Akkreditierung für den Vatikan und Obamas Papst-Audienz zu bekommen. Doch sie erhielt nicht einmal eine Antwort auf ihre Email. Entweder, dachte sie, sind sie im Papstpalast so altmodisch, dass sie mit dieser relativ jungen Technik nicht umgehen können oder aber, sie legten keinen Wert auf Journalisten wie sie. Wie auch immer, sie fand die Päpstlichen vermessen, ihr nicht zu antworten. Anscheinend hatte man sich ganz demutsvoll und unterwürfig seiner werdenden Heiligkeit, dem Papst, zu nähern und konnte nicht einfach so an der Audienz teilnehmen.

Im Nachgang zeigte sich, dass die Aufregung im römischen Papstpalast über den hohen Besuch des Präsidenten der ersten Supermacht der Gegenwart, der Medienrummel und vor allem die Organisation der visuellen Ablichtung des Audienzgeschehens ihre Akkreditierungsanfrage unter der Kategorie bedeutungslos ad acta gelegt hatte - die Fernsehteams und Fotografen waren es, auf die kam es an.


Auf dem Weg zum Wirtschaftsgipfel

Das Abenteuer bestand für Sabrina vorerst in der italienischen Bahn, einem komplexen System aus Verspätungen, technischen Mängeln, Unfällen und Missverständnissen, die sich ihr sprachlich vermittelt hätten, wäre sie des Italienischen mächtig gewesen. Am falschen Ort zur falschen Zeit zum Ein- und Umsteigen verleitet, entstanden ihr erhebliche Mehrkosten auf Grund eignen Verschuldens, denn schließlich hatte sie sich selber auf dem Laufenden zu halten. Die Reisende hatte in ihrer Not, die ihr diktierten Preise zu zahlen, was als Bestrafung anzusehen war, angesichts der Herrschaft des Geldes, das als knappe Ressource immer zu fehlen schien, obwohl es doch ein von Menschen gemachtes Ding war, das Geld. Ergo, schloss sie daraus, es gab nicht viele Menschen, die Geld machen können, wodurch das Geld Machen Können zu einer besonderen Kunst avancierte, deren Geheimnisse entdeckt und erschlossen sein wollten.

Es lag an der Hitze, die sie, um so weiter sie gen Süden rollte, um so mehr in einen undurchdringlichen Wattebausch einwickelte und ihr eingab, es lohne sich nicht, sich aufzuregen, so wie das Temperament der Italiener es erforderte, nämlich leidenschaftlich auffahrend zu sein gegenüber Ungerechtigkeit und Misständen und dem Unglück, sie ertragen zu müssen. Dennoch verwunderte sie sich über ihre Ruhe, schließlich, das Geld für ein zusätzliches Ticket über Rom war weg. Sie war keine reiche Amerikanerin, um dieses seit der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise obsolete Klischee anzuziehen. Sie malte sich aus, ihre Gelassenheit wäre eine typische US amerikanische Gleichgültigkeit gegenüber den sich auf ihrem Konto anhäufenden Kreditkarten Schulden, denn im Grunde hatte sie Angst, Welten online würde ihr die Mehrkosten nicht als Spesen verrechnen, nach dem sie so frech in der Redaktionsrunde darauf bestanden hatte, nicht zu fliegen.

Nun gut, es wird schon wieder herein kommen, sagte sie sich. Mein Tun wird schon das Geld bringen, dass ich ausgebe, außerdem gehören Schulden zum Leben, wie Butter aufs Brot und das Wasser auf den Feldern. Was wäre nicht, gäbe es keine Schulden, Kredite, Hypotheken, Darlehn, Pfände, Anleihen, Obligationen und Schuldverschreibungen? Großes lässt sich tatsächlich nur auf Pump errichten und das beinhaltete Risiko, die Möglichkeit des Scheiterns und des Versagens. Ließen sich diese ganz persönlichen Erfahrungen nicht wunderbar auf den G8 Gipfel anwenden?

Auf dem Wirtschaftsgipfel von L´Aquila stand demnach nicht nur The American Way of Life zur Debatte, womit der Einsatz von Technologien, Naturausbeutung und Beherrschung mittels Waffen strotzender Gewalt gemeint war, sondern ein globales Umschwenken in eine nachhaltige und Umwelt verträgliche Wirtschaftsweise. Doch das waren abgedroschene Worte, Kampfbegriffe aus ihrer Studentenzeit, abgenutzt und stumpf. Mittlerweile hatte jede größere Unternehmung ihren Umweltberater. Die Ausarbeitung von ökologischen Leitlinien war in der Wirtschaft durchgängig bewerkstelligt und dennoch nahm der Flugverkehr zu, schmolz das Eis an den Polarkappen, wurden die Tropenwälder abgeholzt und die Menschen in der 3. Welt als Konsumenten für Kühlschränke, Autos und Fernseher entdeckt. Sabrina war klar, es gab kein Entkommen mehr, der Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems ging Hand in Hand mit dem ökologischen Kollaps des Planeten Erde. Inzwischen hatte die Menschheit zwar gelernt, einige Jahre voraus zu sehen, hatte gelernt, die Konsequenzen ihres Handelns besser zu verstehen, das hieß aber noch lange nicht, dieses Handeln, diesen eingetretenen Trampelpfad massenhaft eingeübter Verhaltensweisen ändern zu können. So wenig, wie die Amazonasbauern die Tropenwälder aus Spaß abholzten, genauso wenig arbeitete ein Wall Street Broker aus Spaß an der Profitmaximierung des ihm überlassenen Risikokapitals. Die Spezies Mensch würde allerdings versuchen, was sie schon immer unternommen hatte, nämlich die Folgen ihres Tuns abzumildern und sich im übrigen anzupassen an die von ihr selbst designten Umwelt- und Lebensverhältnisse.

Mit dem Übernachten bei einer Freundin einer Freundin hatte es geklappt. Maria hatte zugesagt, sie für die Tage des G8 Summits aufzunehmen. Sie wohnte in Collebrincioni, einem Bergdorf oberhalb von L´Aquila. Dort hatte es zwar gebebt, wie Maria erzählte, so, als wenn der ganze Felsen, auf dem das Dorf stand, sich gedreht habe, doch zusammen gestürzt sei nichts.

Es war spät am Abend als sich Sabrina und Maria beim Zelt Camp der Bürgerinitiative 3.32 trafen. Es lag unterhalb der Altstadt, von der nichts zu sehen war, außer dass die Polizei die Zugangsstraßen absperrte: Einsturzgefahr, außerdem sollten die Schätze und Werte, die Habseligkeiten in den Ruinen der zerfallenen Häuser geschützt werden und zudem würden in den nächsten Tagen die Regierungschefs und ihre Frauen auf Sightseeing Tour durch die Trümmer stackeln. Das Erdbeben, die Zerstörungen, die Toten, die Angst vor weiteren Beben, beherrschte die Stadt, eine Studentenstadt am Fuß der Abruzzen, 110 Kilometer östlich von Rom. Das Erdbeben von L´Aquila – Sabrina hatte einen Fake Bericht in Welten online verfasst, in dem sie im Zusammenhang mit dem NATO Gipfel 09 die waffentechnologische These artifizieller Erdbeben aufstellte – dieses Beben hatte am 6. April, um 3:32, mit Erdstößen der Stärke 6,3 auf der Richterskala das alte Städtchen schwer zerstört und nun wurde heftig um den Wiederaufbau gestritten.

Im Camp von 3.32 sammelten sich die jüngeren und progressiveren Leute, sprich die grün alternative Linke von L´Aquila. Sabrina war raus aus diesem Milieu protestierender Attac Kommunarden, die sich in Hausbesetzer Kreisen und vermummten Schlachten mit der Polizei ihre Sporen verdienten. Schon auf dem Strassburger NATO Gipfel hatte sie sich deren Proteste nur aus der Ferne angeschaut. Doch war es zum einen ein Fehler, die Leute von 3.32 mit den Globalisierungsgegnern gleichzusetzen. Sie mochten attac italia nahe stehen, ihr Anliegen bestand jedoch konkret im Wiederaufbau ihrer Stadt. Zum anderen war die attac Bewegung nicht gleichzusetzen mit dem schwarzen Block gewaltbereiter Kämpfer der Autonomen. Stravos war so einer. Maria hatte noch Daniele, einen Journalisten vom Il Manifesto, einer der taz vergleichbaren Tageszeitung, sowie Stravos über die Tage des G8 Gipfels aufgenommen. Mit einem Beton Schädel wie Baghwan himself vertrat Stravos Ansichten, die durchblicken ließen, er war auf Krawall aus. Für ihn galt es, der Polizei eine Schlacht zu liefern, wobei die Schuldfrage eindeutig bei den Kollegen von der Polizei lag und die Legitimität der Vergeltung bei den Kampfgenossen. Wenn sie ihn so reden hörte, bekam sie Angst, er könnte mit seiner Wut auch auf sie losgehen und sie bezichtigen, sie würde für die anderen, für das Establishment arbeiten. Tat sie das nicht? Sie hatte einen guten Job, verdiente nicht schlecht und wurde quasi dafür bezahlt, abzulästern und Systemkritik zu äußern. Dennoch war das systemimmanent, sie brachte nichts neues hervor, sondern arbeitete sich am bestehenden ab, allenfalls, um auf Reformen zu dringen. Insofern beeindruckte sie Stravos radikale Haltung. Er zeigte wenigstens: Mit mir, mit uns so nicht! Ihr könnt mit uns nicht machen, was ihr wollt. Dennoch war das für sie nichts anderes als ein kindischer Protest des Sohnes gegenüber dem allmächtigen Vater. Als Frau, was gab es da für sie selber neues hervor zu bringen ? Ein Kind, das dann wie Stravos revoltieren würde? Nein, es galt neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln und zu leben. Das Schlagwort „Urbane Lebensgemeinschaft“ fand sich jedoch noch nicht bei Wikipedia und bei Google und noch viel weniger fand sie sich selber in einer solchen. „Stravos, verstehst du, es geht nicht darum, gegen die bestehende Gesellschaft zu kämpfen, sondern …. früher haben sie von Gegengesellschaft und alternativen Lebensformen gesprochen und sind aufs Land gezogen oder auf ein griechische Insel.“ - „Ich fahre auf eine,“ warf Maria ein. Sie saßen in ihrer Küche in dem alten Steinhaus in dem Bergdorf, das schwer mit Abwanderung und Landflucht zu kämpfen hatte. „Und zwar mit meinem Sohn, in eine Lebensgemeinschaft, die ihr 30 jähriges Jubiläum feiert: Sarakiniko auf Ithaka. Ich kenne den Gründer, einen Bildhauer aus Köln, von früher.“ - „OK, du fährst zum Urlaub in die griechische Inselkommune und nach drei Wochen machst du hier in deinem Haus und in L´Aquila deine Kunstprojekte weiter,“ ereiferte sich Stravos und fuhr fort, ohne jemandem die Chance zum Reden zu lassen: „OK, wir bewegen uns in gewissen Kreisen und bilden einen gewissen Zusammenhang, der mehr oder weniger verknüpft regelmäßig die Wahlen verliert, so dass auf diesen G8 Summits größtenteils nur neo-konservative Regierungschefs auftauchen. Das gibt dann auch den Grund ab, um im September in Pittsburg auf dem Finanzgipfel so richtig auf die Pauke zu hauen, denn hier, in L´Aquila, wird an Protesten gegen die da oben und die anderen nicht viel laufen. Attac hat die Proteste zu diesem G8 Wirtschaftsgipfel abgesagt und die Merkel, die deutsche Kanzlerin, würdigte diesen Wirtschaftsgipfel ebenso herunter.“ - „Wieso kommt sie denn dann überhaupt,“ fragte Daniele spitz, „scheint wohl eine Art Gruppenzwang am Werk zu sein.“ - „Ja, das sieht ihr ähnlich“, sagte Sabrina, ärgerlich darüber, dass die Merkel die Bedeutung dieses Wirtschaftsgipfels, zu dem sie mit einigem Aufwand von Welten online gefahren war, herabsetzte. „Als würde nichts entschieden, man trifft sich ja nur zum Plauschen und die armen Laquilaner Bemitleiden, entschieden wird vielmehr auf dem Finanzgipfel.“ - „Aber so ist es doch, die zentrale Bedeutung der Finanzen für das Werden und Gedeihen dieser Welt hängt nun mal von den Entscheidungen der politischen Weltelite ab und die trifft sich, wie Stravos richtig sagte, auf dem Wirtschafts- und Finanzgipfel im September in Pittsburg, USA,“ stellte Daniele lakonisch fest. - „Ich weiß nicht,“ konterte Sabrina, „mir scheint es tatsächlich ein Spiel auf Zeit zu sein. In der aktuellen Krise geht es um die Beruhigung der Märkte, um die Konsolidierung der verbliebenen Markteilnehmer, ob nun im Auto- oder im Bankenbereich und für die Merkel geht es ums Gewinnen der Wahlen in Deutschland. Ich behaupte, Obama wird einiges tun, damit sich Sarkozy & Co. nicht mehr so profilieren und in Szene setzen können. Er wird dafür den Outsider Silvio seine Show abziehen lassen.“ - „ Du tust ja so, als wenn Obama der Drähtezieher im Hintergrund wäre, allmächtig und weise. Quatsch!“ erwiderte Daniele im erhabenen Tonfall eines unabhängigen Kritikers. „Dieser Gipfel wird wie eine Weltmeisterschaft der politischen Nationalmannschaften. Obama denkt doch selber in den Kategorien von „America first“, wobei ihm nichts wichtiger ist als die Binnenwirkung seiner US Presse. Diese Summit Politiker sind doch alle nicht über ihren antiquierten Nationalismus hinaus oder: Was ist zum Beispiel die UNO für dich anderes, als eine obsolete Ansammlung von Staaten, die sich gegen den Anspruch von NGOs und wirklichen Globalakteuren wie das Rote Kreuz oder das Olympische Komitee, die FIFA oder das WEF zu verwahren suchen?“ - Sabrina: „Ich weiß nicht, was du hast, es geht doch immer darum, für die eignen Leute das beste raus zu holen.“ - Daniele: „Ja, aber wer sind die eignen Leute? Denkst du nationalistisch, ethnisch, ja, rassistisch oder aber denkst du parteiisch und das international und Welt umspannend? Das ist doch die große Frage, die wir uns immer zu stellen haben in einer globalisierten Welt, in der die Probleme nicht an einer Staatsgrenze halt machen.“ - Stravos: „Wie auch immer, Obama wird es in Pittsburg mit attac, mit der Alianza Social Continental (ASC), mit der Global Justice Movement (GJM) zu tun bekommen und ich bin gespannt, wie er und seine US Demokraten auf diese Bewegung reagieren.“ - Daniele: „Du hast Recht, Stravos, der Punkt ist, dass die Repubs und die europäischen Neo-Konservativen natürlich alles daran setzen werden, einen Bruch zwischen Obamisten und den links-alternativen Kräften zu provozieren. Ihnen gilt es, einen Keil zwischen die breite Volksbewegung der US Demokraten und die progressive Avantgarde zu treiben. Insofern wird Pittsburg ein Meilenstein werden.“ - „Es sollte so etwas wie ein Woodstock werden,“ warf Maria ein. Daniele, Sabrina und Stravos schauten sie verwundert an: Woodstock, das war der Urknall der 68er Bewegung, der Moderne schlecht hin, das sprengte ihr Vorstellungsvermögen, wobei vor allem Zweifel aufkamen, der gesellschaftlich Gärzustand, die latente Aufbruchstimmung zu neuen Ufern der New Age Bewegung von damals, sei doch vielmehr umgeschlagen in eine Rückzugsbewegung, die von Ängsten, Zwängen und Unzufriedenheiten bestimmt würde. „Es wäre schön,“ meinte Daniele resigniert, „nur, der Zeitgeist lässt sich nicht organisieren und zweitens: Geschichte wiederholt sich nicht. Ich gehe jetzt schlafen, morgen wird es ein langer Tag auf dem Summit.“ - Sabrina: „OK, nur noch eins: Fahren wir morgen früh zu der 3.32 Aktion auf den Uni Berg?“

Im 3.32 Camp hatte es, bevor sie los gefahren waren, eine Vollversammlung gegeben. Rund 60 Leute, die sich im Kreis versammelten und diskutierten, welche Aktionen sich für den kommenden Gipfel am besten umsetzen ließen. Maria hatte übersetzt, auf einem weithin sichtbaren Berghang vor der Uni sollte in weißen Großlettern: Yes, we camp, eine witzige Verdrehung des Obama Wahlsologans „Yes, we can“ aufgemalt werden. Die TV Teams und Fotojournalisten würden das dankbar in ihre G8 Reportagen aufnehmen und erklären, worum es 3.32 ginge, nämlich um einen nachhaltigen, ökologischen Wiederaufbau der Stadt. „Nein, ich komme nicht mit. Ich gehe aufs Summit,“ entschied Daniele für sich. „Ok, dann gute Nacht.“

Sie trollten sich, einjeder in sein Bett, wobei die Möglichkeit eines Nachbebens, auf das einem die Decke auf den Kopf fallen könnte als auch, dass sie nicht, wie damals die Hippies, mit freier Liebe die Nacht verlängerten, die Traumbilder formte.


The Summit

Nach dem Einchecken, sozusagen dem Boarding, in einer weit vorgelagerten Bastion, von der aus ein 20 minütiger Bustransfer an den Konferenzort dafür sorgte, dass die Journalisten in das Presse Village kamen, waren Sabrina und Daniele in einer anderen Welt. Hinter sich hatten sie sowohl die Trümmer der Erdbebenstadt als auch das alltägliche Leben der gewöhnlichen Leute gelassen. Polizisten, paramilitärische Verbände, sorgten ringsum für Sicherheit sowohl vor zivilbürgerlichem Protest als auch gegenüber potentiellen Raketenangriffen zum Beispiel fundamentalistischer Muslime. Der Science Fiction Schock des Unmöglichen von 9/11 sollte sich nicht auf einem solchen Weltgipfel wiederholen und mit einem Schlag die globale Politelite auslöschen. Das Konferenzgelände, bezeichnender Weise eine Akademie der Finanzpolizei, war großzügig für die Presse eingerichtet. TV Stationen reihten sich unter weißen Sonnenzeltdächern auf dem Dach eines Gebäudes, so dass der Hintergrund der Bericht erstattenden Nachrichtenredakteure die Berglandschaft der Abruzzen bildete. Für die schreibende Presse waren klimatisierte Zelte eingerichtet. Überfüllt, wie immer, ergatterte Sabrina einen Arbeitsplatz neben dem Team einer japanischen Zeitung, die sich freilich beklagten, das sei doch ihr Platz. Eingesperrt in dieses große Pressezelt mit hunderten von Kollegen, jeweils einzeln vor einem Laptop sitzend, durchforschte sie die neu heraus gegebenen G8 Dokumente der Delegationen. Eine langweilige Arbeit und so erschlagend. Die Klimaanlage brachte einige Frische, draußen knallte die italische Sonne, ansonsten wäre es wohl unerträglich geworden. Auf der Herfahrt hatten sie diskutiert, was es mit diesem G8 Gipfel auf sich habe. Daniele, spezialisiert auf Klimawandel, erläuterte, dass die USA unter Obama dem Kyoto Protocol beitreten wolle. Auf den Monitoren im Zelt wurde eine Life Übertragung vom Foto Shooting der G8 + G5 Leader eingeblendet. Sarkozy vorn in der Mitte, somit Frankreich ins rechte Licht an den ihm gebührenden Platz rückend. Hinter ihm die immer mopsiger werdende Merkel aus Deutschland und neben ihm Silvio mit seinem gesichtschirurgischen Primadonnen Lächeln, das mittlerweile zu Eis erstarrt war. Aufgereiht warteten sie auf Obama, der, von seiner Entourage umgeben, die Straße hinunter zu ihnen kam. Sabrina fand den hopsenden Gang der in Zivil gekleideten Leibwächter komisch anzusehen. Es mussten Muskel bepackte Schränke sein. Im Mittelalter wären sie wahrscheinlich in Rüstungen erschienen. Die Menschheitsgeschichte setzte sich fort, verkleidete sich im Kostüm der Normalität der Gegenwart und blieb dem Betrachter zumeist unerkannt. Die Menschen am Bildschirm sollten nicht erschrecken, dass das, was sie in den Fernsehserien und im Kinofilmen sahen, seine Entsprechung in der Gegenwart hatte. Auf den Monitoren unter den Bildern vom Foto Shooting ein Aufruf zur Press Conference der EU Presidency. Es zeugte wahrlich von hochgradiger Organisationsleistung keinen Terminplan der einzelnen Veranstaltungen aufzustellen. Offensichtlich lag das am notorisch mangelhaften Informationsfluss zwischen ministerialen Delegationen, Pressesekretariat und Öffentlichkeit. Eingesponnen in ihre Verhandlungen, waren die Delegationen unfähig auch noch die Öffentlichkeitsarbeit zu bewerkstelligen und die Organisation des italischen Gastgebers war zu schwach, eine Struktur und Termine zu setzen. Mithin, ein Drunter und Drüber, ein Chaos, ein Durcheinander gleichzeitiger Informationen, mit denen jeder suchte, sich zu Recht zu finden. Die Quelle dieser, über die Medien, das Internet, die Monitore, die Presseagenturen, verbreiteten Informationen, war jedoch nicht auszumachen. Sie zeigte sich vermittelt anhand einzelner Pressekonferenzen, für die im Pressesekretariat Pool-Karten mittels Schlange Stehen zu organisieren waren. Angekündigt wurden sie per Text Message Laufband auf den Monitoren. Aber es gab noch einen anderen Informationsfluss für die mit den staatlichen Stellen kooperierenden Medien.


Zwischenfall


Um in den Konferenzbereich eingelassen zu werden, hatten die Journalisten, die in den eigentlichen Konferenz- und Verhandlungsbereich eingelassen werden wollten, sogenannte Pool Cards vom Pressesekretariat zu bekommen und sich anschließend an einem Treffpunkt einzufinden. Derart wurde die Menge der Journalisten reguliert. Als Sabrina zu diesem Pool Point kam, fragte sie bei den wartenden Kollegen herum, zu welchem Event sie gingen, dabei geriet sie an einen Berliner Kollegen. Er ging nicht weiter auf ihre Frage ein, sondern fragte vielmehr zurück, ob sie wirklich eine Journalisten sei, denn als solche müsste sie doch die Informationen über ihre Botschaft und deren Presseamt bekommen haben. Sie käme aus der Schweiz, sagte Sabrina. „Dann wenden Sie sich doch an die, aber die sind ja wohl nicht auf diesem Event vertreten,“ bekam sie es von diesem Herren zurück. „Gehen Sie nun und lassen uns in Ruhe!“ Der Herr tat ungehalten und als wäre es eine Beleidigung, von ihr angesprochen worden zu sein, wobei die Beleidigung schon darin bestanden haben mochte, es gewagt zu haben, sich ihm zu nähern und ihn zu einem Ansprechpartner, womöglich auf gleicher Ebene, zu machen. Neben ihm ein junger Mann, auf dessen Badget der Bundesadler prangte, was darauf hinwies, er käme eben von diesem Bundespresseamt. „Nein, wir helfen Ihnen nicht,“ sagte auch er. „Wenden Sie sich an ihre eignen Leute. Wir machen nichts für sie.“ Sabrina schwieg. Diese offensichtliche Unhöflichkeit fand sie nicht nur unmöglich, sondern nationalistisch. Als deutsche Staatsbürgerin im Ausland sah sie sich von den Institutionen ihres Landes im Stich gelassen. Sie war weder das eine noch das andere und unterschied sich nicht im Mindesten von einem Berliner Türken.


Auf diese Weise zeigte sich das G8 Summit einerseits als ein von Befehl und Gehorsam leistenden Polizisten abgeschirmter Bereich, vergleichbar einem barocken Palast, in dem ein ausschweifendes Hoffest abgehalten wird. Andererseits, im Innern, glich es der Zwingburg Chillion am Genfer See: Ein besonders gesicherter Bereich der Regierungschefs mit Verhandlungsräumen, zudem die akkreditierte Presse, das Fußvolk der Öffentlichkeit, keinen Zutritt hatte und aus dem nur spärlich Informationen kamen. Die Herrschaften hatten offensichtlich wenig Interesse in die Öffentlichkeit hinein zu wirken.


Im Vorhof

Sie schaute in den Himmel über sich, blau, strahlend blau, die Sonne brannte, Hitze. Die ganze Veranstaltung ging ihr auf den Nerv. Diese Masse von Journalisten, Fernsehleuten, Delegierten, Politikern, Polizisten und Sicherheitskräften, die in dieser Erdbebenstadt L´Aquila in der Akademie der Finanzpolizei zusammen kamen, um über das Schicksal der Welt zu reden, würde wieder unendlich viele Seiten Papier mit ungemein wichtigen Absichtserklärungen und Vereinbarungen und Programmen verabschieden, ein Teil davon würde sogar umgesetzt werden und in den betroffenen Gebieten und Bereichen ankommen, aber, Sabrina schaute diese Leute an, den Berliner Kollegen mit seinem Deutschgetümmel und die im Essenszelt mampfende Medienhorde, das ganze System, in dem sie da lebten, war verkehrt und ging den Bach hinunter. Sie wollte darin nicht mehr mitmachen, sie wollte aussteigen, es anders machen, doch andererseits kannte sie sich, kannte ihr eigenes Streben nach Komfort, Schönheit, Anerkennung. Wie ließ sich also Aussteigen und doch darin bleiben und die schönen, guten Dinge genießen? Eine alte Frage, die zu beantworten wohl jedem wünschenswert war. Auf diesem Gipfel würden weder Antworten, noch Lösungen gefunden, das stand fest. Mochten Obama und Medwedew nicht nur sensationell auf 1.600 atomare Sprengköpfe abrüsten, sondern auf Null, mochten sie sich auf Null CO2 Ausstoß binnen 10 Jahren und somit auf weniger globalen Temperaturanstieg und weniger schmelzende Polareiskappen einigen, die staatliche Macht der Politik über die Wirtschaft war beschränkt und vor allem von kontraproduktiven Kräften geprägt: Gewinnsucht, Profitgier, schlicht Überlebenswille, der Unwille zu verzichten, aufzugeben, irgendwie sollte es weiter gehen, wie bisher, ob nun im Großen oder im Kleinen.

Dementsprechend war Sabrina enttäuscht, auf der ganzen Linie enttäuscht, als Frau ohne Mann, ohne Kind, ohne einen vernünftigen Job, insofern dieses journalistische Umherreisen von Termin zu Termin eigentlich ohne Sinn und Verstand war, nämlich ohne das innere Wissen, dass das, was sie tat, gut, richtig und nützlich war.

Der Himmel über ihr, blau, strahlend blau, mußte eine Sinnestäuschung sein, denn mit ihrem inneren Auge sah sie doch genau, dass das unendliche Schwarz des Universums hinter ihm begann.

Ihre ganz persönliche Frage, auf die sie bei diesem Wirtschaftsgipfel bestimmt keine Antwort bekommen würde, war: Was konnte sie mit ihrer fortgeschrittenen Restlebenszeit von 32 Jahren noch anfangen? Italische Hitze, ihr Geist war wie gelähmt, ihr Körper müde, die Zeichen standen auf tief greifende Depression, jedenfalls für sie im Verhältnis zu den anderen, den Gewinnern des großen Lebensspiels. Ihre ganz persönliche Stimmung schien genau die übergeordneten Verhältnisse in sich aufzunehmen. So, wie ihr persönlicher Lebensentwurf als ein gescheiterter anzusehen war, so war es der der Wirtschaft und des globalen Finanzsystems, so war es der der Moderne mit ihrer Natur und Mensch ausbeutenden Wirtschaftsweise und schließlich der der Menschheit insgesamt. Wahrscheinlich würde sie in den nächsten Tagen ihre Regel bekommen. Ihre Stimmung und damit die Brille, durch die sie die Welt wahrnahm, sackte dann immer in den Keller.


Presse Konferenzen

Es ist natürlich eine Selbstinszenierung besonderer Art, wenn der italische Ministerpräsident Berlusconi mit seiner Pressekonferenz das Group of 8 Summit in L´Aquila eröffnet. Nicht nur, dass er in Form eines Eigenlobes die herausragende Organisationsleistung seiner Landsleute heraus streicht, was angesichts des Erdbebens und der Rekonstruktion der Infrastruktur keine hohlen Worte sein müssen, vielmehr noch werden die italischen Medienleute nicht satt daran, ihren Ministerpräsidenten ins rechte Bild zu rücken. Dass die olympischen Spiele von 1936 in Berlin ebenso medial zentriert waren, dürfte außer Frage stehen, auch wenn es dort noch über Sportler zu berichten gab.

Eine halbe Stunde später, vorne auf derselben Bühne, einer Theaterbühne, auf der Berlusconi das G8 Summit eröffnete, zwei Rednerpulte von denen Obama und der australische Ministerpräsident Kevin Rudd in die Vollversammlung der Delegationsteilnehmer und der Journalie sprechen. Wie es scheint, hatte man sich geeinigt, doch eher war es die Stimmung, die Sabrina auffiel. Sie war gedrückt. Baraks Tonfall verlor an motivierender Überzeugungskraft, an mitreißender, aufrüttelnder und weiter bringender Kraft. Sabrina schien es die langgezogene Sprache eines Schwarzen aus den Südstaaten, der die Sklaverei durchlitten hatte und nun, befreit vom Joch, wofür er auch nichts konnte, für sich selbst zu sorgen hatte. Das war unter anderem das Thema von Lars van Triers Dogma Movie Manderlay. Auf die Bühne gesellten sich noch andere Ministerpräsidenten: Gordon Brown, Taso Aso und andere. Auch Silvio kam und stellte sich neben Taso, der ihn freundschaftlich umarmte. Sabrina mochte die beiden nicht und bekam sofort zu spüren, was das hieß: Auch die beiden mochten solche Frauen, wie sie nicht. Massiv und unangenehm konnte sie sich diese beiden Typen vorstellen, wie sie und ihre Konsorten gegen solche Menschen wie sie vorgingen. Das Eis, der auf der Bühne zur Schau getragenen Freundlichkeiten, war dünn, dahinter standen handfeste Auseinandersetzungen, die genau in den Zustand einmündeten, in dem sie sich selbst befand: Verzweifelt, hoffnungslos, perspektivlos, hilflos. Wohin würde es gehen?Was würde sie der Redaktion zu berichten haben? - Leistungsdruck: Was hatten Obama und Kevin erzählt? Sie wusste es nicht mehr. Es war wie bei den Abendnachrichten, nach denen gefragt, sie nicht mehr zu sagen wusste, was an wichtigem gezeigt worden war, obwohl sie diese doch gerade geschaut hatte. Vorne, in der ersten Reihe, fiel ihr eine junge Frau auf. Sie schien jeden Moment aufspringen und etwas schreien zu wollen, aber irgend etwas hielt sie fest und verstopfte ihr den Mund. Es war Maryam Andrangi, die Bloggerin. Beim Kaffee hinterher erzählte sie, sie hätte schreien mögen, die ganze Welt hätte es gehört und es wäre überall hin übertragen worden, dass diese Politikhengste nichts taten, aber sie hatte es nicht gekonnt.

Eine andere Chance hatte Sabrina selber. Es war am letzten Tag und die Abschluss Pressekonferenzen wurden durchgeführt. Die Regierungschefs gaben sich die Ehre von ihrem Wirtschaftsgipfel zu erzählen. Gordon Brown, der britischen PM, marschierte mit seiner Entourage in gesonderte Interviewräume. Sabrina hinter drein, die Security kümmerte sich nicht weiter. Als Gordon schließlich aus einem der Interview Zimmer heraus kam, setzte sie an: Gordon, sag, wie schätzt du …. ? Weiter kam sie nicht. Er lachte nur spöttisch, was sich auf ihr „Gordon“ bezog, hatte er doch schon länger keine guten Erfahrungen mehr mit der Presse gemacht. Vertraulichkeiten dieser Art zeigten sich schnell als fadenscheinige Mittel zum Zweck und weg war er. Sie auch, im Hochsicherheitstrakt der Regierungschefs hatte sie ohne Begleitung und Termin nichts zu suchen.

Auch Obama gab noch eine Pressekonferenz allerdings ausschließlich für die US Presse und Gastgeber Berlusconi hielt ohne Übersetzung eine Abschlusskonferenz. Sabrina war bedient und fragte sich, was war das für ein Gipfel? Was für Ergebnisse wurden erzielt?


Der G8 Super Gau

Draußen schien die Sonne, im Seebad tummelten sich die Kinder, Freundinnen und Bekannten und schwammen im lauen Sommerwasser des Vierwaldstättersees. Sabrina hatte keine Lust mehr an ihrem G8 Gipfel Artikel herum zu doktoren. Ihr Schreibtisch, ein sauberes, ordentliches, modernes Büro, frische Farben, klare Linien, fast karg, ein ZaZen Poster an der Wand, zwei grün bringende Zimmerpflanzen, der Flat Screen, angenehme Temperatur und draußen der See unter blauem Himmel, in der Ferne die Berge. Nein, es machte keinen Spaß. … doch, die Arbeit hat auch Spaß zu machen, fluchte sie. Ihr fiel nichts ein. Der Vorwurf, sie sei nur auf Spaß und Lust aus, war ungerecht. Und schon wieder versank sie ins Brüten. Es erinnerte sie an die letzten Wochen ihrer Diplomarbeit, die sich immer länger hin streckten in Sinnlosigkeit, Abgeschiedenheit und Zwecklosigkeit, so, als sollte das trotzige Kind, das seinen blöden Eltern nicht gehorchte, mit Nicht-Beachtung bestraft werden. Die blöden Eltern waren in diesem Fall die blöde Gesellschaft, die anderen Zielen und Zwecken nach hechelte und wollte, dass sie dasselbe tat. Wie erreiche ich also das mir selbst gesteckte Ziel?, fragte sie sich. Es besteht darin, einen würdigen und angemessenen Abschluss für meinen G8 Artikel zu finden, ein Finale, dass Urs und Gerd und Saantje wenn nicht vom Hocker riss, so doch zu denken gab. Ihr fiel ein Kommentar zur Gates / Crowly Affaire ein, ein US Skandal, der jüngst durch die Medien gegangen war: Zwei Leute, die es gut meinten, aber es nicht vermochten, einen guten Ausgang für ihre Geschichte zu finden und eben so war das mit ihren, ach, zwei Seelen in der Brust: Lebensansprüche und Lebenspflichten, die sich einander zu Gunsten eines lachenden Dritten, dem Profiteur der modernen Konkurrenzgesellschaft, dem König Kunde, dem Konsumenten mit der dicken Brieftasche, bekämpften. Ihr Reich der Freiheit begann eben dort, wo das Reich der Notwendigkeiten aufhörte, aber das war eine marxsche Schwarz-Weiß Malerei, die die fließenden Übergänge von Grautönen genauso schluckte, wie sie das fotorealistische Farbspektrum der PostmoderneG8 Conference room unterschlug. Ihr Blick fing sich im Foto vom G8 Konferenzraum, dass sie an die Bürowand gepinnt hatte: Echter italischer Kitsch. Die Designer des Konferenzortes hatten in aller Eile umdisponieren müssen, so dass der Zeitgeist sich ungehinderter Ausdruck verschaffen konnte: Absolut fantasielos hatten sie auf die Vorlage eines Sifi Thrillers zurück gegriffen und so tagte denn der Hohe Rat der Weltkonföderation an einem futuristisch anmutenden runden Tisch, in dessen Mitte das Auge der Öffentlichkeit wachte, eine Kamera. Sie sollte jeden Redner aufnehmen, also wie von Geisterhand bewegt, sich jedem Redner zudrehen, so dass sich ihm das Gefühl vor großem Publikum zu sprechen vermittelte, freilich ohne dass diese Aufnahmen in das Pressezelt übertragen worden wären. Geheimstufe 1. Wie symbolhaft, diese Kamera stand für die Öffentlichkeit, für die zuschauende Gesamtheit der Menschheit und den Hintergrund bildete eine Postertapete. Sie zeigte eine Schnee bedeckte Berglandschaft unter blauem Himmel, während sich draußen das wundervolle Panorama der Abruzzen mit dem Gran Sasso d´Italia zeigte. Doch von diesem Draußen war die Konferenz abgeschlossen, ihr Hintergrund war lediglich die Illusion einer Bühnendekoration auf dem ein Kinothriller wie Star Trek gedreht wurde. Ob nun in der Kommandozentrale der Enterprise oder im Unterwassercasino mit Einblicken ins bunte Leben der Meere oder wie hier, im Konferenzsaal des Hotel Gipfelblick, die Hermetik geschlossener Räume, die die Welt mit ihrer Menschheit auf eine Kamera reduziert, meinte die beschützte, bewohnbare Welt im Verhältnis zum chaotischen, lebensfeindlichen Universum,dem dann doch nicht gezeigt wurde, was vor sich ging, die Vertagung des ökonomischen Super Gaus samt ökologischem Globalkollaps.

OK, weiter und damit setzte Sabrina neu zum Endspurt ihrer G8 Geschichte an und tippte ihre Überlegungen ins weiße Blatt auf dem Flat Screen:

Das G8 Summit als eine elitäre Wissenschaftskonferenz auf Regierungschefebene anzusehen, setzt voraus, es gäbe eine höhere, nämlich globale Vernunft samt Einsichtsfähigkeit in weltweit gültige und darum verpflichtende Werte, die zu optimalen Ergebnissen bei grundverschiedenen Ausgangslagen und Zielen führe. Ich bezweifle solches. Die Erde ist rund und darum erscheint dieselbe Sache, z.B. sauberes Wasser, an verschieden Orten unterschiedlich wertvoll. Womit misst die Ökonomie nun Werte? Mit Geld und zwar mit dem US Dollar, doch der verliert zur Zeit seine Gültigkeit als globale Leitwährung. Wenn im Rahmen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise Banken und Autokonzerne Insolvenzverfahren einleiten und staatlich bestellte Konkursverwalter den Bankrott von Wirtschaftsgiganten verwalten und Verhandlungen mit den Gläubigern und den Arbeitnehmern führen, um zu retten, was zu retten ist, dann verhält es sich im Falle von Staaten, konkret die USA, nicht anders, nur, das Undenkbare, das Unvorstellbare, der Staatsbankrott der USA und damit der Zusammenbruch der Weltwirtschaft darf nicht, kann nicht sein. Der globale Super Gau des Finanz- und Wirtschaftssystems darf nicht stattfinden und deshalb fand er nicht statt, jedenfalls nicht in einer Form, die der Öffentlichkeit ersichtlich wäre. China, das kommunistische China, unterstützt die US Währung weiterhin, in dem es Staatsobligationen der USA hält, seltsam. Ziel der Anti-Dollar Allianz ist es, zu einer allmählichen Ersetzung des US Dollars zu kommen, wobei sich so etwas wie die Europäische Währungsschlange auf globaler Ebene abzeichnet: Ein Wechselkursverhältnis der maßgeblichen Volkswirtschaften. Auf lange Sicht könnte sich eine Weltwährung entwickeln, die dem Zugriff und der Steuerung von Nationalstaaten entzogen ist und von der Weltbank verwaltet wird. Eine einheitliche Weltwährung als anzustrebendes Allheilmittel verkaufen zu wollen trügt jedoch, genauso wie die Herausbildung eines globalen Rechtssystems mit Institutionen, wie dem Internationalen Gerichtshof. Die Herausbildung von globalen Institutionen meint nämlich Machtstrukturen und die unterliegen genauso Klassen- und Parteikämpfen, wie sie gleichzeitig die Auseinandersetzung von Kultur- und Wirtschaftsräumen darstellen. Besonders deutlich wird dies, wenn der chinesische Staatspräsident Hu Jintao wegen eines Volksaufstandes der muslimischen Uiguren in der Provinz Xinjiang vorzeitig den G8 Gipfel verlässt. Ob nun Han Chinesen gegen Turk Muslime oder US Schulden und der Irak Krieg, im Weltmaßstab ist es bedeutsam, wer für wen die Hebel bedient.

Angesichts des Medienrummels um die globale Politikelite wird weiterhin unterstellt, dass die Regierungs- und Staatschefs über durchgreifende Kräfte verfügten. Die auf solchen Gipfeln gewonnenen Erkenntnisse, Beschlüsse und Maßnahmen haben jedoch in den jeweiligen Heimatländern erst umgesetzt zu werden. Als ob, in der Art einer von-oben-nach-unten wirkenden Diffusion des auf diesen Gipfeln generierten Heils, die Lösungen der globalen Probleme erzielt werden könnte. Die Medien zelebrieren ein Verständnis von globalen Gipfeltreffen als wäre die versammelte Mannschaft der Regierungs- und Staatschefs in der Lage, die Erde und die Menschheit zentralistisch zu steuern, so, wie es die Vorstände von multinationalen Konzernen mit ihren weltweit operierenden Zweigstellen und Mitarbeitern versuchten.

Dass so viel Aufmerksamkeit darauf verwendet wird festzustellen, wer an diesem Summit teilnimmt, soll eine bedeutsame Tatsache darstellen. Sie hat einzig den Zweck, eine Machthierarchie aufzubauen, die Teilnehmerländer vom ganzen Rest abhebt. Das Argument, die teilnehmenden Regierungschefs und die durch sie repräsentierten Volkswirtschaften würden den Großteil der Weltbevölkerung und Wirtschaft ausmachen, soll eine bindende Kraft entfalten, um den Diskussionen, Entscheidungen, Beschlüsse und Maßnahmen eine nachhaltige Wirkung zu verschaffen. So soll es sein heißt jedoch noch lange, dass es so ist und wird Punkt.

Sabrina stand auf, schaltete ihren Laptop ab und verließ fluchtartig das Büro Richtung See.




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