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Der Revolver in der Schublade

alt="Subodh Gupta, Gandhi´s Three Monkeys, 2008" v:shapes="_x0000_s1026">Zu Dan Diners Vortrag über die Entwicklungen historischer Konstellationen wie Europa – Russland – Amerika, Uni Zürich, SIAF, 5. Juni 2008, UH

 

Geht es um eine politische Einordnung von Dan? Oder vielmehr darum, die durch ihn nahe gebrachten Schlüsse zu ziehen, wenn er sich als Historiker über die zukünftige Entwicklung der Konstellation Europa – Russland – Amerika in einem Vortrag im Churchill Saal der Uni Züri ausbreitete? Konkret hatte er mit Amerika die USA gemeint und mit Russland diesen Rest- und Kernstaat der ehemaligen Sowjetunion, das heuer von einem Schwarm von Satellitenstaaten, nun ja, unabhängig gewordenen Teilstaaten der Sowjetunion umgeben ist. Mit Europa meinte er natürlich die Europäische Union, doch eher im Sinne eines gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturraumes denn eines einheitlichen Staatsgefüges. Diesem ginge, so seine zentrale Einschätzung, vor allem eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ab. Von daher könne die EU auch nicht mit dem historischen Anspruch der USA auf eine Weltrepublik konkurrieren. Derart lief sein Vortrag auf die nächste Etappe des europäischen Integrationsprozesses hinaus: Schaffung einer politisch tragfähigen Konstruktion, die eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ermöglicht. Die Schublade, in der die entsprechenden Papiere ruhen, ist damit anvisiert. Da jeder gleichzeitig weiß, was zu Tage kommt, wenn diese Schublade geöffnet wird, erweist sich zu schweigen als die beste Variante, eine Entwicklung zu sabotieren, die unerwünscht ist. Es gilt, die Kinder abzulenken, auf dass sie nicht mit dem Feuer spielen. In der Schublade liegt nämlich oben auf ein Revolver, um zu verdeutlichen, worum es sich im materiellen Sinne der Außen- und Sicherheitspolitik handelt.

Als Historiker konnte Dan wahrlich nicht mehr einfallen, als über eine militärisch geprägte Geschichtsschreibung zu resümieren. Es handelt sich um eine Sichtweise, die die Gewalt der Kriege als maßgeblichen Motor der weltgeschichtlichen Entwicklungen ansieht. Gibt es nichts anderes über das sich reden ließe, als über Schlachten und Feldzüge? Geschichte besteht doch nicht nur aus Kriegen, wie dem Krimkrieg von 1853-56, den Dan anzog als den ersten wahrhaft modernen Krieg, dessen Ursprung im übrigen in Jerusalem lag, von wo aus er sich ins Schwarze Meer verlagerte, jener Region, die für die gegenwärtige Entwicklung so bedeutungsvoll ist, grenzen dort doch die Interessen der Erdölstaaten Iran und Russlands sowie einiger Kleinstaaten aneinander. Die Belieferung Europas mittels Erdöl-Pipelines aus diesem Gebiet ist möglich, aber ungeklärt und das bei steigendem Preisdruck und Erdölknappheit. Die energiepolitischen Zwänge scheinen die herrschende Geschichts- und Politikauffassung, die von maßgeblichen Kreisen, dem militärisch-industriellen und politischen Komplex, geteilt wird, zu bestätigen: Nur Kriege und ihre Androhung können über das Wohl und Weh der Länder und Völker entscheiden. Wie lässt sich eine solche Geschichtsauffassung auflösen? Durch: Make love and not war!? Es erscheint so leicht, sich jenen anzuschließen, die den Fuß schon lang in der Tür haben und die Tür mehr und mehr aufzustemmen suchen. Bisher hat mich jedoch noch niemand davon überzeugen können, dass ein militärisch uneiniges und schwaches Europa nicht das beste für den Weltfrieden sei.

 

Wenden wir uns darum andern Dingen zu, entziehen wir uns dem Sog und den Zwängen der militärischen, industriellen und politischen Vernunft und werfen Gewicht und Bedeutung in andere Felder der Politik, der Ökonomie, der Kultur. Dass ein renommierter Historiker wie Dan im Zeitalter von George W. Bush und als Professor für jüdische Geschichte am Simon Dubnow Institut, Uni Leipzig, als auch für europäische Zeitgeschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem nur schwerlich in anderen Kategorien als denen des Krieges denken kann, nimmt nicht Wunder, handelt es sich doch um vom Krieg heimgesuchte Länder. Es geht nicht um Blauäugigkeit gegenüber Gewalt, Krieg und Terror, sondern darum, die Kräfte des Friedens, die blühenden Landschaften, die Lebensfreude stärker sein zu lassen als dass, was durch Panzer, Raketen und Zerstörung erreicht werden kann.

 

Für Europäer und ihre Politiker kann dies der Europäische Integrationsprozess sein, der gescheiterte Verfassungsentwurf, gescheitert, weil er von oben herab, ohne Mitbestimmung, ohne Volksentscheide, ein autokratisches und bürokratisches Brüssel, ohne ein starkes Parlament bewirkt hätte. Im Zuge dessen meint es ebenso die Reformierung der UNO, die noch immer auf dem Stand der politischen Verhältnisse des Völkerbundes und der Charta der Vereinten Nationen von 1945, die Verschiebung der politischen Globalverhältnisse nicht in sich aufgenommen hat. Ebenso ist es ein obsoletes Festhalten an Privilegien, wenn zwei europäische Nationalstaaten zwei ständige Sitze im Weltsicherheitsrat okkupieren und sich gleichzeitig die EU als ökonomische und politische Macht etabliert. Überfällig sind die von Dan eingeforderten Strukturen einer gemeinsamen Außenpolitik der EU. Doch in ihren Fußstapfen folgt, sich unbesehen einschleichend, eine Neuauflage der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Sie ist nicht nötig. Die NATO, die sich selbst in Entwicklungsprozessen befindet, hat ihre Aufgabe übernommen. Und dies um so mehr, als dass Frankreich den Wiedereintritt in die NATO erwägt. Tatsächlich erweist sich der zuvor in der Schublade ausgemachte Revolver als das Schreckgespenst einer Widerauflage der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die unweigerlich ohne England sein würde und wahrscheinlich den Integrationsprozess der EU sprengen würde.

 

Mithin zeigt sich, dass die Verzahnung von Außen- und Sicherheitspolitik durch die Veränderung des einen, die Umgestaltung des anderen, mit sich bringen. Der Vorschlag, England und Frankreich zögen ihren Sitz im Weltsicherheitsrat zugunsten eines EU-Sitzes zurück, der wiederum dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU zugeordnet wäre, bedeutete zugleich das Einläuten einer neuen Ära der europäischen Diplomatie: Die Schaffung eines Corps von EU Diplomaten und Botschaftern, die die Aufgaben der nationalstaatlichen Botschaften der EU Mitgliedsländer übernehmen.

 

Im Zuge der Globalisierung, der Herausbildung von globalen Strukturen und vor allem Hierarchien, kann es nur darum gehen, diese so demokratisch, transparent und auf Frieden gerichtet zu gestalten wie möglich. Die gute Absicht, das gute Wollen, ist jedoch noch lange kein Garant für das faktische Geschehen. Insofern zeigt sich das zuvor belächelte: Make love and not war!, sprich die Liebe, als die einzig gangbare Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Sie ist stärker als jeder Panzer und jede A-Bombe, denn sie ist die Überwinderin der Widersprüche, der Ursprung und das Ziel von Glück, Frieden und globaler Einheit, die schon längst vollzogen ist.

 

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