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Bundesversammlung

Luzern, im Mai 2009, DG

Redaktionssitzung von Welten online, Anwesende: Urs Stoffolsky, Chefredakteur, die Journalisten Gerd Brandt, Sabrina Moserbacher, Ulrich Hartmann und die Neue, die Volontärin Julia Finger. Auf dem runden Tisch Mappen, Kaffeetassen, Ellenbogen, Hände, Stifte, Notizblöcke. Von einem separaten Tischlein leuchtet der Videoprojektor ins abgedunkelte Sitzungszimmer. Es sind die Recherchen von Ulrich Hartmann, der mit einer PowerPointPräsentation einen Vortrag über die anstehende Bundesversammlung in Berlin hält. „Nun“, meinte er, „es scheinen nicht die NPD´ler zu sein, die entscheiden, wer neuer Bundespräsident wird, sondern vor allem die Freien Wähler aus Bayern und die stellen sich hinter Köhler. Bei 1224 Wahlmännern haben die Blöcke von Rot, Grün & Linke, 604, sowie CDU/CSU & FDP, 604. Rechnerisch werden also 9 Stimmen für die absolute Mehrheit von 613 benötigt. Mit den 10 Stimmen der FW wäre das erreicht. Also; ein ganz klarer Fall und absolut langweilig. Weder wird Köhler durch die Neo-Nazis gewählt, dann hätten wir die jüdischen GemeindeStimmverteilung Prognosen um ihr Votum bitten können, noch steht sonst irgend eine Überraschung ins Haus. Ich schlage vor, wir sparen uns diesen Gigg.“ Sabrina hob die Hand, Stoffolsky nickte, soviel Autorität besaß er noch und Sabrina legte los: „Also gut, Verfassungstag, 60 Jahre Grundgesetz und Bundesrepublik Deutschland – im übrigen, ein halbes Jahr späte zog de DDR nach – und Bürgerfest und Wiederwahl des Bundespräsidenten. Die festgefahrenen Mehrheitsverhältnisse als Omen für die Bundestagswahlen im September bei der wahrscheinlich eine christ-liberale Koalition raus kommt, wenn alles so reibungslos weiter läuft. Immerhin ist es doch aber die Bundesversammlung. Da kommt die politische Elite des Landes zusammen. Ich finde schon, dass wir da was machen sollten.“ Gerd Brandt räusperte sich: „Also, ich habe auch genug zu tun mit Obama/Clinton, wegen mir nicht. Aber Sabrina hat Recht, im Reichstag und vorher in der Kirche kommt zusammen, was Rang und Namen hat. Vielleicht lässt sich was raus hören und spüren, insbesondere wie es beider SPD steht. Ich glaube, das wäre ein guter Job für Julia. „OK, Uli, du bist überstimmt. Ich will auch wissen, was in diesem großen Haufen abgeht. Ich“, damit wandte sich Stoffolsky an Julia, „viel Ich. Du schreibst aus der Ich-Perspektive, was du erlebst, denkst, fühlst. All das, was du sonst nicht schreiben darfst, aber so, dass wir trotzdem damit online gehen können. Viel Spaß.


Ein ökumenisches Morgenlob

Berlin, 23. Mai 2009, 9 Uhr, St. Hedwigs-Kathedrale

Die Rundkirche ist voll. Untergliedert in eine linke und eine rechte Seite, sitzen sich Bundespräsident und Gegenkandidatin mit blondem Schopf gegenüber. Dass Gesine Schwan trotz Dissertation über die Marx´sche Gesellschaft an diesem Gottesdienst teilnimmt, erscheint dem Amt geschuldet.

Während der Messe lässt sich der Chor mit einem Lied hören, in dem er deutlich singt: Ich schäme mich. Der Vergleich mit dem gedruckten Liedtext ergibt jedoch: Fürchte dich nicht. Wahrlich, dies ist eine herausragende Hörfehlleistung.Kirche

Im weiteren Verlauf des Abgleichs von äußerer und innerer Wahrnehmungen zeigt sich, dass das Spiel des Lichteinfalls durch die Kirchenkuppel einhergeht mit der Bewertung der Predigt und den dabei aufkommenden Gedanken. Da ich mich für mein Denken verantwortlich fühle, genauso wie für das, was ich sage und schreibe, erscheint mir der heller und dunkler werdende Raum wie eine Antwort, wie eine Bewertung meines Denkens. Um so heller, um so schöner, um so besser, um so … hm … wirksamer.

Ein Gefühl der Allverbundenheit entsteht, wenn gerade beim letzten Wörtlein: „wirksamer“ zur Bestätigung ein helles Glockenspiel läutet. Ich erfahre das als göttliches Wirken mit dem ich in dieser Gegenwart verbunden bin. Dem entsprechend taucht die Frage auf, wie sich denn das göttliche Wirken vom teuflischen unterscheide, zumal des Teufels Macht ursprünglich ein Teil göttlicher Macht war und insofern von dieser nicht zu unterscheiden ist. Woher weiß ich denn, dass ich nicht dem Teufel aufsitze, sondern göttlicher Kraft und Macht? Das Resultat dieser Überlegung macht mir Angst und mündet ein in eine hilflose Unentschiedenheit. Es ist eine Ohnmächtigkeit, die über sich den schimpfenden und für dumm erklärenden Herrgott hat und der zugleich vergebend und freundlich erscheint.

Friede ist mit uns, heißt es vom Altar her, als die beiden Prediger abtreten. Gleichzeitig habe ich das unangenehme, um nicht zu sagen schmerzhafte Empfinden einen Seitenstoß in die Rippen zu bekommen. Die Dame neben mir war es nicht. War das eine Antwort auf meine Frage? Ich bin verwirrt und denke über den Präsens Indikativ, die Ökumene und die Absprachen der beiden Pastoren über ihr konfessionsübergreifendes Morgenlob nach.

Nach dem Schlusschoral erhebt sich die Versammlung, um die Kirche zu verlassen. Auf der linken Seite vor mir sehe ich in der ersten Reihe den blonden Schopf von Gesine Schwan. Der Herr neben ihr nimmt herrisch unwirsch ihren Arm als wäre er ihr Mann, der nun seine Frau hinaus führt. Mir gefällt es gar nicht, dass sich die Gegenkandidatin derart von diesem Herrn bestimmen lässt. Der Herr wirkt missmutig, vielleicht ein wenig enttäuscht, so als habe er die bevorstehende Wahl schon verloren gegeben. Sein Blick geht hinüber auf die andere Seite. Dorthin eilt der Prediger mit seinen Ministranten, um sich vom Bundespräsidenten zu verabschieden: Ein Blickfang. Nicht ins Licht der Kameras zu kommen bildet die Ursache für seinen Missmut. Dieser Herr an Gesine Schwans Seite ist niemand anderer als Peter Struck, der langjährige Fraktionsvorsitzende der SPD. Mit Parteichef Müntefering lässt er fragen, wann die Gerontokratie der Partei in den Ruhestand abtritt.

Auf der Rückfahrt in den Reichstag im Bus nimmt Andrea Nahles, die junge Sprecherin des linken SPD Flügels, direkt vor mir Platz. Sie begrüßt mich mit Handschlag und ich sage: Hallo Andrea. In ihrer umfänglichen Massigkeit wirkt sie burschikos. Ihre Hände können zupacken, wie die von Männern auf dem Bau. Hat sie einen Mann? Hat sie Kinder? Lässt ihre politische Arbeit ihr die Zeit, sich als Frau und Mutter dem Leben hinzugeben. Sie ist ein Single. Dementsprechend ist die Geschäftigkeit ihrer politischen Arbeit nichts anderes als Tünche darüber, sich mittels Macht und Einfluss einen Mann, das Lebensglück, Kinder, zu beschaffen, denke ich und verwerfe diesen Gedanken sofort wieder als ungehörig, distanzlos und aufdringlich, da ich das Privatleben eines anderen Menschen zur Beurteilung seiner politischen Arbeit heranziehe. Außerdem kommen mir diese Gedanken ziemlich bieder vor. Wieso schaue ich nicht nach der Kanzlerin mit ihrem professoralen Wurzelzwerg, der bei jedem Staatsbesuch der Bundesrepublik eine ästhetische Ohrfeige verabreicht, wenn er im Damenprogramm neben einer First Lady steht. Im übrigen verhält sich diese Ohrfeige zur repräsentativen Schönheit der Kanzlerin, die klugerweise zu solchen Dingen schweigt, haben sie doch nichts mit Politik zu tun.


Reichstag, Begegnungen:

Politiker wandeln in der Lobby, also den Wandelhallen des Reichstages, in der sich der eine und die andere trifft. Wie auf einerLobby Medienmesse ist diese Lobby mit Kamerastationen vollgestellt. TV Korrespondenten warten auf ihre Live-Übertragung. Die Strömung der Bewegung umherwandelnder Lobbyisten zentriert sich eindeutig hin, Richtung Cafeteria, in der ein Kaffee, ein Stückchen Kuchen oder ein kleiner, warmer Imbiss, den Appetit für die Speisung danach anregt. Diese ist auf der Fraktionsebene anberaumt und zwar anlässlich eines Empfangs des neu gewählten Staatsoberhauptes. Alte Bekannte - wobei die einen im Licht, die anderen im Dunklen, bekannter sind als die anderen, so dass viele wenige und immer weniger bis hin zur herrschenden Clique der Entscheider, Chefs und Antreiber kennen - begegnen sich und kommen ins Reden. Der Erste zieht Leine als er merkt, es wird heiß im Gespräch, in dem er etwas sagen würde, was er nicht sagen darf.

Der Zweite ist ein SPD Abgeordneter aus Thüringen. Nach dem die Diskussion der Chancen bei den kommenden Landtags- und Bundestagswahlen mit einem Würstchen und mir und nicht, wie mir, bitte schön!, durchgekaut ist – die Chancen beruhen zum einen auf dem Skiunfall des Ministerpräsidenten, bei dem dieser Schuld am Tod eines anderen Menschen ist, was sich als ein schwieriges Tabuthema erweist – kommt es auf den Zustand der Partei. Binnen kurzem wird das Dilemma deutlich. Mitglieder- und Wählerschwund lassen sich durch Partei positive Meldungen nicht ausräumen, eine Erklärung für den Niedergang wird nicht erbracht, anstatt dessen Ablenkung auf Nebenschauplätzen. Schließlich ein Frontalangriff, der meine Argumente in die linke Ecke schiebt und mich, weil ich aus der Perspektive der Arbeitslosen und Hartz IV Empfänger argumentiere, der Linkspartei zuordnet. Das Sich dagegen Wehren, ruft einen Rundumschlag gegen Arbeitslose und gegen Linksintellektuelle hervor, die von der SPD anno dazumal mit Berufsverboten belegt worden waren. Gegen die Arbeitslosen wendet sich bei diesem MdB vor allem jene markige Volksstimme der schwer für ihr Geld rackernden Menschen, die nicht einsehen, dass Sozialhilfe- und Arbeitslosengeldempfänger für das Nichts Tun einWahlkarte erträgliches Leben aufgrund eines ausreichenden Einkommens führen können sollten. Die Frage, wie es der vormalige Bundeskanzler Kohl fertig brachte, diese Frage unentschieden zu lassen, wohin gegen sich sein Nachfolger Schröder mit seinen Politikentscheidungen gegen die finanzschwachen Schichten wandte und sich derart das Wasser des eignen Wählerpotentials abgrub, ruft wütende Gehässigkeit hervor. Mithin ist fest zu stellen, in der SPD wurde seit Schröder keine Vergangenheitsbewältigung betrieben, wurde nimmer nie die Frage des langjährigen Zustimmungsverfalls geklärt.

Der SPD´ler geht, nach einer Weile setzen sich zwei sächsische Abgeordnete der CDU an den Cafeteria Tisch. Es dauert nicht lange, bis sich ein selbstzufriedenes Gespräch über die Neo-Nazis im sächsischen Landtag entspinnt. Nur durch Neufestlegung der Geschäftsordnung sei es möglich gewesen, die auf Fraktionsstärke angestiegene braune Flut von Aussprachen über beantragte Gedenkminuten abzuhalten. Mir schwappt das Angebot politischer Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Neo-Nazis zu verdrängen, ins Hirn. Ich schweige still, als mein Gerechtigkeitssinn einwenden will, das seien doch politisch-juristische Winkelzüge, die nicht ganz koscher sind. Ich erfahre: Politik hat genau so wenig mit Gerechtigkeit zu tun, wie das Geschäftsleben, wenn es darum geht, Konkurrenten auszuschalten, aus dem Markt zu drängen oder sonstige Vorteile für die eigne Mannschaft zu erzielen. Ansonsten erscheint mir der Herr alt und bieder, farblos und ohne Saft, dafür erfüllt von einer freundlichen Milde, die sich aus höchster Bildung und Weisheit zusammensetzt, wie sie häufige Kirchgänge nach sich ziehen. Konflikte werden umgangen und Friede sei mit uns.

Dankesrede

Im Nachgang zur Präsidentenwahl wurde einiges Aufhebens um das vorzeitige Durchsickern des Wahlergebnis gemacht. EsDanke spricht für die Methoden besagter Abgeordneter en vogue zu sein, um Leute zu erreichen, nämlich per sms-internet connection. Ans Podium trat der alte und neue Bundespräsident Köhler. Ich schrieb in mein Notizheft:

Nun hörte er, er würde schimpfen, sagte er, wobei er sich mehr und mehr abhob und im Raum zu schweben begann, wie eine aufgeblasene Seifenblase, die der Wind durchs Kuppeldach hinaus ins Land blasen würde, die aber noch mit ihm verbunden war, so dass er mit jedem Wort der aufgeblasenen Seifenblase noch mehr Inhalt zur Vergrößerung einhauchte, so dass einige dachten, Gottes Gegenwart selbst würde als bald sichtbar werden, wenn er schützend seine Hand hielte über ihn und seine Frau, wozu sich alle freudig erhoben und klatschend Beifall spendeten.

Gerade den Schluss seiner Dankesrede (Text) (Video) fand ich genial: Ergriffen von den herzlichen Worten, die der Bundespräsident für seine Frau findet, klatscht die Mehrzahl der Bundesversammlung Beifall, wobei unklar ist, ob sie dies machten, weil es die anderen machten, weil der Fraktionszwang es ihnen abnötigte oder weil sie es wirklich zum Klatschen fanden. „Dir, Eva, möchte ich Danke sagen“, sagte er. „Jede Stunde mit dir ist ein Geschenk.“ Das ging nahe, Beifall, kaum ebbte der Beifall ab, fährt er fort mit: „Gott halte seine Hand schützend über uns alle und unsere gemeinsame Welt. Gott segne unser Deutschland.“ Wieder hat mich ein Hörfehler heimgesucht: Der in meiner Ecke wieder aufkommende Beifall verschluckte das „alle“, das über uns alle. Das fand ich genial: Das Amt dafür zu nutzen, Gott zu bitten, sich und Eva ganz privat von ihm beschützen zu lassen. Angesichts der Liberalisierungstendenzen, weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Vielleicht dass demnächst seine große Mehrheit beschließt, das Kruzifix in die Klauen des Bundesadlers  zu geben.

Empfang

Händeschütteln. Es ist ein Ritual, eine Massenabfertigung, bei der ganz viele einem einzigen kurz etwas ganz bedeutsamesHändeschütteln sagen. Ich mochte nicht. Oben, auf der Fraktionsebene hätte ich zu ihm gehen können, aber ich wollte nicht. Mir behagte es mehr, Distanz zu ihm zu halten. Ein Kollege meinte, Köhler sei unmöglich gewesen, wie er vom Blatt abgelesen habe, als er seiner Frau eine öffentliche Liebeserklärung abgab: Selbst da schaue er noch in sein Redemanuskript.

In der Lobby der Fraktionsebene, zwischen den vier Türmen des Reichstages, ein kleiner Imbiss für 1.500 Wahlmänner mit Frau, der sich durch festliche Sparsamkeit auszeichnet. Die Fraktionsebene: Ein Reichstagsturm je für die SPD, die CDU / CSU und die FDP. Die Grünen teilen sich einen mit der Linken. Bei der FDP ist also noch überproportional viel Platz. Angesichts eines möglichen Einzuges der Neo-Nazis, der die bevorstehenden Koaltionsverhandlungen entscheidend beeinflussen würde, eine nicht auszuschließende Verteilungsvariante.

Ich drücke Peter Strucks Kandidatin, dem Blondschopf Gesine Schwan, die Hand, mein Beileid bekundend, ich hätte sie gerne als Präsidentin gesehen. Sie lächelt strahlend offen, wohl wissend, dass sie eine gute Figur bei einer aussichtslosen Bundespräsidialkandidatur abgab. Noch einige Gespräche zum Dessert und ich gehe.



Kommentar

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Dankesrede (Video)

http://btag-od.real.t-bn.de/ramgen/btag/16/bt45_20090523.rm?start=02:38:34&end=02:44:05&title=13.%20Bundesversammlung


Stichwörter:

Köhler, Bundespräsident, Gesine Schwan, Peter Struck, Hermann Scheer, Erich Iltgen, Bundesversammlung, Reichstag, Fraktionsebene, Wahlkampf, Laizismus, Säkularisierung, Bundesrepublik Deutschland 2009,


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